Gesetzentwurf zur Abschaffung des Tanzverbots in Bayern

Wo der Tanz ist, ist der Teufel!

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Fröhlich tanzende Menschen – in kirchenhistorischer Vorstellung ein Einfallstor für den Satan.
Fröhlich tanzende Menschen

Neidvoll blicken die geistlichen Würdenträger vor allem der katholischen Kirche auf das Volk hinunter. Während sie sich selbst – nach außen hin – zölibatär verhalten müssen, darf sich das "gemeine" Volk "fleischlichen Gelüsten" hingeben. Gemeint ist: Mann und Frau haben das Recht, sich – körpernah – rhythmisch zu bewegen. In Bayern ist ihnen das jedoch an neun Tagen im Jahr verboten. Nun wollen die Grünen das Feiertagsgesetz aus dem Jahr 1980 ändern und die hauptsächlich religiös begründeten Freiheitsbeschränkungen von Anders- und Ungläubigen beseitigen.

Die meisten parlamentarischen Initiativen der Oppositionsparteien finden in den Medien selten ein Echo. Einer der Gründe: mangelnde Erfolgschancen. Und es ist damit zu rechnen, dass auch der Gesetzentwurf der grünen Landtagsfraktion zur "Abschaffung des Tanzverbots an stillen Tagen" keine Mehrheit im Parlament findet. Doch das bisherige Medienecho lässt hoffen, dass die Bevormundung der Bevölkerung durch religiös fundierte Einschränkungen der Handlungsfreiheit zumindest langfristig ein Ende finden wird.

Die Initiative zur Abschaffung des Tanzverbots an stillen Tagen geht von der kulturpolitischen Sprecherin der Grünen aus: Sanne Kurz, verheiratet, Mutter von vier Kindern, berufliche Erfahrungen als Kamerafrau und Filmemacherin sowie Dozentin unter anderem an der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) München. Sie hat einen guten Draht zu den im Kulturbereich tätigen Künstler*innen und kennt ihre Probleme besser als viele andere Vertreter*innen des Volkes. Ihr Ziel ist es, die Sonderbehandlung des Kulturgutes Tanz zu beenden.

Besäufnis am stillen Aschermittwoch

Im ersten Teil ihrer Rede zur Einbringung des Gesetzentwurfs im Landtag ging Sanne Kurz auf die Widersinnigkeit der Regelungen ein, die an "stillen" Tagen für Kultur- und Sportstätten gelten: Danach seien – mit musikalischer Umrahmung – Boxkämpfe, Fußballspiele, Schützenwettbewerbe, Cheerleading und Turniertanz erlaubt. In öffentlich zugänglichen Gaststätten dürfe man sich an "stillen" Tagen betrinken und am Aschermittwoch in aufgeheizter Stimmung bei Blasmusik, Bier, Weißwurst und Brezen schenkelklatschend die Reden von Politiker*innen anhören, ohne auch nur im Geringsten gegen das Feiertagsgesetz zu verstoßen. Verboten sei nur das Tanzen.

Warum diese Ungleichbehandlung? Nun, für einen Aspekt lässt sich eine leicht nachvollziehbare Antwort finden: Bei einem Alkoholverbot an "stillen Tagen" müsste wohl die Abendmahlsfeier ausfallen, es sei denn, der alkoholhaltige Wein wird zuvor in einen alkoholfreien Wein verwandelt.

Welche Tage sind in Bayern "stille Tage"?

In Artikel 3 Absatz 1 Feiertagsgesetz werden neun Tage zu "stillen Tagen" erklärt: Aschermittwoch, Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag, Allerheiligen, der zweite Sonntag vor dem ersten Advent als Volkstrauertag, Totensonntag, Buß- und Bettag, Heiliger Abend. "Der Schutz der stillen Tage beginnt um 2.00 Uhr, am Karfreitag und am Karsamstag um 0.00 Uhr und am Heiligen Abend um 14.00 Uhr; er endet jeweils um 24.00 Uhr."

Was ist nach Absatz 2 erlaubt? "An den stillen Tagen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur dann erlaubt, wenn der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist. Sportveranstaltungen sind jedoch erlaubt, ausgenommen am Karfreitag und am Buß- und Bettag. Am Karfreitag sind außerdem in Räumen mit Schankbetrieb musikalische Darbietungen jeder Art verboten."

Historische Erkenntnisse

Woher kommt die Fixierung auf das Tanzverbot als Störelement an einem "stillen" Tag? Bei ihren Recherchen stießen Sanne Kurz und ihre Mitarbeiter*innen auf eine Reihe von historisch gesicherten Erkenntnissen über das Tanzen. So interpretierte eine Reihe von Kirchenautoritäten des 3. und 4. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung (u.Z.) das Tanzen als vollkommenen Ausdruck religiöser Hingabe. Erst danach erließen Konzilien und Synoden Zug um Zug Tanzverbote. Johannes von Antiochia, Erzbischof von Konstantinopel (verstorben 407 u.Z.), schrieb: "Dort, wo der Tanz ist, da ist der Teufel." Und der Kapuziner Dionysius von Lutzenberg predigte im Jahr 1688: "Der Satan hat keine Zeit lieber als beim Tantzen." Trotzdem gab es insbesondere im Katholizismus jahrhundertelang eine Tradition sakralen Tanzens, wie bei Valeska Koal, der Lehrbeauftragten für historische Musikwissenschaft an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover unter "Detestatio choreae. Eine anonyme Predigt des 14. Jahrhunderts im Kontext der mittelalterlichen Tanzpolemik" nachzulesen ist.

Biblische Tanzaufforderungen

Wer in die Bibel schaut, wird ebenso fündig. Psalm 149: "Israel soll sich über seinen Schöpfer freuen, die Kinder Zions über ihren König jauchzen. Seinen Namen sollen sie loben beim Reigentanz, ihm spielen auf Pauken und Harfen"; Psalm 150: "Lobt ihn mit Pauken und Tanz, lobt ihn mit Flöten und Saitenspiel"; Psalm 30: "Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet". Kein Wunder also, dass der Franziskaner Astesanus de Asti (verstorben 1330 u.Z.) Tanzen als heil- und gesundheitsfördernd anerkannte.

Seelische Erhebung ist subjektiv

Das Tanzverbot leitet sich aus Artikel 139 Weimarer Verfassung in Verbindung mit Artikel 140 Grundgesetz ab: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Doch was ist eine "seelische Erhebung" angesichts der Trinkgelage, die an "stillen" Tagen in Gaststätten zugelassen sind? Sanne Kurz fragt zu Recht, wer festlegen soll, wobei und worin ein Individuum seine persönliche seelische Erhebung finden soll: beim Fußballspielen, beim Zuschauen, beim Turniertanz, am Tresen einer Bar mit Hintergrundmusik?

Wie stellen sich andere Parteien dazu?

Norbert Dünkel, CSU, Jan Schiffers, AfD, und Johann Häusler, Freie Wähler, lehnen den Gesetzentwurf klar ab. Man brauche stille Tage, stille Tage dürften nicht durch Tanzen gestört werden. Keiner der drei Redner ging auf die das Feiertagsgesetz karikierenden Entwicklungen und Auswüchse bei den zugelassenen Aktivitäten ein. Auch Alexandra Hiersemann, SPD, Mitglied der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und anderen kirchlichen und kirchennahen Organisationen, stellte sich ebenfalls gegen den Gesetzentwurf. Allerdings hält sie sich – und wohl auch der SPD-Fraktion – ein Hintertürchen offen: Sie werde die "Ausschussberatungen ebenso kritisch wie interessiert begleiten" und sie sei auch diskussionsbereit zu einer vollkommenen Abschaffung der stillen Tage. Einzig Martin Hagen, FDP-Fraktionsvorsitzender, unterstützt die Abschaffung des Tanzverbots an stillen Tagen mit der Begründung, dass erlaubt sein solle, "was keinen Dritten in seiner Handlungsfreiheit einschränkt".

Und in der Tat: Niemand wird an stillen Tagen zum Besuch einer Tanzveranstaltung verpflichtet. Er oder sie kann daheim bleiben, einen Spaziergang machen, eine Kirche oder einen anderen Ort aufsuchen. Anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie an welchen Tagen zu leben haben, dass sie punktgenau dasselbe zu empfinden haben, ist keine gute Voraussetzung für ein auf Toleranz bauendes friedliches Zusammenleben in einer heterogenen Gesellschaft.

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