Die Diskussion um die Person Luthers nimmt Fahrt auf

Warum Martin Luther ein Antisemit ist!

DEIDESHEIM. (hpd) Seit sich die niederländische Kirche nach intensiven Beratungen mit jüdischen Organisationen in Hinblick auf das Lutherjahr 2017 von Martin Luthers Antisemitismus distanziert hat, scheint eine ernsthafte Diskussion über den Umgang mit dem Reformator auch in Deutschland in Gang zu kommen. Umstritten ist dabei seine Rolle als Wegbereiter des Antisemitismus, der im Holocaust seinen hoffentlich letzten Höhepunkt gefunden hat.

Um die Frage zu untersuchen, inwiefern man Luther in den kommenden anderthalb Jahren bis zum Höhepunkt des Reformationsjubiläums überhaupt als Hauptperson feiern sollte, versuche ich das Thema zu strukturieren, weil in der Diskussion mehr oder weniger bewusst zwei Begriffe durcheinandergeworfen werden: Antisemitismus und Antijudaismus. Auf den ersten Blick scheidet der Begriff Antisemitismus für Luther aus, da dieser 1860 von dem Bibliographen Moritz Steinschneider erstmals verwendet wurde. Dabei wird er mit Judenfeindlichkeit gleichgesetzt, die faktisch auch dem zeitlich älteren Antijudaismus attestiert wird. Wikipedia schreibt dazu: "Schon der mittelalterliche und frühneuzeitliche Antijudaismus diskriminierte und verfolgte Juden als fremdartiges Volk, ließ ihnen aber mit der Konversion zum Christentum stets die Integration in die herrschende Kultur offen."

Der Unterschied ist also zunächst, dass Antijudaismus Voraussetzung für Christen zu sein scheint, Juden missionieren zu wollen. Erst nach erfolgreicher Konversion sei dieser Christ zufrieden. Antisemitismus hingegen ist rassistisch motiviert und lehnt ein Merkmal eines Juden ab, dass dieser nicht durch Konversion abschütteln kann: seine Abstammung von Semiten. Dabei sollte man fragen, ob die Ablehnung eines Menschen wegen seiner Religion oder seiner Herkunft wirklich unterschiedlich verwerflich ist. Schließlich ist bereits das Ansinnen des Missionierenden im höchsten Maße intolerant, weil er seinem Gegenüber vorhält, dessen Religionszugehörigkeit sei minderwertig oder falsch. Doch ist es nicht reiner Zufall, in welche Familie oder Kultur ein Kind geboren wird? Religion an sich – vor allem die monotheistische – enthält den Keim der Intoleranz, der eine wechselseitige Akzeptanz erschwert. Der Antijudaismus ist also zunächst nicht harmloser als der Antisemitismus, weil er sein Gegenüber nicht so anerkennt, wie dieses durch seine Geburt wurde.

Für mich ist also zunächst unerheblich, ob ein Mensch antisemitisch oder antijüdisch eingestellt ist. Anders verhielte es sich z.B. mit einer politischen Einstellung. Diese wird oft erst im jungen Erwachsenenalter als Überzeugung angenommen, so dass es durchaus Auseinandersetzungen zwischen politischen Kontrahenten geben darf, die um den besseren politischen Weg streiten. Bei der Missionierung geht es um andere Motive, da hier die Konkurrenten einander sehr ähnlich sind und gleichzeitig die Unterschiede als ewig gültig, nicht hinterfragbar und deshalb unüberbrückbar ansehen. Somit ist für mich die Religionszugehörigkeit mit dem Merkmal der Herkunft vergleichbar.

Zurück zu Luther: Ging es ihm ausschließlich um die Missionierung der Juden, also letztlich um einen theologischen Dissens? Wurde er also von einem tief im Christentum verwurzelten Antijudaismus angetrieben? Dafür würde sprechen, dass er als Augustinermönch das Christentum in sich aufgenommen hat. Und da las er bei seinem großen Vorbild Paulus, dem Erfinder des Christentums, der noch dem jüdischen Kulturkreis entstammte: "Denn, Brüder, ihr seid Nachahmer der Gemeinden Gottes geworden, die in Judäa sind in Christus Jesus, weil auch ihr dasselbe von den eigenen Landsleuten erlitten habt, wie auch sie von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben und Gott nicht gefallen und allen Menschen feindlich sind, indem sie – um ihr Sündenmaß stets voll zu machen – uns wehren, zu den Nationen zu reden, damit die errettet werden; aber der Zorn ist endgültig über sie gekommen." (1Tess 2,15f).

Neben vielen weiteren antijüdischen Bibelstellen kann hier sogar ein "Jesuswort" zitiert werden: "Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun." (Joh 8, 43). Die Urchristen haben also – weil selbst zum Teil als Juden geboren – eine extreme Abnabelung von der Mutterreligion vorgenommen: die Verdammung der eigenen Väter als Teufelskinder, Propheten- und Christusmörder.

Das erklärt den Grund, warum Luther zeitlebens nie ein Judenfreund war (auch wenn dies vonseiten der evangelischen Kirche gerne behauptet wird), sondern warum er sie anfangs – z.B. in seinem Buch „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) – noch zu missionieren versuchte. Doch auch dort folgt auf sein freundlich klingendes "Deshalb mein Rat und meine Bitte, dass man pfleglich mit ihnen (den Juden, Anm.) umgehe und sie aus der Hl. Schrift unterrichte, dann werden auch etliche zu uns kommen" ein unmissverständliches "… bis ich sehe, was ich bewirkt habe."

Nachdem dies scheiterte (auch, weil Luther in seinem Leben kaum ein Dutzend Juden getroffen haben dürfte), gab er mindestens in seinem letzten Lebensdrittel die Judenmission auf und verdammte sie als "halsstarrige notorische Lügner". Hier kommt oft eine Verteidigungsstrategie zum Tragen, mit der stets religiöse Verfehlungen relativiert werden sollen: der historische Kontext! Zu Luthers Zeit war das halt so. Doch andere seiner Zeitgenossen, wie der Nürnberger Theologe Andreas Osiander und der Pforzheimer Jurist und Hebraist Johannes Reuchlin, nahmen eine deutlich tolerantere Haltung zum Judentum ein – wobei sie als gute Christen nicht dessen Falschheit infrage stellten. Jedoch verteidigten sie das Existenzrecht der Juden und auch das Praktizieren ihrer Religion.

Was sind überhaupt Juden?

Der israelische Historiker Shlomo Sand hält sein Volk für erfunden ("Die Erfindung des jüdischen Volkes"; Berlin, 2010). Nach halachischem (mosaischem) Recht ist für die Herkunft eines Menschen die Mutter maßgeblich. D.h. eine jüdische Mutter gebiert einen Juden. Die Knaben gehen zwangsweise an ihrem achten Lebenstag den Bund mit Gott ein, in dem ihnen ein Stück ihres Penis abgeschnitten wird (Brit Mila). Dieser Diebstahl der Vorhaut wird als Geschenk "Gottes" verkauft, wodurch jedoch eine (theologisch) unlösbare Verschmelzung zwischen der Herkunft (Mutter) und Religion (Judentum) vorgenommen wird. Selbst im Christentum ist die Taufe – die auch aus Sicht des betroffenen Kindes in einem unmündigen Alter zwangsweise vorgenommen wird – ein ewiges Sakrament, das selbst durch den Austritt aus der Kirche nicht rückgängig gemacht werden kann. Allein aus diesem Grund ist eine feindliche Haltung den Nachkommen des Noach-Sohnes Sem gegenüber antisemitisch, also antijüdisch.

Dr. phil. Bernd Buchner, ein katholischer Theologe, fragt: "War Luther Antisemit?" und liefert als Antwort ein deutliches "Nein", das er jedoch am Ende dieses Absatzes relativiert: "Allerdings bezeichnet er (Luther, Anm.) auch getaufte Juden weiter als Juden, nicht als Christen." Selbst Insider, die es gut mit Luther meinen, attestieren ihm also eine Verweigerung, in Juden jemals etwas anderes zu sehen als Juden – selbst wenn sie ihr religiöses Gewand gewechselt haben sollten. Vor diesem Hintergrund wird auch dieser Teil seiner Tischrede Nr. 1795 verständlich: "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen, ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams." Dies scheint mir vom Grundgedanken her zur Einstellung in der Nazi-Zeit ähnlich zu sein, in der man auch konvertierten Juden gegenüber skeptisch blieb, weil diese sich quasi nur verstellen würden, im Herzen jedoch Juden blieben.

Von den Juden und ihren Lügen

Luther selbst schrieb eine Reihe judenfeindlicher Texte, deren bedeutsamster 1543 erschien: "Von den Juden und ihren Lügen". Dieses Buch wurde letztmalig 1936 – also mitten in der Nazi-Zeit – veröffentlicht und diente als reiche Quelle für nationalsozialistischen Judenhass. In diesem Buch begründete Luther mit den Mitteln der Theologie, warum die Juden ein gottloses Volk und letztlich nichts als Teufelskinder seien (siehe das "Jesuswort" weiter oben), die von "Gott" verdammt worden wären – wegen ihrer Halsstarrigkeit und ihrem notorischen Lügen. Daher rät Luther seiner Obrigkeit und seinen Pfarrerkollegen die Umsetzung seines "Sieben-Punkte-Programms", dessen Ziel die Ausrottung des Judentums mindestens in Deutschland war.
Dieses Programm erinnerte derart fatal an die systematische Judenverfolgung und versuchte "Endlösung der Judenfrage" im Dritten Reich, dass hier klar wird, warum u.a. Hitler Luther einen "Riesen" (1923) nannte und warum der evangelisch-lutherische Landesbischof aus Tübingen, Martin Sasse, 1938 schrieb:

Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, … der größte Antisemit seiner Zeit … , der Warner seines Volkes wider die Juden.

Dies stand im Vorwort eines Buches von Sasse, in dem er Teile aus "Von den Juden und ihren Lügen" veröffentlichte. Der Philosoph Karl Jaspers bemerkte hierzu später: "Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern."

Während des Nürnberger Prozesses gegen die NS-Kriegsverbrecher im Jahr 1946 verteidigte sich der Herausgeber des Nazi-Hetzblattes "Der Stürmer" mit deutlichem Bezug auf Luthers Wirken:

Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir z.B. ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch "Die Juden und ihre Lügen" (= "Von den Juden und ihren Lügen") schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht. Man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.

Dieses offenbar brandgefährliche Buch wurde zu Aufklärungszwecken Mitte Februar 2016 gleich zweimal neu verlegt. Zum einen im Alibri-Verlag in einer zeitgemäßen Übersetzung mit dem gesamten Originaltext zum Vergleich und in der berlin university press (neu bearbeitet auf Basis der Ausgabe von 1936 und kommentiert von Matthias Morgenstern; Wiesbaden, 2016). Diese neuen Editionen erschienen vor dem Hintergrund, dass 2017 das Luther-Jahr als Höhepunkt einer ganzen Lutherdekade (2008-2017) gefeiert wird.

Die protestantische Kirche der Niederlande (PKN) hat jetzt am 11. April eine bemerkenswerte Pressemitteilung herausgegeben. Die Kurzfassung verbreitete der Deutschlandfunk:

Die Protestantische Kirche der Niederlande hat sich von antisemitischen Schriften Martin Luthers distanziert. - In einer in Utrecht veröffentlichten Erklärung heißt es, einige Äußerungen des Kirchenreformators über Juden seien widerwärtig und unzulässig. Luther hatte unter anderem dazu aufgerufen, Synagogen in Brand zu stecken, Juden zu enteignen und sie zu vertreiben. Die Kirche erklärte, Luthers Schriften hätten zu einem Klima beigetragen, das später den Holocaust ermöglicht habe. Jüdische Organisationen hatten die Protestanten im vergangenen Jahr zu einer Distanzierung aufgefordert.

Wie positioniert sich die EKD (evangelische Kirche in Deutschland) zur "Causa Luther"?

1939 wurde noch von 13 evangelischen Landeskirchen in Eisenach das "Entjudungsinstitut" ins Leben gerufen. Dieses Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben erfuhr seine Einweihung an einem denkwürdigen Ort: auf Luthers Wartburg.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schlossen sich die evangelischen Landeskirchen unter Leitung des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen. Und wie ging man dort mit der Schuld an den Juden um?
In ihrem "Stuttgarter Schuldbekenntnis" vom Oktober 1945 bekannte die EKD: "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. … wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Kein Wort über die Judenvernichtung!
Ausgerechnet der 1. Ratsvorsitzende der neuen EKD, Theophil Wurm schrieb bereits 1939 in der Zeitschrift "Junge Kirche": "… treuer zu glauben, inniger zu lieben und fester zu bekennen". Unter der Überschrift: "Zum 50. Geburtstag des Führers"! Offenbar spielt das politische Umfeld keine große Rolle; die eingesetzten Mittel entfalten aber auch keine große Wirkung – weder, um Hitler zu unterstützen, noch um ihn zu stürzen. Aber hat nicht auch die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann jüngst die Zaubersprüche Jesu als wirksamen Schutz vor Terrorismus propagiert? "Jesus hat eine Herausforderung hinterlassen: Liebet eure Feinde! Betet für die, die euch verfolgen! Der Daesch (IS) wird sich davon genauso wenig beeindrucken lassen.

Die Neupositionierung der EKD zum Judentum begann sehr spät. Luthers judenfeindliche Schriften waren natürlich nicht unbekannt, wurden aber nicht herausgegeben oder nach außen hin sichtbar als Last des Protestantismus aufgearbeitet. 1982 veröffentlichte der Lutherische Weltbund zur Vorbereitung des Lutherjahres 1983 eine umfangreiche Arbeit. Im ersten Abschnitt steht:

Als Lutheraner haben wir ein besonderes Problem: Im kommenden Jahr begehen wir den 500. Geburtstag Martin Luthers. Er machte in seinen letzten Lebensjahren gewisse bissige Äußerungen über die Juden, die von den lutherischen Kirchen heute durchweg abgelehnt werden. Wir bedauern die Art und Weise, in der Luthers Aussagen dazu gebraucht worden sind, den Antisemitismus zu fördern.

"Gewisse bissige Äußerungen über die Juden"? Diese werden zwar abgelehnt, aber bedauert wird letztlich nur der Gebrauch dieser Äußerungen, um "den Antisemitismus zu fördern".

Noch 2008 verharmloste der damalige Ratsvorsitzende Bischof Wolfgang Huber die "gewissen bissigen Äußerungen":

Luthers mitunter polemischer Charakter, seine ambivalente Rolle in den Bauernkriegen, seine beschämenden Aussagen zu den Juden und sein Kommentar zu den Expansionsbestrebungen des Osmanischen Reichs – all dies gehört in das Bild seiner Person hinein.

Die 35 Buchstaben seines einzigen Bezuges auf die Judenfeindschaft Luthers stehen in scharfem Kontrast zur Gesamtrede mit über 17.000 Zeichen, mit der Bischof Huber die Lutherdekade eröffnete.

Hier zur Illustration einige wenige der "gewissen bissigen Äußerungen", der "beschämenden Aussagen" aus der Alibri-Ausgabe (Aschaffenburg, 2016):

  • "Sie sind nun mal das boshafte, halsstarrige Volk die großspurigen, hochmütigen Schurken, die nichts anderes können, als mit ihrer Abstammung und mit ihrem Blut zu prahlen sie sind die wahren Lügner und Bluthunde" (S. 49)
  • "Kein blutrünstigeres und rachsüchtigeres Volk hat die Sonne je beschienen, als diejenigen, die überzeugt sind, Gottes Volk zu sein …" (S. 49 f.)
  • "Ihr seid es doch nicht wert, dass ihr die Bibel von außen ansehen, geschweige denn drin lesen dürft. Ihr solltet nur die Bibel lesen, die unter dem Schwanz der Sau steht und ihr sollt die Buchstaben, die darunter herausfallen, fressen und saufen." (S. 149)
  • "Lasst uns also diese edlen und beschissenen (beschnittenen wollte ich sagen) heiligen und weisen Propheten anhören, die uns Christen zu Juden machen wollen." (S. 149 f.)
  • "Darum, wenn du einen richtigen Juden siehst, kannst du mit gutem Gewissen ein Kreuz schlagen und frei und sicher sprechen: Da geht ein leibhaftiger Teufel." (S. 151)
  • "Und dieser trübe Bodensatz, dieser stinkende Abschaum, dieser eingetrocknete Bodensatz, dieser verschimmelte Sauerteig und sumpfige Morast von Judentum sollten mit ihrer Reue und Gerechtigkeit das ganze Weltreich, also die Erfüllung des Messias und der Prophezeiungen verdient haben, obwohl sie doch keine der oben aufgezählten Bedingungen erfüllen und nichts sind als ein fauler, stinkender, verrotteter Bodensatz vom Blut ihrer Väter?" (S. 201)

Auszug aus dem "Sieben-Punkte-Programm" Luthers:

  • "Erstens, dass man ihre Synagogen oder Schulen anzünde und was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und überschütte, sodass kein Mensch für alle Zeiten weder Stein noch Schlacke davon sehe." (S. 247)
  • "Zweitens sollte man auch ihre Häuser abbrechen und zerstören, denn sie treiben darin genau das gleiche, wie in ihren Synagogen. Stattdessen mag man sie etwa unter ein Dach oder in einen Stall tun, wie die Zigeuner." (S. 249)
  • "Zum dritten, möge man ihnen alle ihre Gebetbüchlein und Talmude nehmen, in denen solcher Götzendienst, Lügen, Fluch und Lästerung gelehrt wird." (S. 249)
  • "Zum vierten, soll man ihren Rabbinern bei Leib und Leben verbieten, weiterhin zu lehren." (S. 249)
  • "Zum fünften, soll man den Juden das freie Geleit auf den Straßen ganz und gar verwehren und verbieten. Denn sie haben nichts im Land zu suchen. Sie sollen daheimbleiben." (S. 251)
  • "Zum sechsten soll man ihnen das Wuchern verbieten, das ihnen schon durch Mose verboten wurde. Da sie nicht in ihrem eigenen Land sind, können sie nicht Herren über ein fremdes Land sein. Und man nehme ihnen alle Barschaft und Wertsachen wie Silber und Gold und lege es zur Verwahrung beiseite." (S. 251)
  • "Siebtens soll man den jungen und starken Juden und Jüdinnen Flegel, Axt, Hacke, Spaten, Spinnrocken und Spindel in die Hand geben und sie ihr Brot verdienen lassen im Schweiß ihres Angesichts, wie es Adams Kindern auferlegt ist." (S. 245)

Das alles klingt nicht sehr theologisch (was auf Antijudaismus verweisen würde), sondern eindeutig rassistisch (was auf Antisemitismus verweist).

Da dies sicher Insidern der EKD bekannt ist, begann es seit Hubers Rede in der EKD zu brodeln. Mehr und mehr Beiträge erschienen in der Öffentlichkeit, die Luthers Person fragwürdig sahen. So verlagerte man den Schwerpunkt der Luther-Jubeljahre nach und nach auf das Reformationsjubiläum – obwohl das Jahrzehnt nach wie vor "Lutherdekade" und das Jahr 2017 nach wie vor "Luther-Jahr" heißt. Überall prangt das Konterfei des Reformators von Plakaten, Broschüren und Sondermarken. Er hat halt einen Namen, den man gut vermarkten kann. Einen Namen allerdings, der untrennbar mit äußerst hässlichen Schriften verbunden ist, die erst nach und nach in der Öffentlichkeit bekannt werden. So fällt ein schlechtes Licht auf die bevorstehenden Jubelfeiern, die mit insgesamt ca. 150 Mio. Euro recht gut dotiert sind, davon über 100 Mio. Euro aus dem allgemeinen Steueraufkommen (Bund und Land Sachsen).

Darf man im Land des Holocaust einen Antisemiten wie Luther feiern?

Der jüdische Weltkongress (WJC) schrieb am 11. April: "Juden begrüßen die Erklärung der niederländischen Kirche, die Martin Luthers Antisemitismus 'inakzeptabel' nennt."

In Deutschland hört man bisher wenig Kritisches zu Luther, vermutlich, weil in einer Zeit abnehmender Akzeptanz Religionen gegenüber die Monotheismen lieber näher zusammenrücken, als sich durch Zwist auseinanderzudividieren. Aber unsere europäischen Nachbarn wurden jetzt erstaunlich deutlich. Der WJC schrieb weiter: "Die protestantische Kirche der Niederlande (PKN) gab am Montag eine Erklärung ab mit der Verurteilung der vor fünf Jahrhunderten gemachten antijüdischen Aussagen des deutschen Reformators Martin Luther." Und weiter: "In einem Text, der am Montag während eines Seminars in Utrecht veröffentlicht wurde, erklärt die PKN, dass Luthers antijüdische Aussagen 'inakzeptabel' und ein Teil der 'dunklen Seiten' der evangelischen Kirchengeschichte sind. Der Sprecher der niederländisch-jüdischen Dachorganisation NIK, Rabbi Raphael Evers, begrüßte die Erklärung und sagte: 'Mir kommt manchmal die Frage, ob jetzt noch Entschuldigungen notwendig sind, angesichts der Erklärung des Lutherischen Weltbundes aus dem Jahr 1983. Ich befürchte allerdings, dass es nie genügend Warnungen vor Antisemitismus gibt.'"

D.h. die Niederländer – sowohl auf Seite der evangelischen Kirche als auch auf jüdischer Seite – haben längst akzeptiert, dass Luther ein Antisemit war. Nur die deutschen Kollegen tun sich offenbar schwer, dies mit aller Deutlichkeit anzuerkennen. Weiter der WJC:

Im nächsten Jahr wird die evangelische Kirche den 500. Jahrestag von Martin Luthers Anschlag der fünfundneunzig Thesen ... feiern, ... Viele späteren Schriften Luthers wurden von Protestanten verwendet, um Antisemitismus zu legitimieren und sogar die Diskriminierung der Juden. Luther agitierte erfolgreich gegen die Juden in Sachsen, Brandenburg und Schlesien. Im August 1536 erließ der sächsische Prinz John Frederick ein Mandat, das Juden verbot dort zu wohnen, sich geschäftlich zu betätigen oder sein Reich zu passieren. Im Jahre 1543 veröffentlichte Luther ein Buch mit dem Titel "Von den Juden und ihren Lügen", in dem er die Juden "wirklich dumme Narren‘"nannte und darauf drängte, sie in Arbeitslager zu schicken."

Man mag die Gedanken von Rabbinern erahnen, als sie dies schrieben.

Deshalb finde ich es bedauerlich, wenn der jetzige EKD-Ratsvorsitzende Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm in seinem Geleitwort zur Morgenstern-Ausgabe von "Von den Juden und ihren Lügen" schreibt: "Luthers Schrift wurde von Deutschen Christen und den Nationalsozialisten dazu benutzt, den eigenen rassistischen Antisemitismus zu bekräftigen. ... Es ist unabdingbar, sich mit den Aussagen Martin Luthers über die Juden kritisch auseinanderzusetzen, um die judenfeindlichen, antisemitischen Rezeptionsmechanismen zu durchschauen und zu überwinden."
Bedauerlich deswegen, weil hier zum einen zwischen Christen und Nationalsozialisten unterschieden wird, als seien nicht praktisch alle Deutschen auch nach der Weimarer Republik überzeugte Christen gewesen. Zum anderen wird jede Verbindung zwischen Luther und Antisemitismus sprachlich äußerst geschickt vermieden. Es ist eben der "eigene rassistische Antisemitismus" und es sind "antisemitische Rezeptionsmechanismen". In diesem Punkt sind die Niederländer weiter. Da genügt es auch nicht, das Buch nach Verlagsinformationen als "Dokument der Schade" zu bezeichnen.

Es wäre wünschenswert, dass sich auch die EKD schonungsloser als bisher dem eigenen Erbe stellt. Bitte nicht erst ab 2018, wenn es niemanden mehr interessiert, weil das Hauptgeschäft mit der Lutherdekade in trockenen Tüchern ist, sondern z.B. schon bei ihren internen Beratungen am 16. April während der EKD-Synode in Hannover.

Karl-Heinz Büchner, Reinhold Schlotz, Robert Zwilling und ich haben zusammen mit dem Alibri-Verlag mit dem Buch "Von den Juden und ihren Lügen" den ersten Band der judenfeindlichen Schriften Luthers vorgelegt. Möge er dazu beitragen, dass eine breite Öffentlichkeit – die mit ihren Steuergeldern zum Gelingen der Jubelfeiern zwangsweise beiträgt – aufgeklärt wird, um die hässlichen Gedanken des großen Reformators verstehen zu lernen. Luther eignet sich – trotz all seiner unbestreitbaren Verdienste – nicht dazu, als Vorbild einer modernen Kirche zu dienen. Er steht für den intoleranten antisemitischen Ungeist des Christentums in seiner schmutzigsten und gleichzeitig wirkmächtigsten Erscheinungsform. Eine Kirche, die im Land des Holocaust moralische Instanz sein will, muss sich davon distanzieren – wie es die Niederländer beispielhaft taten.