Hamburg, es ist der 10. November 2012. In der gemeinsamen Wohnung der beiden Seniorinnen Elisabeth W. (85) und Ingeborg M. (81) liegt ihr "letzter Wille" auf dem Tisch. Das Dokument dient zur Absicherung von Privat.-Doz. Dr. med. Johannes F. Spittler, der den doppelten Alterssuizid an diesem Tag bis zum friedlich eingetretenen Tod begleitet. Danach wartet Spittler vor Ort auf die Polizei, die er selbst gerufen hat.
Der "Suizidhilfe-Straftatbestand" § 217, der erst 2015 in Kraft getreten ist, gilt für diese "Tat" noch nicht. So hat die Hamburger Staatsanwaltschaft auch fünf Jahre benötigt, um ein anderes "Straftatskonstrukt" zu begründen und ein entsprechendes Verfahren vor dem Großen Strafsenat des Hamburger Landgerichts einzuleiten.
Erst am 1. November 2017 kann sie ihr Plädoyer vortragen: Sie fordert 7 Jahre Gefängnis für Spittler aufgrund des § 212 StGB wegen "Totschlag durch vorsätzliche Täuschung". Eine Woche später, am 8. November verkündet der Vorsitzende Richter den Freispruch Spittlers mit den Worten: "Wir sind davon überzeugt, dass Sie sich in Bezug auf den von Ihnen begleiteten Doppelsuizid unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht haben."
Doch die Staatsanwaltschaft will in ihrem Eifer nicht nachlassen, kündigt Revision bis vor den Bundesgerichtshof an. Sie hält als Vorwurf gegen Dr. Spittler aufrecht, dass er keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet bzw. veranlasst hat. Sobald die Frauen bewusstlos geworden waren, so meint die Staatsanwaltschaft, sei er dazu nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (noch aus den 1980er Jahren!) verpflichtet gewesen.