Daten sprechen nicht für sich, sie müssen interpretiert werden. Doch bei der Auswertung schleichen sich leicht typische Fehler ein: Wir glauben Muster zu erkennen, wo keine sind. Oder wir unterschätzen die Macht des Zufalls. Beim Kölner "Skeptics in the Pub" stellten Juli Tkotz und Martin Papenberg einige solcher Fehlerquellen vor.
Juli Tkotz verfügt über magische Fähigkeiten. Sie verzaubert ganz normale Würfel so, dass sich das Ergebnis bei Würfen mit Zauber signifikant verbessert und im unverzauberten Zustand sogar schlechter wird. Sieht fast so aus, als wäre die GWUP ihren 10.000-Euro-Preis für den Nachweis paranormaler Fähigkeiten bald los. Aber eben nur fast.
Denn im richtigen Leben ist Juli Tkotz keine Psi-Begabte, sondern macht ihren Master in Psychologie an der Uni Düsseldorf. Der Trick hinter dem "Würfelzauber" ist so einfach wie verblüffend: Nach einem Einser-Wurf kann der nächste Versuch gar nicht schlechter ausfallen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingt sogar eine höhere Augenzahl – auch ohne Zauberstab.
Die Daten stimmen, doch die Interpretation ist kompletter Quatsch. Wenn das im richtigen Forscherleben geschieht, geistern die irrigen Resultate noch lange durch Fachzeitschriften, Publikumsmedien und die Echokammern im Netz.
Das Interesse für solche Statistik-Irrtümer teilt Juli Tkotz mit ihrem Fachkollegen Martin Papenberg, der an der Düsseldorfer Uni in der Abteilung für Diagnostik und Differentielle Psychologie tätig ist. Zum einen wissen sie aus der alltäglichen Arbeit, wie leicht Forscher aus korrekten Daten falsche Antworten ableiten: "Nämlich immer dann, wenn sie die falschen Fragen stellen." In gleichem Maße interessieren sie sich für psychologische Erklärungen, warum bei der Auswertung von Daten immer wieder bestimmte Fehlschlüsse auftreten, wie Martin Papenberg erklärt. Über beides berichten die beiden gern, so am 2. April beim "Skeptics in the Pub" Köln.
Eine bedeutende Fehlerquelle nennt Tkotz gleich zu Anfang. "Menschen sind schnell dabei, Muster zu erkennen, wo keine sind." Oft verwechseln wir Korrelation und Kausalität. Wenn zwei Ereignisse kurz hintereinander geschehen, vermuten wir einen ursächlichen Zusammenhang. Im Verlauf der Evolution war es meist besser, Dinge überzuinterpretieren, als eine reale Gefahr zu übersehen. Klassisches Beispiel von Martin Papenberg: Ein Rascheln im Gebüsch, ein kurzes Erscheinen von gestreiftem Fell – das muss ein Tiger sein, schnell weg! Wenn es nur ein harmloses Katzenbaby war, handelte sich der Steinzeitjäger schlimmstenfalls den Spott seiner Freunde ein. Übersieh er aber ein gefährliches Raubtier, sind seine Tage gezählt.
Manchmal schleichen sich jedoch folgenschwere Irrtümer ein, wie die beiden weiter erläuterten. Die Kollegin nimmt bei Erkältung homöopathische Globuli, und siehe da, bald wird die Nase wieder frei. Das wäre auch ohne Globuli passiert. Medikamente werden meist auf dem Höhepunkt der Erkrankung eingenommen, wenn die Symptome am stärksten sind. Danach bessert sich die Erkältung zum Glück von selbst, ohne dass dafür Zuckerkügelchen nötig wären. Merken Sie was? Genau, im Grunde funktioniert das Ganze genau wie der Würfelzauber.
Verheerend kann sich diese Fehleinschätzung bei ernsten Erkrankungen auswirken. Etwa wenn ein Patient ein wirkungsloses Wundermittel ausprobiert und sich anschließend entgegen aller Erwartung wieder erholt. "Mir hat es geholfen!", ist dann auf Facebook & Co. zu lesen, wird gelikt, geteilt und regt andere Betroffene an, es ebenfalls zu versuchen. Die vielen, die trotz Wundermittelchen an der Krankheit verstorben sind, haben keine Postings in den sozialen Netzwerken hinterlassen, sodass sie in der öffentlichen Wahrnehmung unter den Tisch fallen.
Für Forscher und Wissenschaftskommunikatoren stellen solche Fälle eine Herausforderung dar. Wie erklärt man das dem Publikum? Und wie dem gesundeten Patienten? Hier kann es nach Erfahrung der Referenten hilfreich ein, dem glücklichen individueller Einzelfall eine der unzähligen tragischen Geschichten von enttäuschter Hoffnung auf Heilung durch das Wundermittel gegenüberzustellen.
Und die Forscher selbst? Zu Recht weist Juli Tkotz darauf hin, dass auch die Beschäftigung mit Denkfehlern nicht gegen Fehlschlüsse immunisiert. "Aber man kann lernen, bessere Fragen zu stellen und vor verlockenden 'Denkabkürzungen' innezuhalten." Zustimmung kommt von Martin Papenberg: "Skepsis ist nicht perfekt, aber immer noch die beste Option."
Vortragsvideo von Skeptics in the Pub Köln:
6 Kommentare
Kommentare
David See am Permanenter Link
ich hatte mal ein Gespräch mit einem Physiker. er meinte er bildet sich einfach eine Meinung in dem er sich informiert.
M. Becker am Permanenter Link
Zum Glück muss man nicht zu allem eine persönliche Erfahrung machen. Ich war mit meinem männlichen Frauenarzt z.B. bisher sehr zufrieden. Und das, obwohl er noch nie schwanger war. ;)
Juli Tkotz am Permanenter Link
Wieso zählt denn nur die eigene Erfahrung - wieso sich nicht die Erfahrung anderer (auch in Form von Daten) zunutze machen? Gerade der eigene, limitierte Blickwinkel ist besonders anfällig für Verzerrungen.
Klar, das sagt mir nichts darüber, ob mir persönlich Karamell besser schmecken wird. Aber basierend darauf probiere ich Karamell beim nächsten Mal vielleicht zuerst.
Das wichtigste Beispiel dafür gibt es eigentlich im Vortrag: Ich bin erkältet, nehme etwas ein - und denke dann, es lag an der Behandlung, dass es mir danach wieder gut geht. Weil ich nicht wissen kann, dass es auch ohne Pillen besser geworden wäre.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nicht schlecht; auch der verlinkte Würfelzauber.
Und Julis Frisur ist natürlich zauberhaft...
Juli Tkotz am Permanenter Link
Ohne die Frisur klappt das mit dem Zaubern auch nicht ;-) Gefühlte Evidenz.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Dachte ich mir schon, haha; ist ja fast schon selbstevident. Geht mir mit meiner Bürste ähnlich (s. FB-Anfrage). ;-)