Traditionelle Weltreligionen sind aus der Zeit gefallen

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Individualisierung, Säkularisierung und ein wissenschaftliches Bewusstsein verhindern das Entstehen neuer Weltreligionen. Die traditionellen Religionen lassen sich nicht modernisieren.

Die Welt ist zum Dorf geworden. Wir erleben live, was am anderen Ende der Welt passiert, erfahren aber unter Umständen erst nach ein paar Tagen, dass unser Nachbar schwer verunfallt ist. Das Internet hat die Welt globalisiert, Informationen kennen kaum mehr Grenzen und jagen in Sekunden um die Erde. Mit allen Vor- und Nachteilen.

Die neue Informationstechnik entwickelte sich zum Propagandainstrument, mit dem viele Institutionen ihren Einflussbereich ausbauen können. Trump regierte per Twitter, im Ukraine-Krieg kommt der Kriegspropaganda via Internet eine wichtige Rolle zu.

Dabei gilt fast immer ein Prinzip: Je mächtiger die Person oder Institution, desto größer sind Einfluss und Resonanz im Netz. Nur in einem zentralen Lebensbereich will dieses Muster nicht richtig funktionieren: Die Weltreligionen nutzen zwar die neuen Informationskanäle ebenfalls, der Erfolg hält sich aber in überschaubaren Grenzen.

Der hauptsächliche Grund: Ihre Botschaften sind alt und alles andere als "sexy". Der Newswert, ein wichtiger Faktor im Kampf um Aufmerksamkeit, fehlt komplett. Das Problem: Die traditionellen Glaubensgemeinschaften sind aus der Zeit gefallen.

Traditionelle Religionen lassen sich nicht modernisieren

Traditionelle Religionen lassen sich nicht modernisieren. Ihre Heilskonzepte sind von Gott gegeben und somit in Stein gemeißelt. Gottes Wort ist unteilbar und gilt bis in alle Ewigkeit. So glauben es zumindest die Religionsführer. Und ihre Schäfchen müssen die Dogmen übernehmen.

Das ist propagandatechnisch eine Todsünde. Vor allem in einer schnelllebigen Zeit, in der morgen nicht mehr gilt, was heute State of the Art ist. Da können die Informationsmittel noch so modern sein.

Das müsste eigentlich eine Chance sein für neureligiöse Bewegungen und Sekten, sollte man meinen. Diese nutzen oft professionell alle Kommunikationskanäle und schießen aus allen Rohren im Netz, doch der Erfolg bleibt bescheiden.

Die US-Sekte Scientology zum Beispiel flutet das Internet mit verlockenden Versprechen in allen erdenklichen Sprachen, doch Hubbards Kolonnen krebsen in den meisten westlichen Ländern. Sie behaupten zwar, die am schnellsten wachsende Religion zu sein. Aber das ist ein reiner Propagandatrick.

Der Hauptgrund ist in der Individualisierung der modernen Gesellschaften zu suchen. Im Trend der Selbstverwirklichung wollen sich die Menschen ihre religiösen Ideen und Konzepte selbst zimmern. Religion wird für viele zum Konsumgut wie fast alles in unserer "neuen Welt". Man klaubt sich religiöse Versatzstücke zusammen, die auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnitten sind. So, wie es die Esoterik erfolgreich tut. So funktioniert Religion 2.0.

Diese Praktik wenden nicht nur Religionslose an, sondern oft auch Mitglieder von Weltreligionen. Verschiedene Umfragen haben beispielsweise ergeben, dass bis zu 20 Prozent der Katholiken an die Wiedergeburt glauben. Und etliche reformierte Kirchen bieten Meditation nach esoterischem Vorbild an. Lieber verwässerte Gläubige in der Kirche als ganz leere Bänke beim Gottesdienst.

Die religiösen Bedürfnisse schwinden kaum

Die Beispiele zeigen, dass das religiöse Bedürfnis trotz klarer Säkularisierungstendenzen kaum schwindet. Im irdischen Leben brauchen heute viele Menschen keinen Gott nach biblischer Definition mehr. Sie genügen sich selbst und möchten den Himmel nach ihrem Gusto ausschmücken.

Sie suchen aber eine Rückversicherung für die Zeit nach ihrem Tod. Ob es eine Fortsetzung im Himmel oder eine Wiedergeburt ist, kümmert viele nicht. Hauptsache, sie können mit der Hoffnung oder Vorstellung leben, dass anschließend noch etwas kommt.

Ist das Ende der Weltreligionen gekommen?

Diese Analyse führt mich zur Frage, weshalb sich keine neuen, modernen Weltreligionen entwickeln, die geistig, spirituell und religiös dem heutigen Zeitgeist entsprechen. Die also die psychologischen und soziologischen Erkenntnisse berücksichtigen und die potentiellen Gläubigen dort abholen, wo sie in ihrer geistigen Entwicklung stehen. Eine Religion, die Angebote und Antworten hat, die uns auch helfen, unser Dasein besser zu verstehen und die Lösungen für unsere Alltagsprobleme liefern. Die eben nicht in permanentem Widerspruch mit der Welt sind, wie wir sie erleben.

Die großen internationalen Religionen scheinen ein Auslaufmodell zu sein. Neue Bewegungen, die das Zeug zu einer Weltreligion hätten, sind nicht einmal im Ansatz auszumachen. Dabei sind die Propagandabedingungen dank Internet um Welten besser als zu Zeiten des jüdischen Wanderpredigers Jesus und seines Pendants Mohammed.

Warum das so ist? Darüber lässt sich nur spekulieren.

Einer der Hauptgründe dürfte sein, dass wir im Zeitalter der Information und Wissenschaft nicht mehr an neue Propheten glauben, die uns allmächtige Wesen präsentieren wollen. Unser Realitätssinn wehrt sich dagegen. Es gehört heute zu unserer DNA, für alles und jedes Beweise, wissenschaftliche Belege, empirische Erkenntnisse oder zumindest plausible Erklärungen zu fordern. Das sind Ansprüche, die auch neue Religionen nicht erbringen können.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung von watson.ch.

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