Das neueste Werk von Andreas Altmann "In Mexiko – Reise durch ein hitziges Land" erscheint am heutigen Dienstag als sein mittlerweile einundzwanzigstes Buch. Damit setzt er ein beachtliches Lebenswerk fort, mit unaufhörlichem Antrieb und auf der Suche nach Geschichten. Er bekommt sie, zahlreiche. Dieses Mal aus Mexiko.
Der nonkonformistische Weltreisende Andreas Altmann begibt sich auf eine "Reise durch ein hitziges Land". Schnell wird bei der Lektüre klar: Dieses Land ist von Drogenkartellen, Gewalt, Mord sowie korrupten Polizisten und Politikern durchsetzt – das sind Altmanns Erzählungen und die der mexikanischen Tageszeitungen. So kommt selten eine der ca. 140 Doppelseiten ohne das Wort "Drogen" aus, es ist das omnipräsente Thema. Der Autor lernt beide Seiten kennen, wie er bereits im Vorwort beschreibt: "Bis ans Ende der Reise wird mich der Widerspruch erstaunen zwischen dieser schier rastlosen Hilfsbereitschaft der vielen und dieser (stattlichen) Minderheit, die das Land in Atem hält." (S. 18)
Obendrein durchquert der bekannte Religionskritiker mit dieser Reise ein Land, in dem 93 % der Bevölkerung katholisch ist. Tatsächlich ermuntert er die Leser zum eigenständigen und kritischen Denken. Er selbst kritisiert religiöse Institutionen scharf, doch bleibt gegenüber den religiösen Einzelnen, die er trifft und die er über die Geheimnisse ihres Glaubens ausfragt, gelassen. Widersprüche zeigt er mal sachte und mal provokant auf, stets neugierig auf die Antwort. Mitunter amüsieren ihn die Antworten, die er auf der Suche nach einer Erklärung für den Glauben bekommt. Sein erklärtes Ziel ist es, zu verstehen. Den Prozess dokumentiert er. Direkt vorweg: Es gelingt nicht wirklich, Altmann ist noch immer überzeugter Ungläubiger, doch so lernt man einiges über die Gläubigen und ihre Motivationen.
Altmann reist ohne Furcht, könnte man meinen. Gegenden im Bundesstaat Guerrero wurden vom amerikanischen Außenministerium als "war zone" deklariert. Hier wurden vor 4 Jahren 43 Studenten ermordet, deren Todesumstände von Polizei und Regierung vertuscht wurden. Der Autor kennt Guerrero, insbesondere die Stadt Acapulco de Juáres aus früheren Reportage-Arbeiten noch als Touristenhochburg – doch der Tourismus wurde mittlerweile durch die Kriminalität verdrängt. Zwischenzeitlich war Acapulco sogar Mord-Welthauptstadt. Wenige Tage nach seiner Ankunft werden in einer Strafanstalt 28 Personen mit fast ausschließlich stumpfen und spitzen Gegenständen ermordet (nur eine einzige Feuerwaffe war dabei), eine besonders brutale Schlacht. Das schockt, auch die Vorstellung der veröffentlichten Bilder in der Zeitung. Nicht weit vom Ort des Geschehens trifft Altmann auf eine Statue von Gandhi. Er hat eine Schwäche für diese Widersprüche. Eine kurzerhand durchgeführte Erhebung unter 17 Befragten ergibt jedoch ein ernüchterndes Ergebnis: Niemand kennt den pazifistischen Widerstandskämpfer.
Danach möchte er sich zu der Calle Aguas Blancas begeben und fragt einen Einheimischen nach dem Weg. Dieser rät ihm dringend von der Weiterreise ab: "Vor Wochen hätten sie einen amerikanischen Touristen dort erschossen, kurz darauf sei eine Französin verschwunden." An anderer Stelle erklärt Altmann (den Lesern, nicht dem Mexikaner): "Erfahrungen sind – das ist eine kleine, ewige Wahrheit – an gefährlichen Plätzen eindringlicher", also spaziert er trotzdem, oder gerade deswegen, los. So kann man es auch sehen.
Diese Abschnitte zeichnen ein düsteres Bild, von dem man sich nicht abschrecken lassen sollte, denn die schönen Momente, die Straßenfeste und Ausdrücke der Lebensfreude kommen bei alldem nicht zu kurz. Altmann wird angezogen von Menschen, die sich einem Handwerk oder der Liebe verschreiben. Er ist fasziniert von Personen, die sich einer einzelnen Tätigkeit widmen, ohne Ablenkungen durch Fernsehgeräte oder Smartphones.
Das sind nur ein paar Eindrücke, die man aus dem Buch mitnimmt. All das wird angetrieben, von der Furcht, zitiert nach David Thoreau, "sterben zu müssen und dabei festzustellen, nicht gelebt zu haben" (S. 99). Das Aufstehen, Rausgehen und Erleben ausgelöst durch diese "Angst als Peitschenhieb" füllt nun 21 Bücher. Andreas Altmann lässt die Leser durch sein innig geliebtes Medium der Sprache, mit welcher er spielerisch einen bilderreichen Film in unseren Köpfen ablaufen lässt, miterleben.
Andreas Altmann, In Mexiko - Reise durch ein hitziges Land, Verlag Piper, 2018, 288 Seiten, ISBN 978-3-492-05766-0, 20,00 Euro (eBook 18,99 Euro)
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Andreas Altmann lässt [...] miterleben."
So ging es mir schon bei dieser schönen Rezension!
frischmann am Permanenter Link
Ach ich freue mich auf das neue Buch von A.A.
Die Rezension weckt Vorfreude und macht Lust aufs Lesen.
Andreas Leber am Permanenter Link
"Schaffe, schaffe, Häusle baue - und wer am reichschde stirbt, hat gwonne." Oder die Altmann-Variante "lebe, lebe, nix verpasse - und wer am erfahrungsreichschde stirbt, ...".
Jeto DiMarlio am Permanenter Link
Ich habe gleich mehrere Exemplare dieses Buchs erworben, in der Hoffnung, damit das Erscheinen eines weiteren Altmann-Schundschriftchens ein paar Tage hinauszuzögern.