Revolution in Belarus: Ausschlaggebend sind die Frauen

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Immer mehr Belarussen protestieren gegen den autoritären Langzeitpräsidenten Alexander Lukaschenko wie hier in Minsk am vergangenen Wochenende. Die Forderungen auf dem Transparent lauten: "Faire Wahlen. Tribunale. Freiheit für alle politischen Gefangenen."
Protest in Minsk am 16. August 2020

Hunderttausende auf den Straßen, Oppositionskandidatinnen im Exil und Berichte über großangelegte Militäroperationen zur Unterdrückung der Proteste: Eine Woche nach der fingierten Wahl in Belarus stemmt sich der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko verzweifelt gegen seine Absetzung. Der "letzte Diktator Europas" hat sämtlichen Rückhalt in der Bevölkerung verloren, selbst staatseigene Betriebe blasen zum Generalstreik.

Die Geschichte der Präsidentschaftswahl 2020 in Belarus ist vom Drehbuch eines James Bond kaum zu unterscheiden, so undurchsichtig, ja beinahe mafiös, präsentiert sich die Chronologie. Nachdem der bekannte oppositionelle Blogger und YouTuber Siarhei Tsikhanouski im Mai, nur zwei Tage nach Ankündigung seiner Präsidentschaftskandidatur, verhaftet wurde, führte seine Frau, Swetlana Tichanowskaja, die Kampagne weiter. Sie und zwei weitere Oppositionskandidatinnen, Veronika Tsepkalo und Maria Kolesnikova, legten am 17. Juli ihre Kampagnen schließlich unter dem Motto "Female Solidarity" zusammen. Zuvor war Veronika Tsepkalos Arbeitgeber verhaftet worden, der Ehemann von Maria Kolesnikova flüchtete mit beiden Söhnen aus dem Land. Auch die Kinder von Tichanowskaja wurden Ende Juli in der Europäischen Union in Sicherheit gebracht.

Dass die Wahlen am 9. August weder frei noch gleich waren, das hat die EU bereits festgestellt: Der von der Regierung ausgewiesene Erdrutschsieg Lukaschenkos, der mit über 80 Prozent der Stimmen gegen die Kandidatin der Opposition gewonnen haben soll, ist eine vollkommene Farce.

Seit dem Wahltag finden sich immer mehr Menschen auf den Straßen des Landes ein, um weiß-rot-weiße Fahnen zu schwenken – die Farben der demokratischen Opposition – und Druck auf Lukaschenkos bröselndes Regime auszuüben. Die Forderungen der Protestierenden reichen vom Abtritt des Präsidenten über Neuwahlen bis hin zur Freilassung sämtlicher in den letzten Wochen und Monaten inhaftierten Oppositionellen und Protestierenden.

Alexander Lukaschenko versuchte daraufhin, loyale Anhänger für einen Protest zu mobilisieren und scheiterte krachend, als sich mindestens 100.000 Menschen zur Gegendemonstration in Minsk einfanden, wie der Spiegel berichtet. Die Ereignisse erinnern an die letzten Tage des rumänischen Diktators Nikolae Ceausescu, an die beeindruckenden Szenen, als das Volk eine live im Staatsfernsehen übertragene öffentliche Rede Ceausescus mit Buhrufen und Pfiffen kaperte, bevor die Menschen das Regierungsgebäude stürmten.

Dass Totalitaristen nicht kampflos aufgeben, ist bekannt. Dass dabei kein Menschenrecht gewahrt bleibt, ebenfalls. Der Deutschen Welle zufolge wurden allein in der letzten Woche über 7.000 Menschen bei den Protesten verhaftet. Die Opfer dieser despotischen Willkürmaßnahmen berichten von körperlicher und psychischer Gewalt, von Schlägen und Fesselungen, Drohungen gegen die eigene Familie und davon, dass ihnen Nahrung und Wasser verweigert wurden. Die internationale Menschenrechtskonvention kennt ein Wort hierfür: Folter.

Doch die drakonischen Einschüchterungsversuche des Regimes können die Menschen des Landes nicht von der Straße bringen, können über den unüberbrückbaren Graben zwischen Lukaschenkos Realität und der der Menschen nicht hinwegtäuschen: In einem Land, dessen noch amtierender Präsident Frauen schlicht aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, als für politische Ämter ungeeignet betrachtet, sind es gerade die Frauen, die den Prozess der demokratischen Revolution unaufhaltsam vorantreiben. Sie formen menschliche Ketten und stellen sich den Sicherheitskräften entgegen, ungeachtet des Risikos für Leib und Leben.

Die Frauen sind es, die die landesweiten Generalstreiks ins Rollen bringen, selbst das Staatsfernsehen zeigt nur noch leere Studios. Die Frauen sind es, die zur internationalen Solidarität aufrufen, und sich damit zur Zielscheibe des totalitaristischen Regimes machen.

Wie real das Risiko für Oppositionelle in Belarus ist, zeigen nicht nur die Bilder und Aussagen der Verhafteten, sondern auch die Tatsache, dass sich nur noch eine der drei ursprünglichen Oppositionskandidatinnen, nämlich Maria Kolesnikova, in Belarus befindet. Swetlana Tichanowskaja, die vermeintliche Siegerin der Wahl, ist kurz nach Bekanntgabe der offiziellen Ergebnisse nach Litauen geflohen. Von dort richtete sie sich am 17. August in einer Videoansprache an das belarussische Volk: "Ich bin bereit, die Verantwortung zu tragen und während der Übergangszeit die Führung der Nation zu übernehmen."

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