Der Unfehlbare und sein Vasall

Dieser "tapfere" Reformtheologe Küng ist in seinem ganzen Leben nur gekrochen. Als zum Beispiel am ersten November 1950 Papst Pius XII., assistiert von zahllosen Würdenträgern aus Kirche und Politik, vor einer riesigen Menschenmenge das Dogma: "Die unbefleckte Gottesmutter und immerwährende Jungfrau Maria ist nach Vollendung ihres irdischen Lebenslaufes mit Leib und Seele in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden", verkündete, stand der gute Hans auf dem Petersplatz dabei und nahm dieses Dogma begeistert auf. Noch mehr, er kritisierte die deutschen Theologiestudenten aus Bonn, die damals im Refektorium des päpstlichen Collegium Germanicum zu Gast waren, weil sie Probleme mit diesem Dogma hatten. War doch wenige Wochen zuvor ein langer Artikel des Theologen Professor Berthold Altaner erschienen, der mit vielen Belegen aufzeigte, "dass dieses Dogma noch nicht einmal eine historische Grundlage in den ersten Jahrhunderten der Kirche hat". Es gehe zurück auf eine Legende in einer "von Wundern übervollen apokryphen Schrift aus dem fünften Jahrhundert". Aber er, Küng, meinte damals, die deutschen Theologiestudenten seien durch ihre rationalistischen Universitätsprofessoren von der wahren Erkenntnis und Anerkenntnis des Dogmas abgehalten worden. Denn sehr wohl könne man, so Küng damals, auch der Heiligen Schrift entnehmen, dass "Maria voll der Gnade" war, dass der Herr immer mit ihr gewesen sei, so dass zwar nicht explizit, aber implizit das Dogma in solchen Aussagen des Neuen Testaments enthalten sei.

"Voll der Gnade" war tatsächlich diese junge Frau Maria, die selber nicht wusste, was da mit ihr geschah, als sie zur unbefleckten Gottesmutter, immerwährenden Jungfrau Maria und zur leiblichen Aufnahme in den Himmel auserkoren wurde, wo sie doch wusste, dass sie ein uneheliches Kind in ihrem Schoß trug, so dass selbst ihr Verlobter, der treue Josef, zu zweifeln begann, weil er doch mit ihr intim noch gar nicht zusammengekommen war. Aber die Kirche hat das ja ganz schnell bereinigt, indem sie den Heiligen Geist als den Haupttäter ins Spiel brachte. Fromme Katholiken lesen doch nicht mal die Evangelien, sonst könnten sie diesen Sachverhalt sogar der Kindheitsgeschichte Jesu entnehmen.

Aber man kann jetzt auch Hans Küng besser verstehen. Dem hat man selbst dieses Mariendogma so eingebläut, dass er bis heute von der kirchlichen Tradition nicht ganz loskommt. Nein, Küng, der treue Sohn der Kirche, der in ihr, wie er wiederholt betont, bleibend seine Heimat hat, lehnt das Dogma der Unfehlbarkeit trotzdem nicht ab. Er bleibt konstant bei seiner "Anfrage", fragt nur höflich bei der Amtskirche nach: "In der Tat", so Küng, "die katholische Kirche und ihre Leitung sollten es nicht als Angriff von außen, sondern als Hilfe von innen erkennen, wenn in dieser Sache angefragt und nachgefragt wird." Selbst an den damals regierenden autoritären Papst Johannes Paul II. wandte sich Küng mit der demütigen Bitte um Hilfe in dieser Frage: "Hofft man zu viel, wenn man von Ihnen … einen entscheidenden Schritt zur ehrlichen Klärung der bedrängenden Unfehlbarkeitsfrage erwartet?"

Dabei weiß doch Küng in Wirklichkeit durchaus Bescheid, er weiß durchaus, verdrängt es aber offenbar, mit welch rüden Methoden, brutalen Schikanen, raffinierten Pressionen, Wahlmanipulationen, Fälschungen, Fehlinterpretationen, Denunziationen und Täuschungsmanövern das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit durchgesetzt wurde. Und jener, der es tyrannisch durchboxte und sich als erster Papst als unfehlbar proklamierte, Pius IX. (1846 – 1878), hatte Visionen (zum Beispiel die "Vision der Jungfrau Maria …, die ihn der Unfehlbarkeitslehre vergewisserte") und war nur zum Teil zurechnungsfähig. Die Urteile anerkannter Psychologen und Psychiater stimmen darin überein, Papst Pius IX. eine "abnorme Persönlichkeit" und "abnorme Züge" bis hin zur Schizophrenie zu attestieren.

Und Papst Franziskus: Was sagt der als von Küng im März 2016 Angesprochene, wo doch Küng ihn so herzlich um eine Antwort bittet und dabei das ganze Repertoire dessen, was er in der Unfehlbarkeitsdiskussion schon geleistet habe, hervorholt? "Es ist mein 88. Lebensjahr, und ich darf sagen: Ich habe keine Mühe gescheut, um für Band 5 meiner Sämtlichen Werke die zahlreichen einschlägigen Texte zu sammeln, sie nach den verschiedenen Phasen der Auseinandersetzung chronologisch und sachlich zu ordnen und durch den biografischen Kontext zu erhellen. Mit diesem Buch in der Hand möchte ich jetzt einen Appell an den Papst wiederholen, den ich während der jahrzehntelangen theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzung mehrfach vergebens erhoben habe. Inständig bitte ich Papst Franziskus, der mir stets brüderlich geantwortet hat."

Der Papst wird ihm was pfeifen. Der habe ihm zwar, so Küng, stets brüderlich geantwortet, behauptet er, was eine Übertreibung ist, weil der Papst immer nur kurz dankend den Empfang seiner Briefe quittiert hat. Aber Schlitzohr Franziskus wird natürlich das Dogma der Unfehlbarkeit nicht aufheben, er wird das nicht mal in Betracht ziehen. Ihm macht es nichts aus, das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes unangetastet zu lassen und trotzdem salopp und leichtfertig allerlei Fehlbares in der "Leichtigkeit des Seins" öffentlich und publikumswirksam zum Besten zu geben, um den Schein seiner großen Liberalität zu verbreiten. Sprüche wie "Gott ist nicht katholisch" (obwohl dann ja auch der höchste Hierarch der Kirche, der Papst, nicht unfehlbar und nicht sein eigentlicher Vertreter auf Erden sein kann), oder die Aussage auf seiner bisher letzten Reise auf die griechische Insel Lesbos vor Flüchtlingen: "Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums." Eine glatte Lüge des Kirchenoberhaupts, denn die Logik des Evangeliums ist der genaue Gegensatz, über 70 Mal droht es die ewige Höllenstrafe an. (Es gibt Theologen, die mit allen möglichen Tüfteleien auf nur etwa 30 Drohungen mit der ewigen Hölle im Neuen Testament kommen, aber das reicht ja auch schon).

Nein, dieser Papst wird trotz der flehentlichen Bitten des sich ständig in Reformanträgen versuchenden Küng am Unfehlbarkeitsdogma nicht rütteln. Wie sagte es doch ein prominenter, pfiffiger Theologe wie Professor Wolfgang Beinert, ein Musterschüler Ratzingers, anlässlich des neuesten Papstschreibens Amoris laetitia ("Die Freude der Liebe"): "Er (gemeint ist der Papst) ändert nichts und macht doch alles anders." Das kann man nur so kommentieren: "Ein kasuistisches Diktum, auf das wohl nur ein katholischer Dogmatikprofessor kommen kann, für den sich noch selbst im dicksten Phrasennebel ein 'wirkliches Reformschreiben' abzeichnet" (der Journalist I. Bossenz in "nd").

Zum Ganzen ausführlich:
H. Mynarek, "Papst-Entzauberung", Norderstedt 2007;
derselbe, "Papst Franziskus. Die kritische Biografie", Marburg 2015, Tectum-Wissenschaftsverlag;
derselbe, "Warum auch Hans Küng die Kirche nicht retten kann?", 2013 im selben Verlag;
derselbe, "Jesus und die Frauen", Essen 2005, Verlag Die Blaue Eule.