Der Unfehlbare und sein Vasall

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Prof. Dr. Hubertus Mynarek
Prof. Dr. Hubertus Mynarek

ODERNHEIM. (hpd) In seinem aktuellen Artikel setzt sich Prof. Dr. Hubertus Mynarek wieder einmal überaus kritisch mit Hans Küng auseinander. Er attackiert ihn wegen eines Appells an den Papst.

Hans Küng hat einen demütig-flehenden Appell an Papst Franziskus gerichtet: "Lieber Papst Franziskus, lassen Sie uns über die Unfehlbarkeit diskutieren!" Das ist sensationell, atemberaubend, das haut jeden modernen oder postmodernen Menschen vom Stuhl! Da schlägt sich ein bekannter Theologe seit fast fünf Jahrzehnten in zahlreichen Publikationen mit dem Dogma der Unfehlbarkeit herum und kommt nach diesem langen Zeitraum zu dem, wie gesagt, atemberaubenden Schluss, dass er darüber mit dem Papst nur diskutieren wolle. Er lehnt dieses Dogma nicht ab, er möchte nur darüber palavern.

Dabei weiß selbst ein Minderbemittelter, dass kein Mensch, kein einziger (!) in den letzten, allerwichtigsten weltanschaulichen Fragen unfehlbar sein kann. Mit dieser Gewissheit müsste eigentlich jedes weitere Diskutieren über die Unfehlbarkeit des Papstes beziehungsweise der Konzilien definitiv beendet sein. Aber weit gefehlt! Führende Theologen der katholischen Kirche wie Rahner, Ratzinger, Lehmann u.a. haben in diesen fünf Jahrzehnten das Thema immer wieder neu aufgegriffen und – natürlich zu keinem Abschluss gebracht.

Und Küng selbst! Er eröffnete 1970 die Unfehlbarkeitsdebatte mit dem Buch "Unfehlbar?", aber dieser brave, in der Öffentlichkeit als mutig angesehene Theologe versah, wie man sieht, den Haupttitel des Buches artig mit einem Fragezeichen, um der Amtskirche von vornherein zu signalisieren, dass er die Frage der Unfehlbarkeit des Papstes offen lässt, sich nicht absolut festlegen möchte, das letzte Urteil dem Chef im Vatikan überlässt. Und auch sein zweites Buch zu diesem Thema unter dem Titel "Fehlbar?" ist deutlich mit einem Fragezeichen ausgestattet. Um alle Zweifel auszuräumen, er meine es mit diesen Fragezeichen nicht ernst, lautet schon der Untertitel des ersten der beiden Bücher noch zusätzlich: "Eine Anfrage". Wirklich, das ist fast zu viel der Höflichkeit von Seiten Küngs, wenn man bedenkt, worum es hier geht, nämlich um die schon im Ansatz absurde Frage, ob der Papst und / oder die Kirche unfehlbar seien.

Nun könnte man ja achselzuckend sagen: "Na ja, das sind halt Theologen, die immer der Zeit hinterherhüpfen. Da geht’s doch nur um ein rein innerkatholisches Streitgespräch, um ein Gezänk in einem abgeschlossenen Denkghetto, um die Spitzfindigkeiten einer Sekte von Fachidioten, die außerhalb der Realitäten und Bedingungen menschlichen Denkens wirklichkeitsfremde Debatten führen. Selbst die Theologen, die innerhalb dieses Ghettos ganz links stehen, sind noch rechter als der rechteste Anhänger eines nichtkirchlichen, autoritären Systems, das aber für sich keine Unfehlbarkeit von oben, aus Gottes gnädiger Offenbarung beansprucht."

Das soeben Gesagte klingt vielleicht scharf und intolerant. Aber man vergegenwärtige sich die folgende Tatsache: Die an den Debatten um Küngs Bücher zur Unfehlbarkeit beteiligten katholischen Theologen stritten nicht etwas über die Möglichkeitsfrage , also über das Problem, ob innerhalb der wahrheitssuchenden Gesamtmenschheit eine unfehlbare Institution oder Gemeinschaft überhaupt möglich sei. Schon das wäre spätestens seit Kant ein Anachronismus, aber er wäre noch verständlich. Doch für all diese Theologen stand die Möglichkeitsfrage ganz außerhalb der Debatte, auch für Küng selbst.

Debattiert wurde lediglich darüber, wie die Unfehlbarkeit der Kirche sowie des kirchlichen Lehramts und des Papstes zu definieren sei, unter welchen Bedingungen diese Unfehlbarkeit in Kraft trete und als zum Glauben verpflichtend zu gelten habe. An irgendeiner Art Unfehlbarkeit, Indefektibilität usw. der Kirche hält Küng und halten alle seine Mitstreiter und theologischen Gegner auch heute unbedingt und problemlos fest. Selbst Rahner soll im kleineren Kreis ironisch gesagt haben, Jesus hätte von dieser ganzen Unfehlbarkeitsdebatte nichts verstanden. Aber offiziell hat auch er an der Diskussion teilgenommen und sogar seinen Gegner Küng beschuldigt, nicht mehr katholisch, sondern höchstens noch evangelisch zu sein. Alle diese Theologen sind also von allen wirklich denkenden Menschen durch eine Kluft getrennt, die nicht überbrückt werden kann, weil sie in eine eventuelle Diskussion mit diesem Teil der Menschheit, der ohne sakrale Vorgaben aus vergangenen Menschheitsepochen zu denken versucht, mit einer Voraussetzung eintreten würden, die vernunftmäßig nicht zu begründen und nur durch einen merkwürdigen Glauben zu rechtfertigen ist.

Selbst mit ihren und trotz ihrer fortschrittlichsten Theologen, die gerade in Bezug auf die wichtigste erkenntnistheoretische Frage dieser Institution, die Unfehlbarkeitsfrage, mittelalterliche Schmalspurscholastiker geblieben sind, kann die katholische Kirche also nur noch historische Bedeutung, fast möchte man sagen: Bedeutung für die Altertumsforschung beanspruchen.

Aber nochmals weit gefehlt. Viele Zeitungen bringen – wohlgemerkt im März des Jahres 2016! – den neuerlichen flehentlichen Appell des 88-jährigen Küng an den Papst, der möge doch mit ihm wieder über die Unfehlbarkeit diskutieren, ehe er das Zeitliche segne. Er wisse ja, so Küng unterwürfig in seinem Schreiben an den Papst, z.B. von der Süddeutschen Zeitung dankbar veröffentlicht, dass "die Unfehlbarkeitsfrage sich in der katholischen Kirche nicht über Nacht lösen lässt. Doch Sie sind ja nun erfreulicherweise fast zehn Jahre jünger als ich und werden mich hoffentlich überleben. Und Sie werden es sicher verstehen, dass ich als Theologe am Ende meiner Tage, getragen von tiefer Sympathie für Sie und Ihr pastorales Wirken, meine Bitte für eine freie ernsthafte Unfehlbarkeitsdiskussion noch rechtzeitig vortragen wollte, nicht zur Zerstörung, sondern zur Auferbauung der Kirche. Für mich persönlich wäre das die Erfüllung einer nie aufgegebenen Hoffnung."