Symposium Turm der Sinne

Vorträge, Science-Jams und ein Live-Podcast übers Nervenkitzeln

tds_titel.jpg

Dr. Sebastian Bartoschek
Dr. Sebastian Bartoschek

Das Thema Angst hat viele Aspekte. In Fürth konnten sich Interessierte einen Überblick verschaffen, etwa zu Sensation Seekers und Monstern unter dem Bett, zu Mäuse-Furcht und Konfrontationstherapie.

Das diesjährige "Turm der Sinne"-Symposium, das am letzten Wochenende in der Fürther Stadthalle stattfand, widmete sich dem Thema: "Nervenkitzeln – Wie Angst unsere Gedanken, Einstellungen und Entscheidungen prägt". 14 Referentinnen und Referenten brachten dem Publikum Erkenntnisse und Fragestellungen ihrer Disziplinen näher, die von Biologie über Psychologie und Pädagogik bis zur Soziologie reichten.

Nach einer Begrüßung durch die Turm-der-Sinne-Gesamtleiterin Dr. Anna Beniermann, die gemeinsam mit Claudia Gorr das Tagungsprogramm geplant hatte, übernahm Dr. Sebastian Bartoschek die Moderation des Wochenendes. Mit launigen Sprüchen und persönlichen Anekdoten informierte der Psychologe, Autor und Podcaster über Organisatorisches, leitete die Fragenrunden und kündigte die "Acts" an.

Von "Acts" war die Rede, weil an dem Wochenende nicht nur Vorträge geboten waren, sondern auch andere, jüngere Veranstaltungsformate. So gab es beim Get-Together mit Wein am Samstagabend im Foyer zwei Science Jams über je 20 Minuten. In dem ersten lieferte Dr. Matthias Warkus philosophische Gedanken zum Umgang mit der Deadline-Angst im Autorenleben. Im zweiten verglich Dr. Peter Mandry auf statistischer Ebene unsere Angstthemen mit unseren tatsächlichen Todesursachen.

Dr. Sebastian Bartoschek, Foto: © Brynja Adam-Radmanic
Dr. Sebastian Bartoschek, Foto: © Brynja Adam-Radmanic 

Los ging es am Freitagabend jedoch mit einem traditionellen, einstündigen Eröffnungsvortrag, bei dem der prominente Gedächtnisforscher Prof. Dr. Hans Markowitsch aus langjähriger Erfahrung schöpfen konnte. Anhand vieler Fallbeispiele beschrieb er, was bei Erinnerungsblockaden passiert, die durch Angst und Stress ausgelöst werden, welche Funktion sie psychologisch erfüllen und welche hirnphysiologischen Veränderungen mit ihnen einhergehen.

Auch der Großteil der "Acts" des Samstags waren Vorträge, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in jeweils 45 Minuten Erkenntnisse ihrer Fachgebietes vortrugen. So stellte Dr. Kay Jüngling von der Uni Münster seine tierexperimentellen Untersuchungen vor, bei denen er zeigen konnte, dass eine nur bei Menschen vorkommende Genvariante eines Neuropeptid-Rezeptors, die ihre Träger weniger anfällig für Angsterkrankungen macht, auch das Angstverhalten von Mäusen drosselt. Denn mit humanisiertem Rezeptor wird die Furcht der Nager spezifischer. Im Vergleich zu Trägern des normalen, evolutionär alten Standard-Rezeptors, übertrugen sie das, was sie in Versuchen gelernt hatten zu fürchten, weniger auf ähnliche Reize.

Der bekannte Buchautor und Psychiater Prof. Dr. Borwin Bandelow gab anschließend einen Überblick über Formen der Angsterkrankungen und was sich bei ihnen als hilfreich erwiesen hat. Vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen wie die Konfrontationstherapie bei Phobien sowie die Gabe von Antidepressiva seien als evidenzbasiert anzusehen. Er brach dabei eine Lanze für die Strenge beim Nachweis der Therapiewirksamkeit, da sich gerade Angststörungen durch hohe Placeboeffekte auszeichneten, wie er betonte.

Dass es bei der Therapie von sozialer Angst vor allem um das Erlernen des richtigen Umgangs mit ihr geht, erklärte Prof. Dr. Jürgen Hoyer von der TU Dresden. Mit Kamera-Aufzeichnung und Befragungen von Beobachtern lernen Patienten bei ihm ihre Ängste als weniger bedrohlich zu bewerten. Auch mit seinem neuen Buch will Hoyer Betroffenen Mut machen. Denn viele blieben durch soziale Angst unter ihren Möglichkeiten. "Dabei ist sie gut behandelbar."

Die Pädagogin und Psychotherapeutin Gabriele Pohl berichtete von ihrer Arbeit mit Kindern und ihren Ängsten. Besonders wichtig ist ihr dabei, dass betroffene Kinder symbolische Bilder für ihre Gefühle finden und mit diesen selbst kreativ werden. Sie bräuchten dafür Zeit für freies Spiel sowie Zugang zu Bilderwelten von Geschichten wie Märchen. Sie sei immer wieder erstaunt, wie selbständig Kinder dann die Entwicklungsschritte fänden, die für sie als nächstes anstünden.

Alexander Bergmann erforscht als Doktorand in der Leipziger Biologiedidaktik, welche Ängste und Mythen in Bezug auf neurowissenschaftliche Technologie die Schülerinnen und Schüler schon in den Biologie-Unterricht mitbringen und wie diese emotionale Ebene in didaktisch sinnvoller Weise eingebunden werden kann. Bei Untersuchungen, in denen Schülergruppen selbstständig Diskussionen etwa zu Neuroenhancement führten, konnte er feststellen, dass biokonservative Positionen bei ihnen überwogen. Diese könnten im Unterricht benannt werden und im Vergleich zu bioliberalen und transhumanistischen Positionen besprochen werden, schlägt er vor.

Sowohl nach Selbstauskünften wie nach früheren Studien geht das Älterwerden mit abnehmender Risikobereitschaft einher. Der Psychologe Dr. habil. Thorsten Pachur vom MPI für Bildungsforschung in Berlin zeigte in seinem Vortrag jedoch, dass dies nur für bestimmte Arten von Situationen gilt. Wenn eine sichere und eine riskante Option zur Verfügung stehen, wählen wir mit zunehmenden Lebensalter tatsächlich eher die sichere. Stehen aber zwei riskante Optionen zur Auswahl, wählen Ältere in Tests überraschenderweise die riskantere davon.

Um das Verhältnis von Sportlern zur Angst ging es im Vortrag von Sportpsychologin Dr. Ottilie Frenkel von der Uni Heidelberg. Zu Extremsportarten wie Speedski, Downhill und Slackline ziehe es vor allem "High Sensation Seekers", die nicht nur gezielt nach abwechslungsreichen, intensiven Erlebnissen suchen, sondern sich physiologisch auch durch eine hohe Toleranz gegenüber angstauslösenden Reizen auszeichneten, erklärte sie. Um Spitzenleistungen in Wettkampfsituationen abrufen zu können, müsse zu dieser Neigung aber auch der Faktor Selbstkontrolle hinzutreten. Frenkel untersucht sowohl wie diese Selbstkontrolle gestört, als auch, wie sie trainiert werden kann.

Der Berliner Katastrophensoziologe Prof. Dr. Wolf Dombrowsky ließ das Publikum tief eintauchen in den Fortgang eines einzelnen tragischen Abends, an deren Ende eine Frau schwere Verbrennungen erlitt. Anhand der Ereignisse und Entscheidungen in diesem Fall erklärte er verschiedene Ebenen der Katastrophenprävention. Neben Wissen (Fettbrände nie versuchen mit Wasser zu löschen!) und Vorbereitung auf mögliche Gefahren (Löschdecke in der Küche) erwiesen sich immer wieder Fähigkeiten als hilfreich, Angst, Schmerz und Scham im Notfall beherrschen zu können. Dies könnte und sollte mehr trainiert werden, riet Dombrowsky.

Zur Frage, wie Kinder vor Nachrichten-Eindrücken geschützt werden können, die sie ängstigen, hatte der Würzburger Medienpsychologe Prof. Dr. Frank Schwab neue Erkenntnisse mitgebracht. Er erklärte zum einen, dass erbliche Faktoren, Geschlecht und Alter für erhebliche individuelle Unterschiede in der Verarbeitung sorgten. Zum anderen habe die empirische Prüfung viele frühere Ratschläge in Frage gestellt. Entgegen älterer Annahmen helfe es Kindern nicht unbedingt, wenn Eltern anwesend sind oder diese mit ihnen über Nachrichten-Ereignisse reden. Es könne sogar sein, dass Eltern die Quelle der Angst sind. Denn Kinder beobachteten die elterliche Reaktion und würden von ihren Emotionen angesteckt. Auch das früher empfohlene Weglassen von Bildern in der Berichterstattung erwies sich als nicht zielführend. Auf Berichte mit Bildern reagierten die Kinder sogar mit weniger Ängsten und Sorgen.

Auch die Abschlussdiskussion am Sonntag war ein neues Format und fand diesmal als Podcast-Liveshow des Teams vom Soziopod statt, die das Publikum nach erster Einführung ins Thema zudem in Form einer Fishbowl-Debatte einbanden. Da sich "Doktor Köbel" und "Herr Breitenbach" dabei Phänomenen der gesellschaftlichen Ungleichheit annahmen, wurde es dabei politischer als bei den anderen "Acts". Denn wenn Ängste schichtspezifisch sind und sozial vererbt werden, muss dann nicht die Gesellschaft verändert werden? Und wenn ja, wie genau?

Das nächste "Turm der Sinne"-Symposium wird vom 11. bis zum 13. Oktober 2019 stattfinden. Thema: "Bessere Menschen? Technische und ethische Fragen in der transhumanistischen Zukunft". Der Veranstaltungsort steht noch nicht fest.