BERLIN. (hpd) Wenn religions- und kirchenkritische Literatur in den deutschen Zeitungen und im Rundfunk systematisch ignoriert wird, weil sich deren Protagonisten der Religion und Kirche verbunden und verpflichtet fühlen, dann vergessen diese Medien ihren Auftrag, nämlich Wissen und Aufklärung zu verbreiten. Erfreulicherweise gibt es heute das Internet, ein Medium, das sich bisher der Kontrolle der Mächtigen entziehen konnte. Lassen sich dort doch Bücher entdecken, die sehr oft verborgen bleiben, weil ihnen der Zugang zur breiten Öffentlichkeit geflissentlich verwehrt wird. Der Humanistische Pressedienst durchkreuzt die Tabuisierung solcherart “unbequemer” Themen, versteht er sich doch als Plattform für aufklärerische, humanistische und freigeistige Positionen.
Die Rede ist hier von einem kleinen Band, der sich mit den Essentials der christlichen Lehre befasst und mit den Gründen ihrer zunehmenden Bedeutungslosigkeit im täglichen Leben des einzelnen Menschen. Was dieses Buch aber darüber hinaus so lesenswert macht, ist der erweiterte Blick auf Religion allgemein und auf deren mythische Wurzeln. Damit sind implizit Antworten verbunden, die sich gleichermaßen auf Christentum wie Islam und Judentum beziehen, ein Problemkomplex, der diesem Text doppelte Bedeutung und überraschende Aktualität verleiht. Schon im Vorwort macht der Autor auf zwei gegensätzliche Tendenzen aufmerksam: “einerseits die Auflösung der Religion, andererseits ein Aufbäumen dagegen, verbunden mit der trotzigen Hoffnung auf die ‘Wiederkehr der Religion’”. Letzteres erhoffen sich die Kirchen vor allem auch durch das selbstbewusste Auftreten des ihnen “freundschaftlich verbundenen” Islam.
Kapitel 1 befasst sich mit Ursprung und Funktion der großen und glaubenssystembildenden Mythen. Deren Ursprung findet sich in der Frühgeschichte der Menschheit und beginnt mit den ersten Begräbniskulten und den damit verbundenen Jenseitsvorstellungen. Diese – so der Autor – “‘transzendentalen’ Mythen – entstanden im Halbdunkel zwischen erfahrener und phantasierter Wirklichkeit, genährt aus Ängsten und Wünschen – entwickelten sich im Lauf der Geschichte zu Kulten und Religionen mit dem umfassenden Anspruch auf Welterklärung, Sinndeutung und richtige Lebensgestaltung, meist gepaart mit einem Heilsversprechen.” Der Autor sieht das Hauptmotiv für das Entstehen von Mythen in der Angst des Menschen vor Bedrohungen und Tod und seinem existentiellen Ausgeliefertsein an die Natur. Zudem schafft der Mythos Identität und schweißt die jeweilige Gesellschaft zusammen, was ihm ebenfalls eine damals wichtige Funktion verlieh.
Kapitel 2 und 3 befassen sich mit den Essentials des christlichen Glaubens. Und auch da stehen die Mythen des Alten und Neuen Testaments im Fokus der Überlegungen: Schöpfungsmythos, Erbsündenmythos, Offenbarungsmythos und Jesusmythos. Dem Autor stellen sich Fragen etwa der Art: Sprechen diese überlieferten vorzeitlichen Erzählungen den heutigen Menschen noch an, sind sie in sich stimmig? Was bedeutet das Verbot, “vom Baum der Erkenntnis zu essen”? Wie sind das späte und exklusive Erbarmen Gottes und seine Menschwerdung zu deuten? Ist das Gebot der undifferenzierten Nächsten- und Feindesliebe die Botschaft eines “Hyperempathikers”? (Will der Mensch durch die Erbsünde erst schuldig gesprochen, um durch Sündenvergebung und Paradies zum Glauben verleitet zu werden?) Bedeutet dem heutigen Menschen der Opfertod von Jesus noch etwas? Kann er an das Himmelreich und an das ewige Leben glauben? Entsprechen diese Vorstellungen der Conditio humana? Vermittelt die Bibel noch Sinn und Orientierung? Ist der Mensch auf Erden, “um Gott zu lieben und ihm zu dienen”?
Die verschiedenen Glaubenselemente werden in ihrer gegenseitigen Widersprüchlichkeit und in ihren Widersprüchen zur beobachtbaren Natur und zum realen Leben betrachtet. Der Autor fragt weiter: Ist die Notwendigkeit der Erlösung mit einer planvollen Schöpfung vereinbar? Wie verträgt sich der “barmherzige Gott” mit dem Leid und den zerstörerischen Naturkatastrophen? Bedarf es des Satans, um das Negative oder “Böse” in der Welt zu erklären oder gibt es nicht eine “logische Notwendigkeit des Negativen”? Ist das moralisch Fragwürdige im Menschen nicht bereits in der vormenschlichen Natur einprogrammiert? “Gute” Natur, “böser” Mensch – kann oder muss man die Schöpfung ethisch als eine “Zweiklassenschöpfung” interpretieren?
Ist alle Widersprüchlichkeit nur mit dem Diktum erträglich “Credo, quia absurdum – Ich glaube, gerade weil es absurd ist”? Wenn dem so wäre, wäre es der Suizid des Verstandes. Aber jedes Hinterfragen religiöser Gebote ist andererseits nach biblischer Aussage Sünde. Das göttliche Verbot, vom Baum der Erkenntnis zu essen, erscheint geradezu aberwitzig, gilt es doch eigentlich, die Fähigkeit zu erlangen, zwischen “gut” und “böse” zu unterscheiden, ganz allgemein um die Befähigung des Menschen, sich und die Welt zu begreifen. Aber der Mythos ist tabu und darf nicht angezweifelt werden. Hier scheint wieder die Parallele auf zu anderen Religionen, speziell des uns derzeit bedrängenden Islam. Das Hinterfragen, gar das Bezweifeln ist mit einem Tabu belegt, im schlimmsten Fall mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft und der Bedrohung mit dem Tode. Was wir heute in diesen Religionsgemeinschaften beobachten können, ist wie eine Kopie dessen, wie im frühen Juden- und Christentum gedacht und was dem Glaubensabtrünnigen einst angetan wurde.
14 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Schon bei Hiob steht geschrieben, wie es kommt, das es den Gläubigen auch nicht besser oder schlechter geht, als den
Ungläubigen und "die Rute Gottes ist nicht über ihnen."
Der größte Feind des Menschen ist der Mensch, egal ob Christ,
Moslem, Hindu oder Atheist, denn jeder ist darauf bedacht, sich sein einmaliges Leben so gut wie möglich zu gestalten. Dabei
ist es ihm auch egal, ob ihn irgend ein Gott beobachtet. Die einen schreiten durch das Tor der Barmherzigkeit, die anderen erhoffen sich einen guten Rechtsanwalt.
Das Christentum hat schon viel von seiner Macht und Kraft verloren und hält sich nur noch durch die künstliche Sauerstoffzufuhr des Staates am Leben. Religion ja, aber ohne einen Gott! Denn es geht auch ohne! Wetten, das????
Paul am Permanenter Link
Ist es nicht so, dass immer noch ein tiefer gehender Sinn in der Existenz des Menschen gesucht oder erwartet wird? Für mich war das Internet der Anfang vom Ende meines Glaubens an den einen Gott.
Wolfgang am Permanenter Link
Für mich besteht der Sinn des Lebens, es zu genießen, denn es ist nur einmalig. Wir haben alles was wir brauchen, Licht, Luft, Wasser und Geld.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Auf ein Zitat aus dem Buch möchte ich in Bezug auf die r.k.K. doch näher eingehen:
“Die moralischen Vergehen der Vergangenheit sind zwar vergessen und vergeben; doch ..."
1. Sie stellen dem Heiligen Geist, der ja angeblich der r.k.K. ständig zur
Seite steht, ein katastrophal schlechtes Zeugnis aus. Er muss wohl in
vielen Fällen dem Edelklerus zum einen Ohr rein und zum anderen Ohr
raus geweht sein. D.h. er wusste es entweder selbst nicht besser
- siehe Galilei - oder sein didaktisches Vermögen ist komplett
ungenügend
2. Die Zauberformeln, mit denen Priester und Bischöfe geweiht werden,
sind offenbar zu einem gut Teil wirkungslos, werden aber gern genutzt
um sie mit einem Anflug von Heiligkeit zu drapieren.
3. Wie die Kirchen diese Verbrechen klein zu reden versucht,
ist ein Skandal.
z.B. die Hexen- und Ketzerprozesse, die immer wieder mal als
Durchbruch im Strafprozesswesen verklärt werden; und wo die
Beteiligung der Kirche wahrheitswidrig klein geredet wird
z.B. die Auseinandersetzung mit Galilei, die von höchster Stelle als
„Mißverständnis“ bezeichnet wurde. Was gibt es da hunderte
von Jahren miß zu verstehen ?
z.B. die gewaltsame Missionierung, sagen wir mal - aus aktuellem
Anlass - der Sachsen durch Karl den Großen, den man
bekanntermaßen wegen seiner Missionierungsmethode auch den
Sachsenschlächter nennt.
In seiner Umweltenzyklika spricht Bergoglio von der Zerstörung
der Kultur eines Volkes als einem Vergehen an der Umwelt
(143. ff).
Ein wesentlicher Teil der Kultur eines Volkes ist ja wohl die
Religion, Missionierung demnach zumindest mal ein Verbrechen an
der Umwelt, das die r.k.K. aber sogar intensivieren will.
z.B. das neueste vor kurzem auf radiovatikan veröffentlichte
Pflänzchen dieser Gattung: der Ablassverkauf zur Finanzierung des
Petersdoms wird zum „Crowdfunding“ veredelt.
Dieses bedarf allerdings noch der Aufpäppelung, denn es wurde
von einer Frau in die Welt gesetzt; man kann sich aber vorstellen,
dass es der Edelklerus begeistert aufgreifen wird. Vielleicht aber
auch erst nach 2017; man will die Protestanten vielleicht nicht
ausgerechnet zu ihrem Jubiläum damit konfrontieren, dass einer
der Haupkritikpunkte Luthers ein böswilliges Mißverständnis war.
Dass GOTT die Antwort auf existentielle Fragen des Menschen sei,
wie Religionsführer immer wieder großspurig behaupten, beantworte
ich gerne mit folgender Geschichte:
In der 1. Klasse, die noch keine Ahnung von Multiplikation hat,
stellt der Lehrer die mehr rhetorisch gemeinte Frage
„Wieviel ist 2*2 ?“ Klein-Fritzchen, der seiner großen Schwester
schon mal beim Lösen von Gleichungen zugeschaut hat, meldet sich
aufgeregt und antwortet stolz: „2*2=X“
Dieter Bauer am Permanenter Link
Religionen sind instrumentalisierter Selbstbetrug, dem willige oder willig gemachte Gruppierungsangehörende durch Selbstverherrlichung erliegen.
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Wenn auch durch Säkularisierung und Aufklärung in eine Existenzkrise geraten, so spricht der Autor dem Christentum die positive Funktion zu, dass seinerzeit die Armen und Schwachen, das große Heer der Unterprivi
Nö, für unsereins überhaupt keine positive Funktion.
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Hans, in der entsprechenden Textstelle spricht der Autor ausdrücklich von der damaligen Zeit.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Seinerzeit; ja, vllt. positiv. Für mich heute jedenfalls überhaupt nicht. Da fehlte ursprünglich der Vollständigkeit halber das Wörtchen 'heute', sry.
Heidi Dettinger am Permanenter Link
Ein sich "geliebt fühlen" ist wohl kaum ein Ersatz auf ein Leben mit genug Nahrung, einem Dach über dem Kopf und einer Bildungschance. Auch "damals" wohl nicht.
Selbstredend ist das ein hervorragendes Unterdrückungsinstrument der jeweils herrschenden Klasse gewesen!
Manfred Tarlowski am Permanenter Link
Wo "stirbt das Christentum"? Vielleicht in Europa, aber doch wohl nicht in Afrika, Lateinamerika und Asien. Warum also ein so bombastischer Titel. Ist es das berühmte Pfeifen im Wald oder im Keller?
Uwe Lehnert am Permanenter Link
Manfred Tarlowski, Sie haben Recht, das Christentum in Europa stirbt. Weil immer weniger Menschen die Essentials dieses Glaubens noch wahrhaben wollen.
Dass Sie die Argumente »schon zig-mal gehört« haben, ist kein Argument, das gegen das Buch spricht. Es bedeutet höchstens, dass Sie dieser Argumentation nicht mehr bedürfen. Und im Übrigen – ein Argument büßt ja nicht dadurch an Bedeutung und Überzeugungskraft ein, wenn es als »altbekannt« qualifiziert wird. Entscheidend bleibt sein argumentativer Gehalt, seine logische, empirische oder historische Substanz.
Und damit komme ich zu einem Gesichtspunkt, den Sie offenbar völlig übersehen: Es wachsen immer wieder junge Menschen heran, die von gläubigen Eltern und im Kindergarten von kirchentreuen Erziehern in einer Weise beeinflusst werden, die man schlicht Indoktrination nennen muss, weil Kinder in diesem Alter kaum in der Lage sind zu erkennen, welche Märchen ihnen da aufgebunden werden. Wenn diese Kinder dann in ihrem weiteren Leben die vielen Widersprüche und Ungereimtheiten zu bemerken beginnen, sind solche Bücher sehr wohl geeignet, ihnen bei der Bewältigung ihrer weltanschaulichen Konflikte beizustehen.
Dieter Bauer am Permanenter Link
Ein Indoktrinationsgeschädigter, zwischenzeitlich diesem Kreis Entkommener, kann ihren Ausführungen nur zu 100% zustimmen.
Dieter Bauer am Permanenter Link
.... das Pfeifen im Wald wird leider zu wenig beachtet.....
Walter Röbber am Permanenter Link
Ich sehe das, dass (Schein) Christentum stirbt!
Nicht stirbt das wahre "Christentum", also die Menschen die ihre eigene
Begegnung mit Gott und Christus hatten.