Sterbehilfe

Droht eine "Ökonomisierung des Sterbens?"

Bezugnehmend auf das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben die katholische und evangelische Kirche in Baden-Württemberg eine neue Stellungnahme veröffentlicht. Darin warnen sie vor einer "Ökonomisierung des Sterbens", die durch eine liberale Regelung der Sterbehilfe drohe. Was ist davon zu halten?

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar geurteilt, dass das 2015 beschlossene Verbot der professionellen Sterbehilfe mit dem Recht auf Selbstbestimmung unvereinbar ist. Das Urteil stellte damit eine 150-jährige Rechtstradition wieder her, die nicht zuletzt wegen kirchlichen Lobbyaktivitäten außer Kraft gesetzt wurde. In seiner Entscheidung stellte das Gericht dabei unmissverständlich klar, dass es sich bei dem entsprechenden § 217 StGB um ein "autonomiefeindliches" Gesetz gehandelt habe, das dem Geist unserer Verfassung widerspricht. Der Haltung der Kirchen und ihren Verbotsbestrebungen wurde damit eine klare Absage erteilt.

Die baden-württembergischen Kirchen haben nun in einer gemeinsamen Stellungnahme auf das Urteil reagiert. Sie warnen darin vor einem möglichen Dammbruch, der zu "unfreiwilligen Maßnahmen" und zur "Abqualifizierung von menschlichem Leben als lebensunwert" führen könnte: Ferner könne einer Ökonomisierung des Sterbens Vorschub geleistet werden: "Es besteht die Gefahr, dass mit dem Argument der Selbstbestimmung ökonomisierte Fremdbestimmung einzieht. Das bedroht die Sorge für Schwache und mithin die Menschenwürde massiv", heißt es dazu in dem Papier.

Doch ist diese Sorge berechtigt? Gibt es tatsächlich Hinweise darauf, dass nun ein Geschäft mit dem Tod betrieben wird, welches die Menschenwürde gefährdet? Um diese Fragen zu klären, lohnt ein Blick auf die ökonomische Relavanz der Sterbehilfe. Bei einer umfassenderen Betrachtung wird schließlich deutlich, dass das Problem einer "Ökonomisierung des Sterbens" momentan an anderer Stelle liegt, was von den Kirchen aber bislang kaum thematisiert wird.

Sterbehilfe – Ein lukratives Geschäftsmodell?

Wie viele Personen bisher Sterbehilfe in Deutschland entweder angeboten oder in Anspruch genommen haben, lässt sich nicht genau bestimmen. Laut Statistischem Bundesamt starben 2017 mindestens 9.235 Personen durch Selbsttötung. Derzeit liegen allerdings keine verlässlichen Daten dazu vor, wie viele assistierte Suizide unter welchen Umständen in den vergangenen Jahren durchgeführt wurden. In den offiziellen behördlichen Statistiken zu den Todesursachen werden sie nicht gelistet. Bekannt ist, dass zwischen 1998 und 2019 insgesamt 1.322 deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Freitodbegleitungen bei der Sterbehilfeorganisation Dignitas in der Schweiz in Anspruch nahmen. Anders als die mitgliederstärkste Schweizer Sterbehilfe-Vereinigung Exit bietet Dignitas neben kleineren Organisationen wie lifecircle und Ex International auch eine Begleitung für Ausländer an.

Für die Durchführung einer Freitodbegleitung veranschlagt Dignitas im Regelfall einen Betrag von 10.500 CHF. Darin enthalten sind Kosten für Bürokratie, Behörden, Bestatter und insbesondere auch Ärzte. Für die Freitodbegleitung an sich bleiben kaum viel mehr als rund 2.500 CHF. Eine Reduzierung oder ein Erlass der Beiträge kann von den Mitgliedern beantragt werden. In einem ähnlichen Preisrahmen bewegt sich die Freitodbegleitung durch den Verein Sterbehilfe Deutschland, der seine Tätigkeit nach dem Inkrafttreten des Verbots der geschäftsmäßigen Sterbehilfe unterbrochen hatte. Der Verein leistete nur für seine Mitglieder eine Suizidassistenz – laut eigenen Angaben in 162 Fällen im Laufe der ersten fünf Jahre seines Bestehens seit 2009.

Weder Dignitas noch Sterbehilfe Deutschland verfolgen gemäß ihrer Satzung kommerzielle oder gewerbliche Interessen. Dem Selbstverständnis nach ist Dignitas vielmehr eine Organisation, die mit Hilfe eines Beratungsangebotes sogenannte "Suizidversuchsprävention" betreibt. Menschen von einem Verzweiflungssuizid abzuhalten, könne nämlich nur dort gelingen, wo offen und tabulos gesprochen werden darf. Im Falle einer internationalen Integration der Sterbehilfe in die Gesundheits- und Sozialwesen wolle man die Tätigkeiten des Vereins zudem einstellen.

Was die nicht-organisierte, private Feitodbegleitung betrifft, liegen keine Hinweise auf ein finanzielles Gewinnstreben vor. Wie der Berliner Arzt und Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold in seinem Buch "Letzte Hilfe – Ein Plädoyer für das selbstbestimmte Sterben" erklärt, sei es ihm selbst aufgrund langjähriger Berufspraxis möglich gewesen, Freitodbegleitungen ohne Vergütung durchzuführen. Von Fall zu Fall habe es verschiedene Bezahlungen gegeben. In einigen Fällen sei er über den ärztlichen Regeltarif bezahlt worden, in anderen darunter. Manchmal seien ihm nicht einmal die Reisekosten erstattet worden.

Von einem lukrativen Geschäftsmodell kann also weder bei der organisierten noch bei der privaten Freitodbegleitung die Rede sein. Dazu fehlt es schlicht an konkreten Belegen, die eine solche Hypothese stützen könnten. Solange dies der Fall ist, bleibt der Vorwurf eine haltlose Unterstellung, die deutlich zurückgewiesen werden muss.

Ökonomisierungsdruck durch Sterbehilfe?

Inwiefern lässt sich nun ein Ökonomisierungsdruck in Bezug auf die Sterbehilfe ausfindig machen? Zur Beantwortung der Frage müssen unterschiedliche Ebenen des Sachverhaltes betrachtet werden: Sollten sterbewillige Menschen aus ökonomischen Gründen Sterbehilfe in Anspruch nehmen, geschähe dies primär mit der Absicht einer Verlustvermeidung – im möglichen Interesse der Angehörigen sowie der Gesellschaft. Ob eine solche Absicht tatsächlich handlungsleitend ist, ist allerdings nicht empirisch belegt. Es gibt ebenso wenig Hinweise, dass sich dies in naher Zukunft ändern könnte. Umfragen aus dem Ausland zeigen vielmehr, dass Sterbewillige meist mehrere Gründe für ihren Sterbewunsch angaben. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Sorge, anderen zur Last zu fallen, einziger Grund für einen Suizid gewesen wäre. Im Vordergrund steht bei den meisten Sterbewilligen die empfundene Lebensqualität sowie der individuelle Autonomieverlust.

Die Debatte über die Zulässigkeit der Suizidassistenz ist bis heute von der religiösen Vorstellung einer Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens geprägt. Diese wird jedoch zunehmend durch die Vorstellung eines autonomen Subjekts abgelöst, das für sich in Anspruch nimmt, frei über den Zeitpunkt und die Art des eigenen Sterbens zu entscheiden. Das Angebot der Sterbehelfer ist daher eine Folge der steigenden Nachfrage nach einem selbstbestimmten Leben und Sterben – nicht der Grund für eine Ökonomisierung

Die Kriminalisierung der Sterbehilfe könnte dagegen zu einer Ökonomisierung des Sterbens beitragen – zu Lasten schwerstkranker Menschen. Denn dadurch besteht die Gefahr, dass die finanzielle Situation eines Menschen darüber entscheidet, ob er der eigenen Würdevorstellung gemäß sterben darf oder nicht. Manche Sterbewillige würden ihren Wunsch nach einem assistierten Suizid trotz Verbot und unter großem Aufwand in Deutschland erfüllen oder die Dienstleistung einer Sterbehilfeorganisation im Ausland in Anspruch nehmen.

Ökonomisierung des Sterbens – Der blinde Fleck

Neben der Sterbehilfe gilt es einen wichtigen Aspekt zu beleuchten, der in der Frage nach einer Ökonomisierung des Sterbens nicht außer Acht gelassen werden darf: Die Autonomie und Würde von sterbenden Menschen ist nicht primär durch eine gewünschte Lebensverkürzung bedroht, sondern vielmehr durch lebenserhaltende und -verlängernde Maßnahmen, die nicht im Interesse der Sterbenden stehen und damit ihre Patientenautonomie verletzen. Entsprechende Formen der Übertherapie können durchaus aus einem Ökonomisierungsdruck entstehen.

Entgegen der weit verbreiteten Hoffnung, dass der Tod möglichst schnell und unvorbereitet eintreten wird, sieht die Realität in Zeiten der modernen Gerätemedizin und rasanter medizinischer Entwicklung anders aus. Denn immer weniger Menschen in den Industrienationen werden plötzlich aus dem Leben gerissen. Für viele endet das Leben erst nach einem bewussten Verzicht auf lebenserhaltende Behandlungsmaßnahmen. Vor dem Eintritt des Todes geht nicht selten ein langjähriger Krankheitsverlauf voraus. Ein wachsender Teil der deutschen Bevölkerung stirbt dabei immer häufiger unter institutionalisierten und technisierten Rahmenbedingungen, bei denen ökonomische Prozesse eine weitaus größere und weitreichendere Bedeutung einnehmen als im privaten Umfeld. So ist der Anteil der Todesfälle im Krankenhaus mit Durchführung einer intensivtherapeutischen Behandlung zwischen 2007 und 2015 von 9,8 auf 11,8 Prozent gestiegen.

Auch durch den demografischen Wandel wächst die gesundheitsökonomische Relevanz des Sterbens. Denn die Gesundheitsausgaben steigen im Verlauf des Lebens kurz vor dem Tod exponentiell an. Aus diesem Kostenanstieg folgt ein Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Sterbenden auf der einen und ökonomischen Faktoren auf der anderen Seite. Denn aus rein ökonomischer Perspektive haben Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen durchaus ein Interesse an einem möglichst langanhaltenden Sterbeprozess unter medizinischer Intensivbetreuung: „Das Interesse der technisierten Medizin besteht im Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel, solange diese bezahlt werden", meint dazu etwa der Soziologe Andreas Kögel. In diesem Zusammenhang erklärt der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen: "Unter Effizienz‐ und Effektivitätsaspekten bilden derzeit weniger das – aus internationaler Perspektive umfangreiche – Spektrum des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherungen als vielmehr der nichtindikations‐ und situationsbezogene Einsatz der jeweiligen Leistungen und ihre zu intensive Nutzung das zentrale medizinische und ökonomische Problem."

Die Frage, inwiefern von einer Ökonomisierung in Bezug auf lebensverlängernde und palliativmedizinische Maßnahmen die Rede sein kann, steht nicht zuletzt im Kontext des Finanzierungs- und Vergütungssystems der Krankenhäuser, das im Laufe der Jahre einem starken Wandel ausgesetzt war. Mit dem 1984 erlassenen Krankenhausneuordnungsgesetz (KHNG) wurde neben der prospektiven Selbstkostendeckung eine flexible Budgetierung eingeführt, die erstmals Gewinnerzielungsabsichten zuließ. Zudem wurde mit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (GSG) im Jahr 1993 und der Änderung der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) im Jahr 1994 eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung eingeleitet. Diese Entwicklung mündete 2003 schließlich in einem Verfahren, nämlich dem sogenannten DRG-System, bei dem Krankenhäuser medizinische Leistungen auf Basis diagnosebezogener Fallpauschalen abrechnen. Das Ziel dieser Vergütungsreform bestand insbesondere in der Honorierung wirtschaftlich orientierter Krankenhausführung. Laut der Sozialwissenschaftlerin Kira Marrs setze dieses System damit "deutlich stärkere Anreize für die wirtschaftliche Behandlung der Patienten, als dies früher der Fall gewesen ist. Zugespitzt formuliert, steht nicht mehr allein der kranke Mensch und sein individuelles Schicksal im Mittelpunkt, sondern auch der Erlös, der aus der Behandlung resultiert".

Parallel zur rechtlichen Neufassung des Finanzierungssystems fand eine weitreichende Privatisierung des Krankenhauswesens statt. Während 1991 der Anteil der Krankenhäuser in privater Trägerschaft noch 14,8 Prozent betrug, lag er 2017 bereits bei 37,1 Prozent. Der Anteil öffentlicher Krankenhäuser ist laut Statistischem Bundesamt im gleichen Zeitraum von 46 Prozent auf 28,8 Prozent gesunken.

Was für das Gesundheitssystem im Allgemeinen gilt, hat im Speziellen direkte Folgen für Patientinnen und Patienten, die sich im Sterben befinden. Unter Berücksichtigung der zunehmenden ökonomischen Relevanz patientenbezogener Entscheidungen in Kliniken wird deutlich, dass neben medizinischen Kriterien auch ein Bedeutungszuwachs ökonomischer Kosten- und Gewinn-Gesichtspunkte bei der medizinischen Behandlung sterbender Menschen festzustellen ist. Dies wird nicht nur durch veränderte institutionelle Rahmenbedingungen, sondern auch durch die praxisbezogene Beobachtung von Ärztinnen und Ärzten sowie Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern untermauert.

Wie die Palliativmediziner Matthias Thöns und Thomas Sitte darlegen, kann eine gestiegene Orientierung an Profiten ökonomische Fehlanreize setzen, die zu Behandlungen am Lebensende führen, welche medizinisch nicht indiziert sind: "Wo gewinnorientierte und nicht dem Gemeinwohl verpflichtete Konzerne Behandlungspräferenzen nach den Erlösen bestimmen können, kann es leicht ein Überangebot hochpreisiger und hochtechnisierter Behandlungsverfahren geben und eine Unterversorgung an weniger profitablen personalintensiven Therapien, wie z. B. der Palliativversorgung." Der Neurologe Johannes Jörg geht zwar davon aus, dass die Gefahr einer solchen Übertherapie primär durch das fehlende Vertrauen in eine gestellte Prognose über den Gesundheitszustand der Patienten resultiere. Dennoch könne der ökonomische Druck auf Ärzte so groß sein, dass medizinische Argumente vernachlässigt werden. So werde beispielsweise eine "Beatmung über 24 Stunden hinaus […] pro Tag sehr gut honoriert, so dass man durchaus in Grenzfällen geneigt ist, auch monetäre Gedanken zu berücksichtigen."

Ein vertiefender Blick auf die Umsätze, die mit der Betreuung alter, schwerstkranker und sterbender Menschen erwirtschaftet werden, verdeutlicht die Bedeutung die ökonomischen Dimensionen medizinischer Dienstleitungen am Lebensende: Schätzungen zufolge erzielen Pharmaunternehmen etwa ein Viertel ihres gesamten Umsatzes mit Medikamenten, die Patienten in ihrer letzten Lebensphase verabreicht wurden – in Deutschland circa sieben Milliarden Euro. Auch Hersteller von Sondennahrung erzielen einen hohen Umsatz, der bereits 2005 bei knapp 500 Millionen Euro lag. Von den rund 200.000 Menschen, die über eine PEG-Sonde künstlich ernährt werden, befanden sich dabei knapp 70 Prozent in einem Heim. Daneben ist für den häuslichen Bereich insbesondere die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) von ökonomischer Bedeutung. Wie der Palliativmediziner Bernd Sittig vorrechnet, muss ein SAPV-Leistungserbringer mindestens 278 Euro als Tages-Fall-Pauschale pro Patient erhalten, um keine Verluste einzufahren. Bei einer durchschnittlichen Verweildauer von 28 Tagen und einer geschätzten Betroffenenzahl von 90.000 Patienten beläuft sich der Jahresumsatz auf etwa 750 Millionen Euro.

Am Ende bleibt festzuhalten: Die Behandlung von Sterbenden ist in einen sozialen Kontext eingebettet, in dem Krankenhäuser zunehmend als marktwirtschaftlich ausgerichtete Unternehmen agieren und der somit von einem nicht zu unterschätzenden Ökonomisierungsdruck geprägt ist. Vor allem durch die vorangeschrittene Intensivmedizin ist eine Lebensverlängerung möglich, mit der hohe Umsätze erwirtschaftet werden können. Hier wäre Achtsamkeit und Kritik im Hinblick auf die Gefahren einer profitablen Übertherapie gefragt – ganz besonders auch von den Kirchen.

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