Interview

Projekt 48 veröffentlicht Liste säkularer Gefangener

Weltweit werden Menschen verfolgt, weil ihnen Blasphemie vorgeworfen wird, weil sie religiöse Autoritäten infrage stellen oder weil sie für Weltanschauungsfreiheit und eine säkulare Gesellschaftsordnung eintreten. Viele werden für ihr Engagement ins Gefängnis geworfen. Damit sie nicht vergessen werden veröffentlicht der Verein Projekt 48 Forum für Aufklärung, Emanzipation und Skepsis anlässlich des World Atheist Day am 23. März 2023 erstmals eine Liste säkularer Gefangener. In Zukunft soll dies jedes Jahr erfolgen. Der hpd sprach darüber mit Romo Runt vom Projekt 48.

hpd: Ihr veröffentlicht eure Liste der Säkularen Gefangenen am Atheist Day – ist es nun eine Liste der säkularen oder der atheistischen Gefangenen?

Romo Runt: Politisch gesehen lässt sich das kaum trennen. Für die Anklage muss natürlich Bezug auf einen konkreten Paragraphen genommen werden, aber letztlich geht es immer darum, dass Religionskritik halt auch die gesellschaftlichen Zustände infrage stellt. Religion und Macht sind nun mal häufig nicht zu trennen. Manchmal schlägt sich das sogar in den Anklagepunkten nieder, wenn den Betroffenen einerseits die Beleidigung irgendwelcher Heiligtümer und zugleich die Bildung einer illegalen, die Landessicherheit gefährdenden Vereinigung vorgeworfen wird. Aber sicherlich sind nicht alle Inhaftierten atheistisch.

Was wird den Menschen denn zur Last gelegt?

In den Fällen, die wir bislang dokumentieren konnten, geht es eigentlich immer um "Äußerungsdelikte". Das heißt: Die Menschen haben sich in den Sozialen Medien geäußert, haben zu weltanschaulichen oder politischen Fragen Stellung bezogen, und dann schlägt die Staatsmacht zu.

Ihr habt euch in eurer ersten Liste auf vier Fälle konzentriert. Warum so wenige?

Natürlich gibt es viel mehr Betroffene. Allein im Iran sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen Menschen unter dem Vorwurf der Beleidigung des Propheten oder anderer Heiligkeiten inhaftiert sind. Einige der Fälle wie etwa die Hinrichtung des Rappers Mohsen Shekari wegen "Feindschaft zu Gott" sind von den Medien aufgegriffen worden. Andere, wie der Fotojournalist und Blogger Soheil Arabi, der 2014 bereits einmal wegen "Beleidigung des Propheten" zum Tode verurteilt worden war, aufgrund internationaler Proteste aber nach einigen Jahren freikam und im Januar wieder verhaftet worden ist, haben bereits prominente Fürsprecher gefunden. (Siehe dazu auch den heute erschienenen Text des hpd, Anm. d. Red.)

Also habt ihr euch auf unbekanntere Fälle konzentriert...

Wir haben uns dafür entschieden, vier Fälle aus vier Ländern vorzustellen, die verschiedene Aspekte der Verfolgung säkularer Aktivistinnen und Aktivisten zeigen. Mit Mubarak Bala ist schon jemand dabei, dessen Geschichte zumindest in der säkularen Szene einige Bekanntheit erlangt hat. Die anderen Beispiele sind weniger bekannt, aber auch hier gibt es öffentlich zugängliche Quellen. Es erschien uns wichtiger, den Menschen ein Gesicht zu geben und alles gut belegen zu können, als eine möglichst lange Liste zu erstellen, auf der aber oft nur ein Name steht. Das heißt natürlich nicht, dass wir solche Fälle nicht auf unserer Liste haben. Wir veröffentlichen sie zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht. Aber das kann sich natürlich ändern – fast jeder Fall beginnt mit ersten, noch spärlichen Informationen.

Es fällt auf, dass alle vier Fälle Konflikte mit dem Islam beschreiben. Gibt es in anderen Ländern keine säkularen Gefangenen?

Das ist sehr unwahrscheinlich. Im Humanistischen Pressedienst war vor wenigen Wochen ja von der Festnahme des griechischen Schriftstellers Petros Tatsopoulos zu lesen. Es ist uns bislang noch nicht gelungen, Kontakte nach Indien, Russland oder Südamerika aufzubauen, um auch über dortige Fälle berichten zu können. Wir haben halt nicht die Kapazitäten wie Amnesty International. Andererseits ist der Verfolgungsdruck gegenüber säkularistischen Positionen in islamischen Gesellschaften derzeit wahrscheinlich am größten. Und das führt natürlich dazu, dass sich die potentiell Betroffenen mit den Betroffenen solidarisieren und die Fälle bekannt machen.

Wie seid ihr denn an die Informationen gekommen?

Wir haben viele säkulare Organisationen weltweit angeschrieben und um Unterstützung bei der Suche gebeten. Vor allem die Säkulare Flüchtlingshilfe und der Zentralrat der Ex-Muslime Deutschland haben mit ihren Informationen zur Liste der säkularen Gefangenen beigetragen. Wir gehen schon davon aus, dass hier zunehmend mehr Fälle bei uns ankommen, wenn sich das Projekt erstmal etabliert hat.

Dann also bis nächstes Jahr?

Ja, wir werden zwar kontinuierlich an der Liste arbeiten, aber als Veröffentlichungstermin werden wir zunächst am Atheist Day festhalten.

Hier finden Sie den Link zur Liste der säkularen Gefangenen.

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