Bemerkungen eines Betroffenen zum "Dogmenwahn"

Ein Meilenstein der Kirchenkritik

STEISSLINGEN. (hpd) Nach der kongenialen Rezension dieses Buches durch Siegfried R. Krebs, die mit Zitaten belegt, was die Leistung von Heinz-Werner Kubitza ausmacht, bleibt mir nur noch, ergänzende Bemerkungen anzufügen.

Ich charakterisiere sie dreifach: Ein überfälliges Buch, ein grandioses Buch, ein Buch, das zu politischem Handeln drängt.

1. Ein überfälliges Buch

Es musste endlich einmal gesagt werden, und Heinz-Werner Kubitza hat es gesagt: Was nur vermutet werden konnte, ist durch die Wirklichkeit nicht nur bestätigt, sondern übertroffen. Theologie geht ihre säuberlich beharkten Holzwege, beschäftigt sich mit elenden Problemen, die es ohne sie gar nicht gäbe, lebt mit seltsamen Axiomen, vergötzt ihre so genannte Offenbarung, überschätzt Tradition und Bibel, maßt sich an, eine Wissenschaft zu sein, die an die Universität gehört. Nichts von dem hat Bestand, auch wenn sich heute ein grundsätzlicher agnostischer Vorbehalt gegen alle "Wissenschaft" im herkömmlichen Sinn erhebt.

Theologie, im Gefolge eines kirchlichen Hegemonieprojekts über alle anderen erhoben, als deren Königin ausposaunt, gegenüber der selbst die Philosophie das Dasein einer Magd zu führen hat? Ich rege an, vorsichtig zu bleiben gegenüber allen ein für alle Mal festgezurrten Wahrheiten. Denn Dogmen dienen duckmäuserischem Denken. Das macht sie im Pferch so beliebt. Gleichwohl achte ich das Phänomen, dass wir ringsum noch immer auf Gläubige stoßen, auf Ganzgläubige, auf Halbgläubige und auf Viertel- bis Achtelgläubige.

Wofür brauchen sie eine eigene Institution zur Wahrung ihres Glaubens? Warum kommt Religion, in deren Glauben so viele hineingeboren worden sind, mit der Realität kaum zurecht? Weshalb fühlen sich Kirchenvertreter genötigt, Andersdenkende zu unvollkommenen Menschen zu erklären? Weshalb sind Gläubige auf Stimmenfang? Sind sie zur Mission gezwungen? Deuten sie Unglauben immer schon als Unmoral, zumindest als Ungehorsam gegen Gott? Da ist Aufmerksamkeit geboten. Heinz-Werner Kubitza öffnet unsere Augen, angefangen bei Jahwe, einem "orientalischen Gott der Spätbronzezeit" bis hin zum Heiligen Geist, dem "Gespenst der Theologie".

2. Ein grandioses Buch

Glänzend recherchiert, glänzend aufbereitet: So stelle ich mir ein Buch vor, das nicht nur Furore macht, sondern aufklärt. Heinz-Werner Kubitza legt bloß: Die amtskirchlich überwachte Theologie hat gar keine spirituellen Kleider an! Da ist nichts! Unter den Talaren nur Muff von tausend Jahren.

Und nicht nur Muff und Müll. In der Dogmen-, Papst-, Bibelgeschichte finden sich viele kleine oder große Arrangements gegen die Menschen und gegen Gott. Dessen Geist, wer sonst, hat die Wähler in jedem Konklave gelenkt. Also müssen die Wahlen gottgefällig sein - im Hinblick auf die Papstgeschichte eine ausgesprochen dreiste Behauptung. Die Tätigkeit des erwählten Papstes kann eigentlich auch nur gottgesegnet sein, was sonst. Seine Entscheidungen bis hin zu unfehlbaren Dogmen und Heiligsprechungen sind allein unter der Prämisse des "gottgegeistet" zu verstehen. Ein Scheinproblem nach dem anderen, Holzwege, die nirgendwohin führen, aber die Gläubigen – und noch mehr die professionellen Theologen – in Sicherheit wiegen und beruhigen. Inmitten ihres eigenen elenden Milieus.

Friedrich Nietzsche hat klar gesehen: Was ein Theologe als wahr empfindet, muss falsch sein: wir haben daran beinahe ein Kriterium der Wahrheit. Es ist der unterste Selbsterhaltungsinstinkt des Theologen, der verbietet, dass die Realität in irgendeinem Punkt zu Ehren oder auch nur zu Wort kommt. Hier wird "die intellektuelle Redlichkeit gekreuzigt", wie Heinz-Werner Kubitza festhält.

Nebenbei: Theologen haben nichts dagegen, dass die Welt vielleicht einmal untergeht und Gott wieder Alles in Allem ist. Doch eine Bedingung stellen die Theologen, wie der Philosoph Eduard von Hartmann konstatierte: Sie müssen auch dann noch dabei sein, um die ungetrübte Herrlichkeit dieses Gottes mit zu genießen. Religion besteht ohnedies weithin in einem Glauben, der annimmt, dass alles zu seinen Gunsten geschaffen wurde. Und Theologie macht sich vor, einen "Gott" beschreiben zu können, der sich genau so verhält, wie seine Schöpfer es wollten. Ähnliches gilt vom so genannten Menschenbild, das Heinz-Werner Kubitza als defizitär und absurd beschreibt. Unvorstellbar, dass die Welt zivilisiert wird, solange der hegemoniale Standpunkt einer klerikal geleiteten Theologie nicht überwunden ist.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Denkverbot und Denkverzicht: Dem Verbot des Denkens folgt die Hergabe des Denkens. Beide korrespondieren. Und Glauben war stets Glauben an unerreichte Dogmen. Die von Männern ausgearbeitet waren. Konzilien und Päpste sind bis heute ohne das Mitdenken von Frauen und Kindern ausgekommen.

3. Ein Buch, das zu politischem Handeln drängt

Dogmenwahn? Es wäre eine unangemessene Verkürzung, unter "Wahn" eine emotionszentrierte Beschäftigung zu verstehen. Nein, dieser Wahn hat sich ein Geflecht von Stabilisatoren geschaffen, eine Maschinerie der Absicherungen. Da war Kalkül am Werk, knallharte Rationalität. Nichts durfte dem Zufall überlassen bleiben.

Als Betroffener, der als Inhaber eines Lehrstuhls für Kirchenrecht ein Dutzend Jahre lang Mitglied einer katholisch-theologischen Fakultät gewesen ist, weiß ich, wovon ich spreche. Ich habe Denunziationen erlebt, eitelste Machtkämpfe, Mechanismen der Selbstrekrutierung bei Berufungsverhandlungen. Und alles geschieht unter der Käseglocke staatskirchenrechtlicher Schutzvorrichtungen, die zum einen hoch dotierte Verbeamtungen verbürgen, zum anderen, wichtigeren Teil jedoch eine Überwachungsfunktion besonderer Art garantieren. Diese Funktion führt zur Haltung einer "Stasi im Kopf": Jeder Professor der Theologie weiß, was er sich im Rahmen seiner "Wissenschaft" erlauben kann, wie weit seine Lehre und Forschung sich vorwagen darf, um nicht gemaßregelt zu werden.

1975 habe ich, strengste Sanktion, eine solche Maßregelung erfahren. Grass, Böll, Lenz, Walser haben sich damals für mich eingesetzt. Ohne etwas zu erreichen. Meine Klage gegen die Bischöfe blieb erwartungsgemäß erfolglos. Sie war typischerweise vor einem Tribunal verhandelt worden, das aus Bischöfen zusammengesetzt war. Über die wissenschaftsfernen Ergebnisse dieses Prozesses habe ich seinerzeit alle theologischen Fakultäten der Bundesrepublik informiert. Keine einzige hat reagiert, und einige Bischöfe waren über Jahrzehnte hinweg beleidigt.

Theologische Fakultäten bleiben Orte, an denen klerikale Hegemonie greifbar wird, eine Hegemonie, die sich mit einer Partnerschaftsideologie tarnt, welche nach wie vor auf unsere Politik verführerisch wirkt. Staat und Kirche, zwei Partner, was sonst? Zu beiderseitigem Nutzen, was sonst? Zu Vollstreckern oberhirtlichen Willens herabgewürdigt zu werden, schert Parlamente und Ministerien nicht. Die millionenschweren Zahlungen für klerikale Eigenzwecke und Sonderwünsche winken sie ohnedies Jahr für Jahr durch.

Das Buch von Heinz-Werner Kubitza ist hoffentlich ein Auslöser. Nicht nur zum Nachdenken, sondern zu jenem politischen Handeln, das zum Nutzen einer offenen Gesellschaft und ihrer Wissenschaft nötig ist – und von den Parteien bis heute vernachlässigt wird. Also sitzen die theologischen Fakultäten nach wie vor wie Maden im Speck an den Universitäten. Sie stützen sich auf Konkordate, die fast hundert Jahre alt sind oder mit Hitler ausgehandelt wurden und einen völkerrechtlichen Status beanspruchen. Sie existieren noch immer in Schutzgebieten, in denen Brüche der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit legalisiert sind. Mitten unter uns. Niemand aber rede sich künftig heraus, er habe es nicht gewusst.

 


Hans-Werner Kubitza: Der Dogmenwahn. Scheinprobleme der Theologie – Holzwege einer angemaßten Wissenschaft. 400 S. Hardcover. Tectum-Verlag. Marburg 2015. 19,95 Euro. ISBN 978-3-8288-3500-9