Kommentar der Klägerin zum Kirchensteuer-Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes

"Das Urteil geht vollkommen an meiner Lebensrealität vorbei"

Am vergangen Donnerstag entschied das Berliner Verwaltungsgericht, dass eine konfessionsfreie Frau nachträglich knapp 1.900 Euro Kirchensteuer zahlen muss. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass die Taufe eines unmündigen Kindes höher zu werten sei als die persönliche Weltanschauung. Der hpd veröffentlicht hierzu einen Kommentar der Klägerin Michaela Baumann*.

Im Wendejahr 1990 war meine einzige Sorge: wie komme ich wieder in Arbeit (denn ich hatte meine wie viele andere DDR-Bürger verloren), und wie komme ich mit meinen Kindern in den neuen Verhältnissen zurecht. Nun tut es einfach weh, dass ein Berliner Gericht auch nach 30 Jahren so wenig von der Realität einer ehemaligen DDR-Bürgerin kennt und würdigt.

1990 war ich felsenfest davon überzeugt, jetzt in einem Rechtsstaat zu leben. Ein Rechtsstaat, der Religionsfreiheit garantiert, aber auch die Freiheit von Religion und das Selbstbestimmungsrecht. Und in dem die Trennung von Staat und Kirche in der Verfassung festgeschrieben ist und gelebt wird. Für mich war undenkbar, dass es in der BRD Steuerstellen der Kirchen in den staatlichen Finanzämtern gibt. Ebenso undenkbar, dass Atheisten zur Kirchensteuer herangezogen werden könnten. Als meine Eltern vor mehr als 60 Jahren nachweislich durch mündliche Erklärung aus der Kirche ausgetreten sind, erklärten sie den Austritt auch für mich. Ich war damals 5 Jahre alt und damit weit entfernt, was das alles bedeuten könnte und dass es einmal wichtig sein könnte.

"Das Urteil geht vollkommen an meiner Lebensrealität und der von Millionen Bürgern aus dem östlichen Teil des Landes vorbei! Es geht mir auch darum, dass man uns Ostdeutsche mit unseren Biografien endlich ernst nimmt und unsere Realität anerkennt."

Mir ist durchaus die Lebensweisheit bekannt: "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht." Aber meint die Berliner Justiz wirklich, dass ich mich mit dem Ende der DDR auch als lebenslange Atheistin plötzlich mit westdeutschen Kirchenfragen hätte beschäftigen müssen? Damit ich in dem mir unbekannten neuen Rechtssystems herausfinde, dass ich am 3. Oktober 1990 vorsorglich meine (mir nicht bekannte) Mitgliedschaft in der neuen westdeutschen Kirchen-Körperschaft vor dem Amtsgericht hätte beenden müssen? Um zu vermeiden, dass ich knapp sechs Jahrzehnte nach meiner Geburt in der DDR nach einer konzertierten Rasterfahndung von Kirche und Finanzamt in der BRD verfolgt werde und plötzlich über tausend Euro Vereinsgebühren, genannt Kirchensteuer, von meinem privaten Konto abgezogen bekomme – ohne vorherige Ankündigung? Wieso hätte ich anzweifeln sollen, dass meine Eltern den Kirchenaustritt auch für mich erklärt haben? Wie hätte ich ahnen können, dass nur die Austritte meiner Eltern im Taufregister vermerkt worden sind, nicht aber mein Austritt? Und überhaupt: Was denkt der Richter? Warum sollten Eltern aus der Kirche austreten und ihr 5 Jahre altes Kind in der Kirche belassen? Eltern, die absolut auch in ihrer Erziehung atheistisch waren? Welch absurde Vorstellung. Und warum achtet das Gericht mein Selbstbestimmungsrecht so wenig? Ich habe mein ganzes Leben lang nie einen Bezug zur Kirche gehabt, bin atheistisch erzogen und habe das Jugendweihe-Gelöbnis abgelegt. Ist das nicht ebenso zu werten wie ein Austritt? Das betrifft ja nicht nur mich, sondern viele, viele ehemalige DDR-Bürger.

All das kann nicht Recht sein. Und wenn es Recht ist, müssen die Volksvertreter das Gesetz ändern.

Warum erlaubt es der Senat von Berlin rechtsstaatlich, was sich die Kirche mir gegenüber als lebenslanges Nicht-Mitglied herausnimmt und wofür sie von der Justiz auch noch Recht bekommt? Und warum spielt die Berliner Justiz auf Zeit? Es gab erst jetzt – 4 Jahre nach der Klageeinreichung und nach zwei Verzögerungsrügen meines Anwaltes – endlich einen Termin für die Verhandlung.

Auch wenn meine Klage jetzt erstmal abgewiesen wurde und sich die Kirche öffentlich über das Urteil freut: Ich gebe nicht auf. Zum einen, weil ich die Juristen des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) an meiner Seite weiß. Zum anderen, weil ich es nicht als gerecht empfinde, dass die Kirche angesichts des Gegenwindes, der ihr jetzt ins Gesicht bläst, sagt, dass sie mir die Hälfte ihrer unberechtigten Mitgliedsbeitragsforderung erlassen hätten, wenn ich nicht geklagt hätte. Wenn diese Steuer aus Kirchensicht berechtigt ist, sollte sie nicht wie auf einem Bazar je nach Hartnäckigkeit des Verhandlungspartners erlassen werden. Das ist scheinheilig. Es geht mir auch nicht ausschließlich um das Geld. Es geht mir auch darum, dass man uns Ostdeutsche mit unseren Biografien endlich ernst nimmt und unsere Realität anerkennt.

In den letzten Tagen hat mir das Echo in den Medien vom hpd über Bild, taz, Spiegel und Berliner Zeitung bis zur Mitteldeutschen Zeitung aus meiner Heimatstadt sehr gut getan.

Zum Schluss möchte ich sagen: Ich persönlich kenne und schätze mehrere Menschen, die Kirchenmitglieder sind, ein christliches Menschenbild haben, sich sozial in Vereinen engagieren und nach im besten Sinne humanistischen Werten leben. Unter ihnen gibt es keinen einzigen Menschen, der es richtig findet, dass ich von ihrer Kirche per Finanzamt, geheimen Ermittlungen an meinem Geburtsort und staatlichem Zwang eingemeindet worden bin, und jetzt vor Gericht zur Zahlung verurteilt wurde. Die Kirche hat immer noch nicht – nach so vielen Skandalen – verstanden, dass sie besser auf die Stimmen in den eigenen Reihen hören sollte.

Wann handelt jetzt endlich die Politik im Sinne unserer Verfassung und unseres säkularen Staates? Ich lebe doch jetzt in einem Rechtsstaat, oder?

Im Übrigen, bevor ich geklagt habe, habe ich die Kirchenvertreter gebeten, sich ihrer christlichen Werte zu besinnen und sie gefragt, warum sie denn nicht um mich geworben haben, bevor sie mein Geld genommen haben.

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*Michaela Baumann (Name geändert wie in der Reportage "Denen geht es um nichts anderes als Geld" im SPIEGEL 29/2019)


Anmerkung: Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) wird sich, sobald die 27. Kammer des VG Berlin die schriftliche Begründung des Urteils vom 12. Dezember 2019 (VG 27 K 292.15) vorgelegt hat, juristisch zum Urteil und dem weiteren Vorgehen äußern. Bislang liegt nur eine Pressemitteilung des Gerichts vor.

Erstveröffentlichung auf der ifw-Facebookseite.

Siehe dazu auch: