Am vergangen Donnerstag entschied das Berliner Verwaltungsgericht, dass eine konfessionsfreie Frau nachträglich knapp 1.900 Euro Kirchensteuer zahlen muss. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Taufe eines unmündigen Kindes höher zu werten sei als die persönliche Weltanschauung. Der hpd veröffentlicht hierzu einen Kommentar der Klägerin Michaela Baumann*.
Im Wendejahr 1990 war meine einzige Sorge: wie komme ich wieder in Arbeit (denn ich hatte meine wie viele andere DDR-Bürger verloren), und wie komme ich mit meinen Kindern in den neuen Verhältnissen zurecht. Nun tut es einfach weh, dass ein Berliner Gericht auch nach 30 Jahren so wenig von der Realität einer ehemaligen DDR-Bürgerin kennt und würdigt.
1990 war ich felsenfest davon überzeugt, jetzt in einem Rechtsstaat zu leben. Ein Rechtsstaat, der Religionsfreiheit garantiert, aber auch die Freiheit von Religion und das Selbstbestimmungsrecht. Und in dem die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung festgeschrieben ist und gelebt wird. Für mich war undenkbar, dass es in der BRD Steuerstellen der Kirchen in den staatlichen Finanzämtern gibt. Ebenso undenkbar, dass Atheisten zur Kirchensteuer herangezogen werden könnten. Als meine Eltern vor mehr als 60 Jahren nachweislich durch mündliche Erklärung aus der Kirche ausgetreten sind, erklärten sie den Austritt auch für mich. Ich war damals 5 Jahre alt und damit weit entfernt, was das alles bedeuten könnte und dass es einmal wichtig sein könnte.
"Das Urteil geht vollkommen an meiner Lebensrealität und der von Millionen Bürgern aus dem östlichen Teil des Landes vorbei! Es geht mir auch darum, dass man uns Ostdeutsche mit unseren Biografien endlich ernst nimmt und unsere Realität anerkennt."
Mir ist durchaus die Lebensweisheit bekannt: "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht." Aber meint die Berliner Justiz wirklich, dass ich mich mit dem Ende der DDR auch als lebenslange Atheistin plötzlich mit westdeutschen Kirchenfragen hätte beschäftigen müssen? Damit ich in dem mir unbekannten neuen Rechtssystems herausfinde, dass ich am 3. Oktober 1990 vorsorglich meine (mir nicht bekannte) Mitgliedschaft in der neuen westdeutschen Kirchen-Körperschaft vor dem Amtsgericht hätte beenden müssen? Um zu vermeiden, dass ich knapp sechs Jahrzehnte nach meiner Geburt in der DDR nach einer konzertierten Rasterfahndung von Kirche und Finanzamt in der BRD verfolgt werde und plötzlich über tausend Euro Vereinsgebühren, genannt Kirchensteuer, von meinem privaten Konto abgezogen bekomme – ohne vorherige Ankündigung? Wieso hätte ich anzweifeln sollen, dass meine Eltern den Kirchenaustritt auch für mich erklärt haben? Wie hätte ich ahnen können, dass nur die Austritte meiner Eltern im Taufregister vermerkt worden sind, nicht aber mein Austritt? Und überhaupt: Was denkt der Richter? Warum sollten Eltern aus der Kirche austreten und ihr 5 Jahre altes Kind in der Kirche belassen? Eltern, die absolut auch in ihrer Erziehung atheistisch waren? Welch absurde Vorstellung. Und warum achtet das Gericht mein Selbstbestimmungsrecht so wenig? Ich habe mein ganzes Leben lang nie einen Bezug zur Kirche gehabt, bin atheistisch erzogen und habe das Jugendweihe-Gelöbnis abgelegt. Ist das nicht ebenso zu werten wie ein Austritt? Das betrifft ja nicht nur mich, sondern viele, viele ehemalige DDR-Bürger.
All das kann nicht Recht sein. Und wenn es Recht ist, müssen die Volksvertreter das Gesetz ändern.
Warum erlaubt es der Senat von Berlin rechtsstaatlich, was sich die Kirche mir gegenüber als lebenslanges Nicht-Mitglied herausnimmt und wofür sie von der Justiz auch noch Recht bekommt? Und warum spielt die Berliner Justiz auf Zeit? Es gab erst jetzt – 4 Jahre nach der Klageeinreichung und nach zwei Verzögerungsrügen meines Anwaltes – endlich einen Termin für die Verhandlung.
Auch wenn meine Klage jetzt erstmal abgewiesen wurde und sich die Kirche öffentlich über das Urteil freut: Ich gebe nicht auf. Zum einen, weil ich die Juristen des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) an meiner Seite weiß. Zum anderen, weil ich es nicht als gerecht empfinde, dass die Kirche angesichts des Gegenwindes, der ihr jetzt ins Gesicht bläst, sagt, dass sie mir die Hälfte ihrer unberechtigten Mitgliedsbeitragsforderung erlassen hätten, wenn ich nicht geklagt hätte. Wenn diese Steuer aus Kirchensicht berechtigt ist, sollte sie nicht wie auf einem Bazar je nach Hartnäckigkeit des Verhandlungspartners erlassen werden. Das ist scheinheilig. Es geht mir auch nicht ausschließlich um das Geld. Es geht mir auch darum, dass man uns Ostdeutsche mit unseren Biografien endlich ernst nimmt und unsere Realität anerkennt.
In den letzten Tagen hat mir das Echo in den Medien vom hpd über Bild, taz, Spiegel und Berliner Zeitung bis zur Mitteldeutschen Zeitung aus meiner Heimatstadt sehr gut getan.
Zum Schluss möchte ich sagen: Ich persönlich kenne und schätze mehrere Menschen, die Kirchenmitglieder sind, ein christliches Menschenbild haben, sich sozial in Vereinen engagieren und nach im besten Sinne humanistischen Werten leben. Unter ihnen gibt es keinen einzigen Menschen, der es richtig findet, dass ich von ihrer Kirche per Finanzamt, geheimen Ermittlungen an meinem Geburtsort und staatlichem Zwang eingemeindet worden bin, und jetzt vor Gericht zur Zahlung verurteilt wurde. Die Kirche hat immer noch nicht – nach so vielen Skandalen – verstanden, dass sie besser auf die Stimmen in den eigenen Reihen hören sollte.
Wann handelt jetzt endlich die Politik im Sinne unserer Verfassung und unseres säkularen Staates? Ich lebe doch jetzt in einem Rechtsstaat, oder?
Im Übrigen, bevor ich geklagt habe, habe ich die Kirchenvertreter gebeten, sich ihrer christlichen Werte zu besinnen und sie gefragt, warum sie denn nicht um mich geworben haben, bevor sie mein Geld genommen haben.
*Michaela Baumann (Name geändert wie in der Reportage "Denen geht es um nichts anderes als Geld" im SPIEGEL 29/2019)
Anmerkung: Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) wird sich, sobald die 27. Kammer des VG Berlin die schriftliche Begründung des Urteils vom 12. Dezember 2019 (VG 27 K 292.15) vorgelegt hat, juristisch zum Urteil und dem weiteren Vorgehen äußern. Bislang liegt nur eine Pressemitteilung des Gerichts vor.
Erstveröffentlichung auf der ifw-Facebookseite.
Siehe dazu auch:
- Berliner Verwaltungsgericht: Konfessionsfreie muss Kirchensteuer nachzahlen
- Kommentar – Von wegen: Kirchensteuern für soziale Ausgaben
30 Kommentare
Kommentare
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Aus der Geschichte sollten verantwortungsbewusste Eltern einen wichtigen Schluss ziehen: Lasst eure Kinder NIEMALS taufen. Macht um jede Kirche mit dem Ansinnen, eure Kinder taufen zu wollen, einen großen Bogen.
Ralf Semmler am Permanenter Link
Was das Gericht entscheidet ist die eine Sache, ich finde die Kirche hätte verzichten sollen.
Ich denke das die Kirche ab und zu mal umdrehen und auf sich zurückschauen sollte.
Der Herr möge nachsichtig sein.
Willie am Permanenter Link
"Der Herr möge nachsichtig sein."
Interessant, dass Sie gerade beim hpd diese Nachsichtigkeit für die Kirchenleute einforden. Kommt es daher, dass Sie zu wissen glauben, dass Atheisten eh alle verdammt sind (Mk 16,16 ff) und da eh nichts zu machen ist?
Irgendwie hat das auch was von Täter-Opfer-Umkehr.
Frank Nicolai am Permanenter Link
Sehr schön auch der Kommentar heute bei katholisch.de. Siehe hier: https://twitter.com/hpdticker/status/1207237338788716546
Stefan Dewald am Permanenter Link
Dabei ist das Image doch schon lange im A…er: http://berufsbeleidigt.de/wenn-die-saat-aufgeht/
Michael Kehrer am Permanenter Link
Interessant dazu auch die Meinung von Daniel Decker von der FAZ, der im Interview des DLF meinte, das wäre doch nur die Steuer von 2 Jahren, quasi peanuts, deswegen müsse die Frau doch nicht klagen:
Martin Franck am Permanenter Link
Ich musste erst einmal suchen, um den Beitrag zu finden:
https://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2019/12/17/was_sagt_die_entscheidung_ueber_das_deutsche_dlf_20191217_0940_7235cbfd.mp3
Und einen Punkt von Herrn Daniel Deckers (übrigens mit S geschrieben https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Deckers) finde ich schon valide: 2011 wurde der Angeklagten mitgeteilt, daß man sie als Kirchensteuermitglied sieht, und erst ab 2012 wurde sie für die Kirchensteuer veranlagt. Es wurde also nicht rückwirkend veranlagt.
Da sieht man wieder den Unterschied zwischen einem atheistischen Naturalisten und jemand der konfessionsfrei sich nicht zugehörig fühlt.
Jemand der weiß, daß es keinen höheren Plan oder Gerechtigkeit gibt, der weiß, daß es nicht darauf ankommt, ob man sich nicht kirchenzugehörig fühlt, sondern es kommt auf Formalien an, egal wie absurd sie einem vorkommen.
Ein Essay zum Absurdismus wäre zum Beispiel Le Mythe de Sisyphe von Albert Camus.
Man hätte Absurdität anerkennen müssen, in den sauren Apfel beißen müssen, und den Eltern für die 30 Euro danken können, und sich bestätigt fühlen, daß es keine ordnende Hand gibt.
Wer sich hingegen rechthaberisch, leicht gekränkt, fanatisch, querulatorisch, streitsüchtig, humorlos, empfindlich (insbesondere gegenüber Ablehnung und Misserfolg) verhält, ist kein ideales Vorbild.
Paranoide Persönlichkeiten reagieren extrem überempfindlich auf Kritik. Durch ihr tief greifendes Misstrauen und Argwohn gegenüber anderen, werten sie unangenehme Begebenheiten leicht als Anfeindungen gegen ihre Person. Sie fühlen sich häufig ausgenutzt oder benachteiligt, wodurch sie auch gerne (Rechts-)Streits gegen Personen oder Institutionen führen. Die meisten Paranoiden sind kämpferisch und aggressiv, manche reagieren in späteren Phasen aber auch mit Hilflosigkeit und Resignation. (https://www.mensch-und-psyche.de/typenmodelle/persoenlichkeitsstoerungen/)
Martin Franck am Permanenter Link
Kann dem Kommentar auf https://www.katholisch.de/artikel/23949-wie-die-kirche-mit-unsinnigen-rechtsstreitigkeiten-ihr-image-ruiniert nur zustimmen.
Warum macht man eine Rasterfahndung, wenn man jetzt 30 Jahre Mauerfall feiert?
Fair wäre es gewesen, wenn schon, dann auf so jemanden zu zu gehen, und zu sagen: Ihr Austritt ist nicht dokumentiert. Wenn Sie keine Kirchensteuer zahlen wollen, treten Sie bitte jetzt aus.
Was hat man davon, wenn jemand der sich nicht als Mitglied fühlt dazu zwingt, Geld zu zahlen?
Mich würde ja einmal interessieren, wie viele Leute es sind, die zwar wissen, daß es eine Kirchensteuer gibt, und auf ihrem Lohnzettel sehen, daß bei ihnen diese nicht abgezogen wird, und sich als Christen fühlen, und regelmäßige Kirchgänger sind, aber erst nach Entdeckung dann freudig zahlen.
Ich denke, daß ein Großteil sofort austritt. So wie es die hohen Austrittszahlen aus den frühen 1990er Jahren auch zeigen. D.h. daß man ja nur einen sehr kurzfristigen Gewinn hat aus der Nachzahlung.
Für mich fühlt sich das an, als hätte irgend jemand von einer Management Consulting Firma gesagt, wie man noch ein paar Kröten bekommt, und dafür dickes Beraterhonorar bekommen. Solchen Beratern geht es ja nie um reale Lösungen, sondern immer nur darum tolle Powerpoint-Slides zu präsentieren, die einen Gewinn suggerieren, der höher als ihr Honorar ist.
Wenn die Kirchen auf so etwas hereinfallen, dann sollte man es nutzen und die Bevölkerung darüber aufklären, daß Kirche primär und zuvorderst ein Machtapparat ist.
Ursula Hollwedel am Permanenter Link
BRD = Bananen Republik Deutschland!
Dafür gibt es viele Beispiele (Gesundheitsmodernisierungsgesetz von 2003, Verhalten der Bundesminister für Gesundheit bezüglich Sterbehilfe, § 219a, §218, verhinderte Parlamentsreform, Zugang für Lobbyisten zu den Abgeordneten, Parteispenden, fehlende Trennung von Kirche und Staat, kirchliches Arbeitsrecht usw.)
Junius am Permanenter Link
Dieser Fall ist eigentlich ein schönes Beispiel, daß die "vereinfachte Religionskritik der Neuen Atheisten", gegen die Tim Crane so wortreich anschreibt (siehe die Rezension von Herrn Pfahl-Traughber), viell
CnndrBrbr am Permanenter Link
Diese Praxis gehört vor den EuGH. Deutschland ist zu korrupt dafür.
M. S. am Permanenter Link
Jeder normale Verein würde ein nicht zahlendes Mitglied von sich aus rausschmeißen.
Guggemos Walter am Permanenter Link
Und wiederum zeigt eine Kirche, was ihre eigentlichen Inetessen sind.
Mit dem gesparen Kirchensteuergeld könnte soviel Gutes und Nützlicheres getan werden.
Ernst-Günther Krause am Permanenter Link
Das Gericht hatte evtl. aus formalen Gründen nicht anders entscheiden können. Ganz anders stellt sich der Fall für die evangelische Kirche.
Die Handlungsweise der evangelischen Kirche (die katholische Kirche würde wohl kaum anders handeln) sollte den Kirchenmitgliedern aller Altersstufen als Aufruf dienen, sich von dieser schamlosen Organisation zu trennen.
Holger Gronwaldt am Permanenter Link
Schade eigentlich (nicht wirklich), dass ich diesen Schritt schon vor vielen Jahren getan habe.
Peter Hemecker am Permanenter Link
Ich sehe noch einen weiteren Ansatzpunkt: Was bei jedem Privatunternehmen eine Selbstverständlichkeit ist, dass gravierende Änderungen der Geschäftsbedingungen, sowie auch Preiserhöhungen deutlich v o r deren Wirksa
In der DDR gab es seit 1956 keine Kirchensteuer. Wenn 1990 beim Beitritt der vormaligen DDR an die Bundesrepublik Deutschland, das westdeutsche Kirchensteuerrecht auf die neuen Bundesländer ausgedehnt wurde, hätten die Kirchen jedes tatsächliche oder vermeintliche Mitglied per Einschreiben anschreiben und auf die nunmehr gravierenden, neu eintretenden Folgen der Mitgliedschaft hinweisen müssen. Ebenso hätte es einen Hinweis auf ein Kündigungsrecht (in Form eines Kirchenaustritts) geben müssen.
Dies gilt umso mehr, wenn Kirche und Finanzamt - wie in diesem Fall - erst 25 Jahren nach Ende der DDR meinen, plötzlich Kirchensteuer erheben zu müssen, weil sie eine vermeintliche Mitgliedschaft festgestellt zu haben glauben.
Frau Baumann hätte also von der Kirche und/oder vom Finanzamt in etwa nachfolgendes Schreiben erhalten müssen: „Sehr geehrte Frau Baumann, wie wir aus unseren Unterlagen erst jetzt feststellen, gibt es Hinweise darauf, dass Sie seit 1953 Kirchenmitglied sind. Da die Mitgliedschaft seit nunmehr über 60 Jahren geruht hat, dürfte sie nach geltendem Recht natürlich verwirkt sein, wir geben Ihnen aber die Möglichkeit, diese wieder aufleben zu lassen. Wir weisen darauf hin, dass heute - im Gegensatz zu der Rechtsprechung in der DDR - eine Mitgliedschaft mit Beiträgen verbunden ist, die derzeit 9 % Ihrer Einkommensteuer beträgt. Angesichts dieses nicht geringfügigen Betrages bitten wir um kurze Rückbestätigung, ob sie Ihre Mitgliedschaft wieder aufleben lassen wollen und falls ja, dass wir nach einer angemessenen Übergangsfrist die o.g. Kirchensteuer erheben dürfen. MfG…“
Roland Weber am Permanenter Link
Der Hinweis ist hilfreich!
Es kann nur darum gehen, auf die Rechtslage hinzuweisen. Moralisierend auf- und anzugreifen, ist gerade gegenüber denjenigen, die moralisierend auftreten, zwar durchaus berechtigt. Zielführender sind aber allemal sachliche, d.h. hier rechtliche und in anderen Fällen auch gerne mal theologische Argumente.
Sachlichkeit sollte auch deshalb im Vordergrund stehen, wenn man sich selbst als Sachwalter der Sachlichkeit versteht. (Dies ist ein sachlich-moralischer Appell!)
Andreas Scholz am Permanenter Link
in der DDR gab es bis zum schluss kirchensteuer, nur hat es den staat nicht interessiert.
die kirchen mussten sich komplett selbst drum kümmern und mit ihren forderungen an die gläubigen herantreten.
unterstützung für die kirchen gab es dabei durch den staat nicht.
Peter Hemecker am Permanenter Link
Das stimmt so nicht: Die DDR stellte zunächst 1957 den Einzug von Kirchensteuern ein. Mit der neuen DDR-Verfassung von 1968 verschwanden die Kirchensteuern komplett aus dem Rechtssystem des Staates.
Rene Goeckel am Permanenter Link
Es ist zwar ein schwacher Trost, aber der Imageschaden wird schwerer wiegen als € 1900,00
Jörn Dyck am Permanenter Link
Ich verstehe nicht, wie die "atheistische" Seite vor Gericht argumentiert hat. Die Aktenlage scheint ja recht klar zu sein: Die Eltern sind aktenkundig ausgetreten, das Kind nicht.
Ich finde die aktuelle Praxis mit Kindertaufe und automatischer Mitgliedschaft sehr fragwürdig, wie wohl die meisten hier. Aber das ist die Rechtslage, und Gerichte entscheiden anhand der Rechtslage. Vielleicht könnte der Anwalt mal seine Sichtweise darlegen?
Man kann auch nicht argumentieren, dass die Klägerin nichts von ihrer Kirchenmitgliedschaft gewusst hätte – denn genau dieses Wissen hat sie ja mit dem Fragebogen bestätigt.
Was ich am ehesten nachvollziehen kann ist, dass die Dame nach "Treu und Glauben" davon ausgehen konnte, dass die Eltern auch ihren eigenen Austritt besiegelt hätten. In dieser Auffassung wurde sie bestärkt, weil nie eine Forderung der Kirchen kam. Aber vor Gericht ist das wohl eine wacklige Position.
Ich finde, der Gesetzgeber wäre hier gefordert.
Peter Hemecker am Permanenter Link
So einfach ist die rechtliche Beurteilung nicht: Damals galt das DDR-Recht.
1. War man auch in der DDR durch die Taufe automatisch Mitglied der Kirche ?
2. Da die Eltern den Eintritt veranlassten: Handelten die Eltern beim Austritt nicht auch im Namen des Kindes ? Dass sie bei ihrem Austritt das Kind ausdrücklich ausgenommen haben, dürfte doch eher unwahrscheinlich sein. Zumal der Beamte die Eltern sicherlich darauf aufmerksam gemacht hat. Sicher ist, das Kind kann mit fünf Jahren nur durch die Eltern austreten, da es nicht rechtsfähig ist und in dem Alter auch nichts über solche Dinge weiß.
3. Ist eine Mitgliedschaft, die 60 Jahre lang ruht, nicht verwirkt ?
4. Kann man eine Mitgliedschaft auf eine komplett neue Rechtsgrundlage stellen (Kirchensteuerpflicht), ohne dass man vorher darauf hinweisen muss und auf ein Sonderkündigungsrecht hinweist ?
Andreas Scholz am Permanenter Link
Durch die taufe wird man mitglied in der kirche im sinne von "gemeinschaft der gläubigen" und das wird man auch nicht wieder los, auch nicht durch austritt, allenfalls durch exkommunikation.
allerdings wird man durch die taufe auch mitglied der juristischen person kirche, was eben auch die kirchensteuerpflicht nach sich zieht. dessen kann man sich durch austritt entziehen.
Es gab in der ddr keine beamten und ein kirchenaustritt war eine sache zwischen (un) gläubigem und der kirche. da hat sich der staat komplett rausgehalten. es ist sowieso komplett unverständlich, warum man den kirchenaustritt beim standesamt erklären muss, oder wenn man umzieht, das standesmat die zuständige pfarrei benachrichtigt.
staat und kirche sind in der brd getrennt, genau und die erde ist eine scheibe.
es gab auch keine lohnsteuerkarten, die jemanden hätte denunzierren können. es gab auch keine lohsteuererklärung für normal arbeitende leute, allenfalls für die paar selbständigen, die es noch gab.
die mitgliedschaft in der gemeinschaft der gläubigen kann nicht ruhen wie sie eben auch nicht erlöschen kann, ausser durch exkommunikation.
Peter Hemecker am Permanenter Link
1. Wie die Kirche die Mitgliedschaft in ihrem Verein definiert, ist für einen Nicht-Gläubigen irrelevant. Interessant ist nur die Gesetzeslage des deutschen Staates.
3. Eine Mitgliedschaft, die nicht von dem Mitglied zu verantworten ist, von der es noch nicht einmal etwas weiß, die es auch nie mit Leben gefüllt hat und an deren grundlegendsten und für die Mitgliedschaft unabdingbarsten Ereignissen das Mitglied nie teilgenommen hat, ruht vermutlich nicht nur, sondern dürfte nie rechtswirksam zustande gekommen sein. Zumindest nicht bei einem normalen Verein, Verband, usw. Dass der Staat bei der Kirche eine Handlung, von der das Mitglied nichts mitbekommt, der es nicht zugestimmt hat und für die es zudem noch nicht rechtsmündig ist, als Beginn einer Mitgliedschaft begreift, ist eine - rechtsstaatlich zweifelhafte - Ausnahme. Nur aus diesem Grund kann überhaupt eine Mitgliedschaft rechtlich begründet werden. Da sie aber 60 Jahre lang unbekannt und in einem Staat mit komplett anderen Gesetzen bestand, dürfte sie in der Tat zumindest als 'ruhend' zu betrachten sein.
A.S. am Permanenter Link
Im Hinblick auf die öffentliche Wirkung des Urteils muss man als Atheist den Richtern fast dankbar sein... [sarkasm sign]
Sebastian Taege am Permanenter Link
Das erinnert mich an den ebenfalls nachdenklich stimmenden Fall des Monsieur B.
Wie nennt man so etwas? „Anti-Säkularisation“, oder „Säkularisationsparadoxon“?
Andreas Leber am Permanenter Link
Ich bin ja bis heute bekennender Fan von Peter Tebartz van Elst.
So ähnlich schätze ich diesen Fall hier auch ein: Der Imageschaden für die Kirchen ist gigantisch. So viel Aufmerksamkeit auf die Machenschaften der Kirchen zu bündeln gelingt nicht oft (aber immer öfter ...).
Bernd Kockrick am Permanenter Link
Was sich die Kirche hier leistet ist an Niedertracht nicht zu übertreffen und außerhalb der Kirche nur von Finanzhaien und der Mafia bekannt. Für sie zählt das Geld noch immer mehr als die Moral.
Manfred Schechter am Permanenter Link
Eine Frage habe ich aber doch noch: Warum haben die atheistischen Eltern ihr Kind überhaupt taufen lassen - und das ausgerechnet in der DDR ?
Arno Gebauer am Permanenter Link
Moin,
die Kirche ist in dieser Angelegenheit der verkehrte Adressat für Vorwürfe!
Schuld sind unfähige Politiker, die einen Verfassungsauftrag
nicht umsetzen wollen!
Gruß
Arno Gebauer