Veranstaltung mit Horst Dreier

Staat und Kirche oder Staat ohne Gott?

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Auf dem Podium der Akademie für Politische Bildung Tutzing: Prof. Ursula Münch und Prof. Horst Dreier.
Podium der Akademie für Politische Bildung Tutzing

Beim diesjährigen Forum Verfassungspolitik der Akademie für politische Bildung Tutzing stand das in diesen Zeiten vieldiskutierte Thema "Staat und Kirche" auf dem Programm. Einer der Referenten, der Jurist und Rechtsphilosoph Horst Dreier, widmete sich am Abend des ersten Tages dem Thema "Staat ohne Gott – Grundstrukturen des säkularen Staates".

Schon mit den ersten Worten stellte Horst Dreier klar: Er hätte seinem im März 2018 erschienenen Buch den Titel "Der säkulare Staat" geben wollen. Der Verlag C.H. Beck wählte jedoch den – wie sich später herausstellte – zugkräftigeren Titel "Staat ohne Gott". Für den hpd hatte kurze Zeit später der Politikwissenschaftler und Soziologe Armin Pfahl-Traughber eine Rezension verfasst und dabei hohes Lob ausgeteilt. Die Zuhörer in Tutzing bekamen nun von Horst Dreier eine kurze Zusammenfassung seiner Analyse über die "Religion in der säkularen Moderne" zu hören.

"Staat ohne Gott" heißt weder "Welt ohne Gott" noch "Gesellschaft ohne Gott" oder gar "Mensch ohne Gott". Der Titel zielt vielmehr auf den Umstand, dass der Staat in der modernen säkularen Grundrechtsdemokratie auf jede Form religiöser Legitimation zu verzichten hat und sich mit keiner bestimmten Religion oder Weltanschauung identifizieren darf. Religionsfreiheit der Bürger und weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates sind die beiden Säulen, auf denen die Säkularität des freiheitlichen Verfassungsstaates beruht. Nur in einem Staat ohne Gott können alle Bürger gemäß ihren durchaus unterschiedlichen religiösen oder sonstigen Überzeugungen leben, während der Staat sich zur absoluten Wahrheitsfrage distanziert verhält, weil ihm dafür die Kompetenz fehlt.

Die verschiedenen religiösen Gruppen können sich überhaupt nur dann ungehindert als gleichberechtigte Freiheitsträger mit umfänglichen Betätigungsmöglichkeiten entfalten, wenn der Staat sich weltanschaulich strikt neutral verhält. Auch Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, sieht das so. Religionsfreiheit als universales Menschenrecht könne "nur verwirklicht und gesichert werden, wenn die staatliche Ordnung einen säkularen, demokratischen Charakter trägt und eine Pluralität von Meinungen und Gruppen zulässt".

Früher gab es eine Verschmelzung von Staat und Religion: Kaiser und Könige empfanden sich von Gott auserwählt und ließen sich mit "Gottes Segen" krönen – nicht nur hierzulande, sondern zum Beispiel auch bei den Inkas oder im antiken Ägypten. Die Gottbezogenzeit diente auch zur Absicherung der Machtbasis. Es brauchte in deutschen Landen erst entsetzliche Religionskriege und etliche Friedensschlüsse (u.a. Augsburger Religionsfrieden 1555, Westfälischer Frieden 1648), bis es 1848/49 (Frankfurter Reichsverfassung) und vor allem 1919 (Weimarer Verfassung) sowie 1949 (Grundgesetz) zu einer verfassungsmäßigen Trennung von Staat und Religion kam.

Je heterogener eine Gesellschaft, desto größer das Konfliktpotenzial. Eine solche Konstellation erfordert strikte staatliche Neutralität. Man darf die Augen aber nicht vor der Ambivalenz des Religiösen verschließen. Religiöse Orientierung kann durchaus zu einer substantiellen Ressource für ein freiheitliches politisches Gemeinwesen werden, sie kann dieses aber genauso gut durch Desinteresse gefährden, durch Missachtung diskreditieren oder aufgrund konträrer Ordnungsvorstellungen gezielt torpedieren. Sosehr Religion den Menschen humanisieren kann, so sehr kann sie ihn auch "barbarisieren".

Am Ende seines Vortrags setzte sich Horst Dreier mit drei Einwänden gegen das Konzept des neutralen Staates auseinander. Er verwies darauf, dass das Neutralitätsgebot aus mehreren Normen des Grundgesetzes ableitbar sei und die Verfassung einen Kompromisscharakter habe. Wertneutralität sei darüber hinaus nicht gleichbedeutend mit Weltanschauungsneutralität. Die Verfassung sei offen für Pluralismus, sie solle Sinnstiftung ermöglichen.

Etwas detaillierter ging der Referent auf eine Veröffentlichung des Schweizer Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht, Markus Müller, ein. Dieser widerspricht der Auffassung, dass Religion Privatsache sei und der Staat nicht neutral sein dürfe, sondern – christlich-jüdisch geprägt – auf Toleranz setzen sollte. Viele der von Horst Dreier vorgebrachten Gegenargumente sind in der Rezension von Gerhard Czermak auf der Webseite des Instituts für Weltanschauungsrecht zu finden.

Der Beifall und die sich dem Vortrag anschließende etwa einstündige Diskussion ließ auf große Zustimmung der Tagungsteilnehmer zur Analyse von Horst Dreiers "Staat ohne Gott" schließen.

Das Tagungsprogramm finden Sie hier.

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