Tim Julian Ruster bei "Skeptics in the Pub" Köln

Die Zerstörung der flachen Erde

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"Du hohle Mettwurst!", "Ihr blöden Globusen!" – wenn Tim Julian Ruster solche "Fanpost" bekommt, dann weiß er: Es gibt sie wirklich da draußen. Menschen, die selbst im Jahr 2020 noch glauben, dass die Erde flach ist. Im Kölner Planetarium und auf seinem YouTube-Kanal "Astro-Comics TV" erklärt er regelmäßig, was sich im Weltall so abspielt – und trifft immer wieder auf sie. Als Gast beim zweiten Online-Termin von "Skeptics in the Pub" Köln am 21. September hatte Ruster so einiges zu berichten.

Viele Flacherdler sind erzkonservative Christen, so sein Eindruck. "Selbst der Papst könnte mit denen nicht viel anfangen." Weiter gebe es starke Überschneidungen mit der Reichsbürgerszene. In diesen Kreisen wiederum erfreut sich Schnulzenmusiker Xavier Naidoo großer Beliebtheit, der im Mai seiner Telegram-Gemeinde die Botschaft von der flachen Erde verkündete. Neu ist das nicht. Laut dem Klatschblatt Gala soll Naidoo schon 2016 einen entsprechenden Nachweis versucht haben. Es heißt, dazu habe er ein Lineal an den Horizont gehalten, um die fehlende Krümmung zu verdeutlichen. Die "Beweisführung" kursiert auch in vielen englischsprachigen Foren.

Immerhin, verglichen mit den eingangs zitierten Rants stellt dieser Versuch einen Fortschritt in Richtung Experiment dar. Leider ist die Erde zu groß, als dass wir ihre Krümmung direkt beobachten könnten, weshalb sich frühe Kulturen tatsächlich auf einer flachen Scheibe wähnten, umgeben von einem Ozean. Der Rand der Welt sei unzugänglich für den Menschen, glaubte man. Tim Julian Ruster stellt hier eine Parallele zu den heutigen Flacherdlern fest, in deren Vorstellung unser flacher Planet einen Rand aus Eis besitzt. Das sei die "final frontier", die letzte Grenze, die wir nicht überschreiten können.

Dass die Erde eine Kugel ist, haben jedoch schon die Griechen vor über 2.000 Jahren erkannt. Die Basis bildeten alltägliche Beobachtungen, wie Ruster anschaulich erklärt: So sah man, wie bei fortsegelnden Schiffen der Mast allmählich von unten bis zur Spitze verschwand, und schloss daraus, dass sie sich auf einer gekrümmten Fläche bewegten.

Außerdem zeigt sich der Erdschatten bei jeder Mondfinsternis kreisförmig. Nur eine Kugel wirft aus jeder Position einen solchen Schatten. Dem Gelehrten Eratosthenes gelang es im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung sogar, mit einfacher Mathematik den Erdumfang zu berechnen, und zwar ziemlich genau. Auch Aristoteles (384 – 322 v. u. Z.) schrieb über die kugelförmige Erde. Seine Texte standen im europäischen Mittelalter hoch im Kurs und trugen dazu bei, dass auch in dieser angeblich finsteren Epoche das Wissen um die Kugelform der Erde nicht verlorenging.

Um ihre These rhetorisch zu retten, stellen die Gläubigen einfach in Abrede, was nicht passt

Und heute? Bei den modernen Flacherdlern hat Tim Julian Ruster zwei Typen von Argumenten ausgemacht. Einiges klingt wissenschaftlich und mag manchen zunächst überzeugen. "Wenn die Erde sich drehen würde, müssten wir das nicht bemerken?", heißt es da etwa. Schließlich spüren wir auch die Drehung auf jedem Kirmeskarussell. Klingt einleuchtend, beruht jedoch auf einem Denkfehler, sagt Ruster. Wir sind Teil des Systems Erde und drehen uns mit ihr.

Unzählige wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen gegen die These von einer flachen Erde. Um ihre These rhetorisch zu retten, stellen die Gläubigen einfach in Abrede, was nicht passt. So behaupten sie, die Sonne könne gar nicht brennen, weil es im Weltall keinen Sauerstoff gibt. Doch anders als eine Kerzenflamme entsteht die Sonnenenergie durch Fusion, ganz ohne Sauerstoff. Damit das Weltbild der Flacherdler funktioniert, behaupten einige auch, die Sonne sei viel kleiner als angenommen, so dass sie jeweils nur Teile der Erdscheibe beleuchten könne.

Tim Julian Ruster, Screenshot YouTube
Tim Julian Ruster, Screenshot: YouTube

Wissenschaft geht freilich anders, betont Tim Julian Ruster: Am Anfang steht die Feststellung der Fakten, dann beginnt die Suche nach Erklärungen. "Für die Flacherdler dagegen steht das Ergebnis schon fest: Die Erde ist flach. Dann überlegen sie: Wie kommen wir dahin?"

Diese Strategie leitet fast zwangsläufig zu anderen Weltraum-Schwurbeleien über, etwa zur Leugnung der Mondlandungen. Die seien ein Fake der NASA, genau wie die Internationale Raumstation ISS. Und schon vollzieht sich der Übergang von der Argumentation des ersten pseudowissenschaftlichen Typs zu Typ Numero zwei, den Verschwörungsmythen. Demnach werde das Wissen um die flache Erde von einer sinistren Weltelite verheimlicht, seien es die Illuminaten, die Freimaurer oder andere Feindbilder.

Man mag hier, wie Ruster, von einer "Pyramide der Verschwörungstheorien" sprechen. Den Einstieg bilden nach seiner Beobachtung oft Storys um die Anschläge von 9/11 oder die Sorge um den Mobilfunkstandard 5G. Beide sind relativ weit verbreitet und lassen sich bis zu einem gewissen Grade nachvollziehen, denn nur wenige Menschen wissen, wie sich Hochhäuser beim Einsturz verhalten oder welche Formen von Strahlungen existieren. Eindeutig und einfach widerlegen lässt sich dagegen, dass die Erde flach ist. Deshalb betrachtet Tim Julian Ruster sie als extremste Verschwörungstheorie.

"Aber wir stellen doch nur skeptische Fragen", mögen Fans der Flacherde nun einwenden. Ist es denn nicht angemessen, nachzufragen, statt den Autoritäten blind zu vertrauen? Solche Einwände kennt Ruster zur Genüge. Mit genereller Ablehnung von Foschungerkenntnissen hat skeptischs Denken nichts zu tun, betont er. "Skeptisch sein bedeutet, Dinge in Frage zu stellen, wo es aus naturwissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist."

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Titelbild: Azimutale äquidistante Projektionen der Kugel wie diese wurden auch als Bilder des flachen Erdmodells adaptiert, das die Antarktis als Eiswand um eine scheibenförmige Erde darstellt. (Wikipedia)

Nachtrag der Redaktion am 30. September 2020: Der von vielen Kommentatoren angemahnte Fehler, der der Aussage des Artikels widersprach, wurde korrigiert.