Plädoyers der Opferanwälte im NSU-Prozess

Kein Schlusswort

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Demonstration gegen Rechtsextremismus und zur Erinnerung an die NSU-Opfer, am 13. April 2013 (vier Tage vor dem ursprünglich geplanten Beginn des NSU-Prozesses) in München.
Demonstration gegen Rechtsextremismus und zur Erinnerung an die NSU-Opfer

Der von der Rechtsanwältin Antonia von der Behrens herausgegebene Sammelband "Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk" enthält die "Plädoyers im NSU-Prozess" der Opferanwälte. Man findet darin viele beachtliche Detailinformationen zu den NSU-Serienmorden, aber auch berechtigte wie pauschalisierende Kritik an den Sicherheitsbehörden.

Es dürfte wohl kaum eine Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben haben, die so intensiv Gegenstand unterschiedlicher Untersuchungen war wie die des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU). Gleichwohl sind noch immer viele bedeutende Fragen offen, womöglich werden sie nie beantwortet werden. Denn die einzige Überlebende des Trios, Beate Zschäpe, schweigt sich weiterhin aus. Ähnlich verhält es sich mit anderen Angeklagten aus der Neonazi-Szene. Aber auch die Sicherheitsbehörden haben nur eingeschränkt Informationen öffentlich gemacht. All dies hat in der Kombination miteinander zu einem nur begrenzten Wissen geführt. Insofern kann auch noch kein Schlusswort zum Thema gesprochen werden. "Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk" ist auch der Titel eines Sammelbandes, der von der Rechtsanwältin Antonia von der Behrens herausgegeben wurde. Sie vertritt im NSU-Verfahren den jüngsten Sohn des am 4. April 2006 ermordeten Mehmet Kubasik.

Cover

Das Buch enthält, wie der weitere Untertitel "Plädoyers im NSU-Prozess" andeutet, hauptsächlich die Plädoyers von Anwälten der Opferangehörigen, aber auch Stellungnahmen von Letzteren selbst. Die Erklärungen vor Gericht kamen koordiniert zustande, sodass sich darin bestimmte inhaltliche Schwerpunkte ergeben. Carsten Ilius sieht in der fehlenden Aufklärung des Mordes an Mehmet Kubasik in Dortmund ein Beispiel für rassistische Ermittlungen und unzureichende Ermittlungen hinsichtlich lokaler NSU-Netzwerkstrukturen. Dass der bekundete Aufklärungsanspruch nicht erfüllt wurde beklagt Sebastian Scharmer und macht in Schaubildern das Umfeld von anderen Rechtsextremisten und V-Personen deutlich. Peer Stolle rekonstruiert die Entstehung des NSU aus Diskursen und Jugendcliquen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre. Den Hintergründen beim Nagelbombenanschlag in der Keupstraße widmet sich bezogen auf die Ideologie des NSU-Netzwerkes Alexander Hoffmann, bezogen auf die Ermittlungen gegen die Betroffenen Stephan Kuhn.

Und dann findet sich neben anderen Erklärungen und Plädoyers noch ein ausführliches Plädoyer der Herausgeberin, wobei es insbesondere um das NSU-Netzwerk, das staatliche Mitverschulden und die verhinderte Aufklärung geht. Damit sind auch noch einmal die Kernthesen, die sich durch die meisten Texte hindurchziehen, genannt: Demnach bestand der NSU nicht nur aus den drei bekannten Personen, sondern habe ein bedeutsames Unterstützerumfeld von anderen Rechtsextremisten, darunter auch V-Leuten gehabt. Staatliche Stellen hätten das Agieren des NSU durch fehlendes Engagement zumindest indirekt mit unterstützt oder seien durch "institutionellen Rassismus" bei der Tätersuche fehlgeleitet worden. Und darüber hinaus hätten Polizei- und Verfassungsschutzbehörden eine breitere Aufklärung durch Aktenvernichtung und Verschweigen verhindert. Kursierende Stichworte in diesem Sinne sind u. a. "rassistische Ermittlungen" (S. 27), "staatliches Mitverschulden" (S. 197) oder "Verdunklung von Staats wegen" (S. 9).

Beachtung verdient der Band, weil er wichtige Detailinformationen bringt. Dies gilt insbesondere für die Aussagen über die Einbettung der drei NSUler in die Neonazi-Szene. Plädoyers von Anwälten vor Gericht sind bekanntlich keine wissenschaftlichen Gutachten, sondern wollen eine bestimmte Einschätzung begründen. Dies ist auch hier der Fall. Bei der Hervorhebung von Kritik an den Sicherheitsbehörden wird dies deutlich. Während analytische Fehler etwa gar nicht thematisiert werden, wird die V-Mann-Problematik schief dargestellt. Deutlich zeigt sich, dass die eigentliche Funktion dieses Mitteleinsatzes nicht bekannt ist und daraus dann Fehlschlüsse resultieren. Indessen sollten sich die Verfassungsschutzbehörden darüber auch nicht beklagen, hätten sie hier doch deutlichere öffentliche Klarstellungen vornehmen können. Dies gilt auch für die "Aktenschredder"-Geschichte. Bezogen auf das tatsächlich bestehende breite Unterstützernetzwerk wird darüber hinaus nicht erörtert, inwieweit die Gemeinten denn auch um die Morde des NSU genau wussten.

Antonia von der Behrens (Hrsg.), Kein Schlusswort. Nazi-Terror, Sicherheitsbehörden, Unterstützernetzwerk. Plädoyers im NSU-Prozess, Hamburg 2018 (VSA-Verlag), 324 S., ISBN 978-3-89965-792-0, 19,80 Euro