Kreuzfreund Söder stellt sich bewusst gegen das Recht. Auch in den USA hätte er keine Chance.

Religion als Laienschauspiel

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Biologisch abbaubar im Bestfall. Geistig überwunden sind religiöse Bekenntnisbasteleien ja schon lange

Im Vorfeld der Landtagswahl im Oktober inszeniert sich Markus Söder als aufrechter Glaubenskämpfer und verstößt dabei bewusst gegen geltendes Recht. In den USA werden Kreuzfreunde wie er seit Jahren gerichtlich zur Unterlassung verdonnert – dank der "Freedom From Religion Foundation".

Katholizismus und Laienschauspiel stehen sich traditionell nahe, und im Laienschauspiel findet der Katholizismus auch seine Nähe zum Berufspolitikertum. Was Markus Söder da, ein paar Monate vor der Landtagswahl, veranstaltet, werden vermutlich auch im Land Bayern die wenigsten Wahlwilligen wirklich ernst nehmen. Zu offensichtlich ist das Kalkül des Mannes, desse politische Inhalte meist nahelegen, dass die Bergpredigt des christlichen Erlösers ihm ähnlich nahe gehen wie Maos rotes Buch oder das Lied von den Nordseewellen: Söder, so kann man unterstellen, ist der Glaube ein Schinkenbrot; was ihn interessiert, sind die Geste, das Foto, und der Gegenwind, die sie provozieren. Im allgemeinen Getümmel will er bis zum 14. Oktober als der Mann dastehen, der die so genannten bayerischen Werte vertritt, ein Pfundskerl von einem Landesvater. Ob das so richtig gut funktionieren wird, weiß der Himmel. Vielleicht sind die Bayern ja gar nicht mehr das  hinterwäldlerische Volk, auf das die CSU so offensichtlich setzt? 

Seine scheinbare Mannestat, das Aufhängen eines Plus-förmigen Kreuzes, das den Ober-Bayern auf den Fotos aufwerten soll, kann er dabei nur durchführen, indem er seine Waffe entschärft: Das Kreuz in Behörden sei nicht Ausdruck einer Religion, behauptet er keck, sondern halt irgendwie so ein allgemeines Symbol für das, was man, ohne inhaltlich näher drauf einzugehen, unter abendländischer Kultur subsumiert.

Er folgt damit einer Vernebelungstaktik, die von Söders Seelenverwandten in den USA oft probiert worden ist, wenn die Aufklärung an christlichen Symbolen im öffentlichen Raum zu rütteln begann: Man spricht ein paar Zauberworte, die das Kreuz gleichzeitig kleiner und größer machen, indem es nicht mehr festklopfbar für das Christentum steht, sondern allgemein für die "Kultur". Schon meint man, jeder Zugriff aufs Kreuz müsse nun zwingend an ihm vorbeigehen.

In den USA ist, wie hier, die Rechtslage allerdings reichlich klar: Der Staat ist mit keiner wie auch immer gearteten Religion zu identifizieren, keiner von ihnen hat er ein Vorrecht einzuräumen. Seit vielen Jahren führt dort vornehmlich die Freedom From Religion Foundation FFRF ihren Kampf gegen Kreuze, die angeblich eine Botschaft der Nächstenliebe verkünden sollen, in Wahrheit aber eine Herrschaftsgeste sind, so wie das Hissen einer Landesfahne über einer eroberten Festung. Da auch die USA kein christlicher Gottesstaat sind, sondern per Verfassung eine Religionsfreiheit garantieren, sind die Prozesse der FFRF über die Jahre sehr oft erfolgreich gewesen. Zuletzt haben sie die Entfernung eines wuchtigen Kreuzes in einem Park in Santa Clara (Kalifornien) gerichtlich durchgesetzt. Immer wieder kämpfen sie erfolgreich gegen die landesweite Plage der Zehn-Gebote-Tafeln vor Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden.

Im Jahr 2016 hat die FFRF unter anderem einen Sheriff auf den Pfad der weltlichen Erleuchtung geführt, der alle Polizeiautos in seiner Verfügungsgewalt hatte mit Kreuzen bekleben lassen. Manchmal wird der Kampf schon ein wenig kurios, etwa, wenn jahrelang um ein Jesus-Ölbild in einer Schule in Ohio gestritten wird, oder die Stadt Whiteville in Tennessee nach erbitterter Fehde das Kreuz auf ihrem Wasserturm nicht entfernt, sondern nur einen Arm davon abmontiert, der Bürgermeister aber nicht unterlässt, den Medien mitzuteilen, er halte die Klageführer für "Terroristen".

Vom Schmunzeleffekt lassen sich die FFRF und ihre Anwälte ebenso wenig schrecken wie von der erbitterten Gegenwehr jener Traditionalisten, die sich selbst für christlich erklären. Die FFRF setzt in kleinteiliger Mission durch, was im dritten Jahrtausend selbstverständlich sein sollte, aber im Filz zwischen Kirchen, Politik und Behörden dann gern mal vergessen wird: Keine Religion hat über den freiheitlich und demokratisch organisierten Staat irgendeinen Anspruch anzumelden.

Dass gerade das christliche Hinrichtungskreuz allem entgegensteht, was man seinen Kindern in einer vorwärtsgewandten, menschenfreundlichen Welt mitgeben möchte, wird in der Causa Söder klar wie selten zuvor. Es ist ja nicht die Brutalität, nicht nur der Drohcharakter. Es ist auch die innere Widersprüchlichkeit des Kreuzsymbols, die sich in Söders vermeintlich schlitzohrigem Auftritt spiegelt: Was eine Demutsgeste sein soll – Jesus lässt sich hinrichten, weil er die Menschen so lieb hat –, kommt gleichzeitig mit der größtmöglichen Anmaßung daher. Gott lässt sich möglichst hoch annageln, auf einem Hügel, an einem Kreuz, damit alle es sehen können. Und alle sich schuldig fühlen. Was eine Hingabe an die Menschheit zu sein vorgibt, formuliert gleichzeitig einen Herrschaftsanspruch und strahlt wie ein Radiosender ein schlechtes Gewissen in die Welt: Ihr, nichtswürdige Menschen, habt ihn, den Gott, ermordet!

Das ist die Geschäftsgrundlage des Christentums seit jeher, in diesem Zeichen und mit diesem Anspruch ist es, unter Blutvergießen und seelischer Drangsal, zu einer weltweiten Macht mit enormer Lobbywirkung herangewachsen. Die natürlich von Männern geführt wird. Wenn Markus Söder das Christenkreuz irgendwo an die Wand pappt, sieht man von Nächstenliebe, Empathie und Barmherzigkeit nichts: Mia san mia, sagt dieses Kreuz, es kommt mit dem hemdsärmeligen Selbstbewusstsein langjähriger Machthaber daher, denen Werte ebenso schnurzpiep sind wie die Kruzifix-Urteile etwa des Bundesverfassungsgerichts oder des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.