Kommentar

Wäre eine Drogenfreigabe wirklich humanistisch?

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BERLIN. (hpd) Zuletzt war es Volker Beck, der damit überraschte. Offenbar hatte er es getan – und unzählige andere Bundesbürger auch. Der Besitz und Konsum von Drogen ist in Deutschland weiterhin ein Tabu-Thema – und wird nur öffentlich, wenn die Boulevard-Presse plötzlich auf einen Skandal aufmerksam wird. Doch abseits der Promi-Welt ist in vielen Großstädten das Problem der Abhängigkeiten von harten Substanzen zum Problem geworden. Kritiker der Strafbarkeit sagen, es sei das Verbot, das den eigentlichen Kick ausmache – und damit Besitz, Handel und Einnahme der Drogen überhaupt erst attraktiv werden ließen.

Viele Humanisten fordern deshalb, wie manche Partei mittlerweile auch, eine Lockerung oder gar Abschaffung der Gesetze, die den bisherigen Umgang mit Drogen regeln. Eine Legalisierung unter staatlicher Aufsicht, vielleicht mit der Erhebung einer Steuer, würde die Bürger mündiger machen und das Thema letztlich aus der Kriminalisierung holen. Immerhin sei es nicht nachvollziehbar, weshalb der Staat in die Freiheit der Menschen eingreifen solle, denen man doch eigentlich eine verantwortungsvolle Praxis unterstellen könne – ob im Blick auf die Konsequenzen ihres Verhaltens oder gar bei Auswirkungen auf die Umwelt. Ja, was interessiert es eigentlich den Gesetzgeber, ob ich mich bis zur Bewusstlosigkeit besaufe, bis zum Lungenkrebs qualme oder mich im Sonnenstudio bräunen lasse, bis von meiner Haut nichts mehr zu sehen ist? Es ist doch mein Leben, mit dem ich tun kann, was ich will! In diesen Bereichen reglementiert mich doch auch niemand, ich bin frei in dem, was mir Spaß macht. Schließlich muss auch ich die Folgen tragen und darf deshalb auch so lange Ungesundes konsumieren, wie ich das für mich vertreten kann.

Tatsächlich haben wir den Geist bereits aus der Flasche gelassen. Was wir so lapidar als "Genussmittel" wie Alkohol oder Zigaretten tolerieren, ist in Wahrheit eine gleichsam schädliche Substanz, da hilft auch der Spruch nach "Die Menge macht’s" nur wenig. Denn was wir bei diesen Stoffen sehen, ist beispielhaft für das menschliche Verhalten: Wir sind eben oftmals nichts in der Lage, die Grenzen zu erkennen. Sind Tabak, Bier, Wein und Schnaps mittlerweile bedauerlicherweise bereits gesellschaftsfähig geworden und daher kaum mehr in ihrer Gefährlichkeit vor Augen zu führen, ist unsere Verpflichtung gegenüber Drogen gerade deshalb umso größer, weil wir erkennen, was der unkontrollierte Konsum anrichten kann.

Die Darstellung, unter einem Verbot rutsche all der Handel und Konsum von Drogen in die illegale Unterwelt und vermehre sich dort, ist nur solange richtig, wie der untersagende Charakter allein betrachtet wird. Aufklärung und Sensibilisierung, Kontrolle und konsequente Ahndung sind ein Dreiklang, der durch Begleitung zu einem Neustart ergänzt werden sollte. Hierfür muss aber nicht die Tat legalisiert werden, viel eher brauchen wir einen Wandel im Blick auf den Straftäter, der keinesfalls dauerhaft gebrandmarkt werden darf, sondern für den eine Verurteilung ein Warnschuss sein soll. Für sich, seine Gesundheit und seine Zukunft. Und natürlich braucht es dann begleitende Maßnahmen, Hilfen zur Suchtbekämpfung und Unterstützung zur Wiedereingliederung. Resozialisierung gelingt darüber hinaus am ehesten, wenn der Gesellschaft verdeutlicht wird, dass Vergehen kein Schlusspunkt, sondern der Anfang eines anderen Lebens sind.

Wer sich stattdessen eine kontrollierte Abgabe unter staatlicher Aufsicht wünscht, muss nicht nur die Praktikabilität erklären, sondern gleichsam auch, wie denn hier verhindert werden soll, dass das gesamte Unterfangen aus den Fugen gerät. Ich zumindest will nicht, dass die breite Bevölkerung bald genauso wie beim Bäcker in der Schlange steht, um sich ihre Ration an bewusstseinserweiternden Substanzen zu sichern. Ob wir weitere Drogen brauchen, aus denen der Staat mit Steuern den Fortbestand einer Sucht sichert, wage ich zu bezweifeln. Soll jeder von uns schon bald mit einem Sozialarbeiter an der Seite seinen Alltag verbringen, auf die Möglichkeit hin, dass dieser in die kontrollierte Abgabe von Crystal Meth & Co. eingreift?

Die Utopie der grenzenlosen Freiheit kann spätestens dort nicht mehr gelingen, wo ein solidarischer Sozialstaat greift. Denn es hat wahrlich nichts mit einer gesetzeswütigen, konservativen und spießigen Einstellung zu tun, die den Menschen die Freude am Bekifftsein nehmen will. Viel eher ist es ein fürsorgender Charakter, der andererseits auch dazu führt, vor Schlimmerem zu bewahren. Denn tatsächlich ist der Einzelne, vor allem unter gesellschaftlichem Druck, nicht derart nachsichtig mit sich selbst, dass er sich unter Kontrolle hätte. Natürlich könnte man argumentieren, wir alle sind für uns selbst zuständig, niemand muss sich um uns kümmern, es ist mein eigenes Leben, mit dem ich machen kann, was ich will. Doch diese Form des Miteinanders ist nicht die, die ich gemäß unseres Grundgesetzes als Auftrag für unser Zusammensein verstehe. Es ist die Aufgabe, uns gegenseitig zu bewahren, weil es völlig normal ist, dass wir ohne Regularien auch selbstzerstörerisch mit uns umgehen können. Und genau das ist nicht Funktion eines staatlichen Miteinanders, das fern ist von Anarchie, Rücksichtslosigkeit und Narzissmus.

Ja, es besteht laut unserer Verfassung auch das Anrecht auf Selbstbestimmung. Hier kollidieren Artikel 2 Absatz 1 mit Absatz 2 und Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz. Die freie Entfaltung steht in Konkurrenz mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und dem Schutz auf Würde. Der Staat kann nicht tatenlos hinsehen, wenn ein Mensch mit Drogenkonsum in körperlichen und geistigen Verfall, vielleicht sogar in den Tod rennt. Deshalb sind nicht nur das Sittengesetz, sondern eben auch die gesetzliche Ordnung dafür gedacht, eine Regelung zu schaffen, die gleichsam abwägt. Und der "Genuss" von Betäubungsmitteln ist in seinen Auswirkungen ein weit dramatischerer als beispielsweise der einer Zigarre. Wer die Betreuung von Patienten mit drogeninduzierten Erkrankungen miterlebt hat, versteht, weshalb es hier Eindeutigkeit braucht. Es geht nicht darum, die Krankenkassen und damit die Allgemeinheit vor den Kosten solch einer Sucht zu bewahren, sondern dem Menschen sein Leben abseits kurzzeitiger "Highs" zurückzugeben – und es möglichst gar nicht erst zu gefährden.

Letztlich bleibt auch die Frage des Sinns: Wozu brauchen wir Drogen, von denen wir wissen, dass ein Abhängigkeitspotenzial besteht, dass sie schwere gesundheitliche Konsequenzen haben können und dass die Zeit, in denen sie tatsächlich berauschend wirken, nur begrenzt ist? Manchmal scheint mir, die Diskussion über die Freigabe wird nur deshalb geführt, um ein Weltbild durchzusetzen, das von Egoismus geprägt ist. Hauptsache, ich bin cool drauf, egal, was die Anderen später mit mir an Lasten zu tragen haben – und was aus mir wird. Humanismus bedeutet für mich nicht allein, den Menschen in seiner Singularität mit seinem manchmal absurden Willen in den Mittelpunkt zu stellen. Denn so funktioniert unsere Erdkugel nicht. Wir sind, evolutionär bedingt, gruppenorientierte Wesen. Und das nicht in erster Linie, um dort den Kick zu spüren, sondern gegenseitig auf uns zu achten. Dass der Reiz uns übermannt, ist verständlich. Suchtmittel sind verführend. Genau deshalb braucht es eingreifende Maßnahmen, die unsere individuelle Überhitzung unterbrechen.

All das hat nichts zu tun mit Substanzen, die in bestimmten Dosierungen auch hilfreich sein können. Die ärztliche Abgabe an Menschen mit Erkrankungen, denen durch entsprechende Stoffe geholfen werden kann, ist eine Verantwortung, die sich aus gleichen Verfassungsartikeln ergibt, wie oben. Jedwede Möglichkeit, mit solchen Mitteln Leid zu lindern, ist zu nutzen. Denn hier geht es um ganz andere Ziele, die weit über den Wunsch nach persönlicher Entfaltung hinausgehen. Drogenkonsum in seinen Facetten der Zweckmäßigkeit beschäftigt uns seit Urzeiten. Wir haben bereits Fehler gemacht – und Türen geöffnet, die wir nun nicht mehr schließen können. Die psychiatrischen Krankenhäuser sind gut gefüllt mit Alkoholerkrankten. Wollen wir mit der Legalisierung weiterer Rauschmittel einen noch schlimmeren Anblick riskieren?