Ergebnisse einer Studie

Warum gehen europäische Muslime zum "Islamischen Staat"

Die Soziologin Karin Priester fragt in ihrer Studie "Warum Europäer in den Heiligen Krieg ziehen. Der Dschihadismus als rechtsradikale Jugendbewegung", warum der "Islamische Staat" Muslime aus europäischen Ländern anzieht. Sie arbeitet dabei differenziert und kenntnisreich Gründe und Typen heraus, die Gleichsetzung Dschihadismus und Faschismus überzeugt aufgrund der ideologischen Unterschiede dann aber doch nicht so richtig.

Warum gehen einzelne Menschen, die in den europäischen Ländern aufgewachsen sind, in den "Heiligen Krieg" des "Islamischen Staates" (IS)? Diese Frage stellen sich viele Betrachter, können die Gründe für einen solchen Weg nur schwer verstanden werden. Antworten geben will die Soziologin Karin Priester, die eigentlich als Populismus-Expertin bekannt geworden ist. Hier begibt sie sich auf ein anderes Territorium. In ihrem Buch "Warum Europäer in den Heiligen Krieg ziehen. Der Dschihadismus als rechtsradikale Jugendbewegung" nennt sie unterschiedliche Motive und Ursachen dafür. Dies geschieht auf Basis eines interessanten Datenkorpus, der 550 Personen umfasst. Dabei handelt es sich um "IS-Kämpfer" aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden. Der Autorin geht es aber erklärtermaßen nicht nur um die Benennung der jeweiligen Gründe, sie will auch eine besondere These verteidigen. Demnach handelt es sich beim IS um "eine islamisch gerahmte Form von Faschismus" (S. 13) – zumindest als Übergangsphänomen.

Am Beginn steht ein Problemaufriss, wobei deutlich wird, worum es geht: "Mich interessieren die Profile von europäischen Jugendlichen und jungen Männern und Frauen", so Priester, "die sich diesem Kampf anschließen" (S. 21). Dabei wird deutlich, dass es nicht den einen Grund, das einzige Motiv gibt. Man muss differenzieren: Denn es lassen sich sowohl bezogen auf die Akteure wie die Gründe verschiedene Typen herausarbeiten. Dies unternimmt die Autorin fortan: Sie benennt Erklärungsansätze und Motive für die Hinwendung zum Dschihadismus, wobei biographisch-individuelle und soziostrukturelle Gesichtspunkte in unterschiedlichem Sinne miteinander verkoppelt werden. Es geht um sozialstrukturelle, individualistische, gruppenpsychologische und politische Aspekte, die auf die Entwicklung der jeweiligen Personen gewirkt haben. Daraus entstanden dann bestimmte Typen: die Sinnsucher, die politisch motivierten Aktivisten, die Kampffanatiker, die Abenteurer, die Helfer und die materiell Interessierten.

Anschließend geht die Autorin den Lebensläufen im unteren und mittleren Segment nach, wo auf Demütigungserfahrungen und Problemwahrnehmungen abgestellt wird. Beim Segment der Studierenden fällt auf, das nicht die geisteswissenschaftlichen, sondern die technischen Fächer dominieren. Besondere Aufmerksamkeit finden danach jeweils die Gruppe der Konvertiten, der Gurus und Mentoren, der psychisch Erkrankten und der Frauen. Im letztgenannten Bereich wird etwa darauf hingewiesen, dass paradoxerweise die Beteiligung am Dschihad als Form weiblicher Emanzipation verstanden werde. Gegen Ende geht es noch um Ideologie und Strategie des Dschihadismus und das Leben und Sterben im "Islamischen Staat". Ganz zum Schluss stellt Priester noch einmal gesondert auf die Gemeinsamkeiten von Dschihadismus und Faschismus ab. Es gebe in Antimodernismus, Antisemitismus, Antiwestlertum, Führerkult oder Todessehnsucht viele Übereinstimmungen. Sie spricht aber "nicht vom Islamofaschismus", sondern von "einem präfaschistischen Prozess" (S. 270).

Das Buch beeindruckt und lebt von der Auswertung des Datenkorpus, was aber nicht über die Aneinanderreihung von Prozentzahlen geschieht. Die Autorin listet vielmehr einzelne Beispiele aus den unterschiedlichen Ländern auf, welche dann einer bestimmten Form oder einem spezifischen Typ zugeschrieben werden. Dies ist nicht immer eindeutig nachvollziehbar, geht aber bei den idealtypisch verstehbaren Kategorien auch nicht anders. Hier wird in der Gesamtschau erneut deutlich, dass eindimensionale und monokausale Deutungsmuster nicht tragen. Man muss sich für die Differenzierung eben viel Mühe geben. Darin liegen die Stärken der Studie. Kritikwürdig ist demgegenüber die auch im Untertitel vorgenommene Zuordnung des Dschihadismus zum Rechtsextremismus. Es gibt durchaus die von der Autorin genannten Gemeinsamkeiten mit dem Faschismus. Gleichwohl ignoriert diese inhaltliche Eingemeindung doch allzu sehr die ideologischen Differenzen. Hier wären "Extremismusformen" die bessere Kategorie zur Zuordnung gewesen.

Karin Priester, Warum Europäer in den Heiligen Krieg ziehen. Der Dschihadismus als rechtsradikale Jugendbewegung, Frankfurt/M. 2017 (Campus-Verlag), 273 S., 29,95 Euro