Die Diskussion um die Person Luthers nimmt Fahrt auf

Warum Martin Luther ein Antisemit ist!

DEIDESHEIM. (hpd) Seit sich die niederländische Kirche nach intensiven Beratungen mit jüdischen Organisationen in Hinblick auf das Lutherjahr 2017 von Martin Luthers Antisemitismus distanziert hat, scheint eine ernsthafte Diskussion über den Umgang mit dem Reformator auch in Deutschland in Gang zu kommen. Umstritten ist dabei seine Rolle als Wegbereiter des Antisemitismus, der im Holocaust seinen hoffentlich letzten Höhepunkt gefunden hat.

Um die Frage zu untersuchen, inwiefern man Luther in den kommenden anderthalb Jahren bis zum Höhepunkt des Reformationsjubiläums überhaupt als Hauptperson feiern sollte, versuche ich das Thema zu strukturieren, weil in der Diskussion mehr oder weniger bewusst zwei Begriffe durcheinandergeworfen werden: Antisemitismus und Antijudaismus. Auf den ersten Blick scheidet der Begriff Antisemitismus für Luther aus, da dieser 1860 von dem Bibliographen Moritz Steinschneider erstmals verwendet wurde. Dabei wird er mit Judenfeindlichkeit gleichgesetzt, die faktisch auch dem zeitlich älteren Antijudaismus attestiert wird. Wikipedia schreibt dazu: "Schon der mittelalterliche und frühneuzeitliche Antijudaismus diskriminierte und verfolgte Juden als fremdartiges Volk, ließ ihnen aber mit der Konversion zum Christentum stets die Integration in die herrschende Kultur offen."

Der Unterschied ist also zunächst, dass Antijudaismus Voraussetzung für Christen zu sein scheint, Juden missionieren zu wollen. Erst nach erfolgreicher Konversion sei dieser Christ zufrieden. Antisemitismus hingegen ist rassistisch motiviert und lehnt ein Merkmal eines Juden ab, dass dieser nicht durch Konversion abschütteln kann: seine Abstammung von Semiten. Dabei sollte man fragen, ob die Ablehnung eines Menschen wegen seiner Religion oder seiner Herkunft wirklich unterschiedlich verwerflich ist. Schließlich ist bereits das Ansinnen des Missionierenden im höchsten Maße intolerant, weil er seinem Gegenüber vorhält, dessen Religionszugehörigkeit sei minderwertig oder falsch. Doch ist es nicht reiner Zufall, in welche Familie oder Kultur ein Kind geboren wird? Religion an sich – vor allem die monotheistische – enthält den Keim der Intoleranz, der eine wechselseitige Akzeptanz erschwert. Der Antijudaismus ist also zunächst nicht harmloser als der Antisemitismus, weil er sein Gegenüber nicht so anerkennt, wie dieses durch seine Geburt wurde.

Für mich ist also zunächst unerheblich, ob ein Mensch antisemitisch oder antijüdisch eingestellt ist. Anders verhielte es sich z.B. mit einer politischen Einstellung. Diese wird oft erst im jungen Erwachsenenalter als Überzeugung angenommen, so dass es durchaus Auseinandersetzungen zwischen politischen Kontrahenten geben darf, die um den besseren politischen Weg streiten. Bei der Missionierung geht es um andere Motive, da hier die Konkurrenten einander sehr ähnlich sind und gleichzeitig die Unterschiede als ewig gültig, nicht hinterfragbar und deshalb unüberbrückbar ansehen. Somit ist für mich die Religionszugehörigkeit mit dem Merkmal der Herkunft vergleichbar.

Zurück zu Luther: Ging es ihm ausschließlich um die Missionierung der Juden, also letztlich um einen theologischen Dissens? Wurde er also von einem tief im Christentum verwurzelten Antijudaismus angetrieben? Dafür würde sprechen, dass er als Augustinermönch das Christentum in sich aufgenommen hat. Und da las er bei seinem großen Vorbild Paulus, dem Erfinder des Christentums, der noch dem jüdischen Kulturkreis entstammte: "Denn, Brüder, ihr seid Nachahmer der Gemeinden Gottes geworden, die in Judäa sind in Christus Jesus, weil auch ihr dasselbe von den eigenen Landsleuten erlitten habt, wie auch sie von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns verfolgt haben und Gott nicht gefallen und allen Menschen feindlich sind, indem sie – um ihr Sündenmaß stets voll zu machen – uns wehren, zu den Nationen zu reden, damit die errettet werden; aber der Zorn ist endgültig über sie gekommen." (1Tess 2,15f).

Neben vielen weiteren antijüdischen Bibelstellen kann hier sogar ein "Jesuswort" zitiert werden: "Warum versteht ihr meine Sprache nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr seid aus dem Vater, dem Teufel, und die Begierden eures Vaters wollt ihr tun." (Joh 8, 43). Die Urchristen haben also – weil selbst zum Teil als Juden geboren – eine extreme Abnabelung von der Mutterreligion vorgenommen: die Verdammung der eigenen Väter als Teufelskinder, Propheten- und Christusmörder.

Das erklärt den Grund, warum Luther zeitlebens nie ein Judenfreund war (auch wenn dies vonseiten der evangelischen Kirche gerne behauptet wird), sondern warum er sie anfangs – z.B. in seinem Buch „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (1523) – noch zu missionieren versuchte. Doch auch dort folgt auf sein freundlich klingendes "Deshalb mein Rat und meine Bitte, dass man pfleglich mit ihnen (den Juden, Anm.) umgehe und sie aus der Hl. Schrift unterrichte, dann werden auch etliche zu uns kommen" ein unmissverständliches "… bis ich sehe, was ich bewirkt habe."

Nachdem dies scheiterte (auch, weil Luther in seinem Leben kaum ein Dutzend Juden getroffen haben dürfte), gab er mindestens in seinem letzten Lebensdrittel die Judenmission auf und verdammte sie als "halsstarrige notorische Lügner". Hier kommt oft eine Verteidigungsstrategie zum Tragen, mit der stets religiöse Verfehlungen relativiert werden sollen: der historische Kontext! Zu Luthers Zeit war das halt so. Doch andere seiner Zeitgenossen, wie der Nürnberger Theologe Andreas Osiander und der Pforzheimer Jurist und Hebraist Johannes Reuchlin, nahmen eine deutlich tolerantere Haltung zum Judentum ein – wobei sie als gute Christen nicht dessen Falschheit infrage stellten. Jedoch verteidigten sie das Existenzrecht der Juden und auch das Praktizieren ihrer Religion.

Was sind überhaupt Juden?

Der israelische Historiker Shlomo Sand hält sein Volk für erfunden ("Die Erfindung des jüdischen Volkes"; Berlin, 2010). Nach halachischem (mosaischem) Recht ist für die Herkunft eines Menschen die Mutter maßgeblich. D.h. eine jüdische Mutter gebiert einen Juden. Die Knaben gehen zwangsweise an ihrem achten Lebenstag den Bund mit Gott ein, in dem ihnen ein Stück ihres Penis abgeschnitten wird (Brit Mila). Dieser Diebstahl der Vorhaut wird als Geschenk "Gottes" verkauft, wodurch jedoch eine (theologisch) unlösbare Verschmelzung zwischen der Herkunft (Mutter) und Religion (Judentum) vorgenommen wird. Selbst im Christentum ist die Taufe – die auch aus Sicht des betroffenen Kindes in einem unmündigen Alter zwangsweise vorgenommen wird – ein ewiges Sakrament, das selbst durch den Austritt aus der Kirche nicht rückgängig gemacht werden kann. Allein aus diesem Grund ist eine feindliche Haltung den Nachkommen des Noach-Sohnes Sem gegenüber antisemitisch, also antijüdisch.

Dr. phil. Bernd Buchner, ein katholischer Theologe, fragt: "War Luther Antisemit?" und liefert als Antwort ein deutliches "Nein", das er jedoch am Ende dieses Absatzes relativiert: "Allerdings bezeichnet er (Luther, Anm.) auch getaufte Juden weiter als Juden, nicht als Christen." Selbst Insider, die es gut mit Luther meinen, attestieren ihm also eine Verweigerung, in Juden jemals etwas anderes zu sehen als Juden – selbst wenn sie ihr religiöses Gewand gewechselt haben sollten. Vor diesem Hintergrund wird auch dieser Teil seiner Tischrede Nr. 1795 verständlich: "Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücken führen, einen Stein um den Hals hängen, ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams." Dies scheint mir vom Grundgedanken her zur Einstellung in der Nazi-Zeit ähnlich zu sein, in der man auch konvertierten Juden gegenüber skeptisch blieb, weil diese sich quasi nur verstellen würden, im Herzen jedoch Juden blieben.

Von den Juden und ihren Lügen

Luther selbst schrieb eine Reihe judenfeindlicher Texte, deren bedeutsamster 1543 erschien: "Von den Juden und ihren Lügen". Dieses Buch wurde letztmalig 1936 – also mitten in der Nazi-Zeit – veröffentlicht und diente als reiche Quelle für nationalsozialistischen Judenhass. In diesem Buch begründete Luther mit den Mitteln der Theologie, warum die Juden ein gottloses Volk und letztlich nichts als Teufelskinder seien (siehe das "Jesuswort" weiter oben), die von "Gott" verdammt worden wären – wegen ihrer Halsstarrigkeit und ihrem notorischen Lügen. Daher rät Luther seiner Obrigkeit und seinen Pfarrerkollegen die Umsetzung seines "Sieben-Punkte-Programms", dessen Ziel die Ausrottung des Judentums mindestens in Deutschland war.
Dieses Programm erinnerte derart fatal an die systematische Judenverfolgung und versuchte "Endlösung der Judenfrage" im Dritten Reich, dass hier klar wird, warum u.a. Hitler Luther einen "Riesen" (1923) nannte und warum der evangelisch-lutherische Landesbischof aus Tübingen, Martin Sasse, 1938 schrieb:

Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, … der größte Antisemit seiner Zeit … , der Warner seines Volkes wider die Juden.

Dies stand im Vorwort eines Buches von Sasse, in dem er Teile aus "Von den Juden und ihren Lügen" veröffentlichte. Der Philosoph Karl Jaspers bemerkte hierzu später: "Was Hitler getan, hat Luther geraten, mit Ausnahme der direkten Tötung durch Gaskammern."

Während des Nürnberger Prozesses gegen die NS-Kriegsverbrecher im Jahr 1946 verteidigte sich der Herausgeber des Nazi-Hetzblattes "Der Stürmer" mit deutlichem Bezug auf Luthers Wirken:

Antisemitische Presseerzeugnisse gab es in Deutschland durch Jahrhunderte. Es wurde bei mir z.B. ein Buch beschlagnahmt von Dr. Martin Luther. Dr. Martin Luther säße heute sicher an meiner Stelle auf der Anklagebank, wenn dieses Buch von der Anklagevertretung in Betracht gezogen würde. In dem Buch "Die Juden und ihre Lügen" (= "Von den Juden und ihren Lügen") schreibt Dr. Martin Luther, die Juden seien ein Schlangengezücht. Man solle ihre Synagogen niederbrennen, man solle sie vernichten.