Afghanistan

Warum die Nato scheitern musste

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Das Scheitern der Nato hat man nicht vorhersehen können? Doch, hätte man. Denn bisher ist jeder Besatzer in Afghanistan gescheitert. Weder Alexander dem Großen, Dschingis-Khan noch – in etwas jüngerer Vergangenheit – den Briten oder Sowjets ist es gelungen, das Land am Hindukusch dauerhaft zu besetzen. Warum sind die Afghanen eine so "schwierige" Nation und Afghanistan das "Graveyard of Empires"? Und warum ist Deutschland einer der größten Verlierer der ganzen Chose?

Die Briten hätten es besser wissen können. Immerhin haben sie drei Mal versucht das unabhängige Land am Hindukusch zu erobern und sind fulminant gescheitert. Das Resümee des ersten Krieges: Nur der Militärarzt, William Brydon, überlebte die Schlacht.

Einer kam zurück aus Afghanistan

Der anglo-afghanische Krieg von 1838 bis 1842 inspirierte Künstler und Gelehrte in Europa. Theodor Fontane schrieb sein Gedicht "Das Trauerspiel von Afghanistan", wo es am Ende heißt: "Vernichtet das ganze Heer, Mit dreizehntausend der Zug begann, Einer kam Heim aus Afghanistan". Die britische Kriegsmalerin Elizabeth Thompson bannte den erschöpften Militärarzt auf Leinwand: Ein einsamer, gebrochener Mann auf einem halbtoten Pferd kurz vor der britischen Militärbasis in Dschalalabad.

Trotz dieses peinlichen Verlustes machten die Briten es nochmal und marschierten 1878 wieder in Afghanistan ein. Wieder ging es um geopolitische Macht, der zweite Krieg gehörte zu "The Great Game". Großbritannien führte damals mit dem zaristischen Russland einen Machtkampf um Zentralasien. Weil die Briten die Afghanen mit Diplomatie nicht überzeugen konnten, versuchten sie es wieder mit Gewalt. Die Furcht der Briten: Russland könne Afghanistan erobern und nach Indien durchdringen.

Einer der wenigen Überlebenden: der Regimentshund

Das britische Empire erlebte wieder eine schamhafte Niederlage: 1880 bezwangen und töteten afghanische Kämpfer etwa tausend britische und indische Soldaten. Den Hund Bobby ließen sie am Leben – der Regimentshund soll von Queen Victoria sogar einen Orden bekommen haben. Wieder inspirierend für Künstler: Der Sherlock-Holmes-Autor Arthur Conan Doyle ließ Dr. Watson von seinen (imaginären) Erfahrungen aus dem Krieg gegen Afghanistan sinnieren. Unbelehrbar wie die Briten offensichtlich sind, versuchten sie ihr Glück 1919 ein drittes Mal und scheiterten wieder.

In den 1980er Jahren bissen sich bekanntlich auch die Sowjets an Afghanistan vergeblich die Zähne aus und nun hat sich auch die Nato – sprich "der Westen" – eingereiht in die Liste der Großmächte, die gescheitert sind in Afghanistan, dem "Graveyard of Empires".

Was genau ist das Scheitern des "Westens"?

Nachdem die Nato Hals über Kopf aus Afghanistan geflüchtet ist, ist klar geworden: Es ging den westlichen Regierungen nie um Menschenrechte, um die Rettung der geknechteten Frauen, um den Aufbau von Grundschulen. Kurz: Es ging nie um Demokratie. Statt mit der (wenn auch korrupten) Regierung Afghanistans zu verhandeln, setzte sich US-Präsident Donald Trump in Doha mit den Taliban an einen Tisch.

Inzwischen heißt es aus den USA: Ihre Probleme können die Afghanen unter sich ausmachen. Diesmal zynisch und trotzig erklärt von US-Präsident Joe Biden. Die Kosten-Nutzen-Rechnung der Nato-Staaten ist einfach nicht aufgegangen.

Sie haben jahrelang Warlords und korrupte Politiker unterstützt, statt sich mit der afghanischen Normal-Bevölkerung, ihrer Kultur und Mentalität zu befassen. Vielleicht hätten die Nato-Staaten dann kapiert, dass sie mit Menschen, die aus dem "Friedhof der Imperien" stammen, nicht so umgehen können, wie sie es mit den gebrochenen, kolonialisierten Gesellschaften Asiens, Afrikas und Südamerikas gewohnt sind. Die Europäer und die US-Amerikaner sind regelrecht blind vor Hochmut in das Land einmarschiert.

Zwei Billionen US-Dollar und über 2.300 US-Soldaten verheizt

Alleine die USA haben etwa zwei Billionen Dollar und etwa 2.300 Soldaten am Hindukusch verheizt. Das hätte nicht sein müssen, wenn sie von ihrem hohen Ross gestiegen wären. Ein deutscher Gelehrter, Friedrich Engels, hat es 1857 schon geschrieben: "Die Afghanen sind ein tapferes, zähes und freiheitsliebendes Volk. (…) Nur ihr unbezwinglicher Hass auf jede Herrschaft und ihre Vorliebe für persönliche Unabhängigkeit verhindern, dass sie eine mächtige Nation werden".

In Afghanistan leben keine gebrochenen, kolonialisierten Menschen

Hätten sich die Besatzer mit der Mentalität der Afghanen beschäftigt, hätten sie erfahren können, dass jeder Afghane, jede Afghanin von den Eltern hört: "Wir waren immer eine unabhängige Nation und werden es auch immer bleiben! Wir sind unbesiegbar. Wir waren nie eine Kolonie! Wir haben die größten Imperien außer Landes gejagt!"

Der Stolz, nie besiegt worden zu sein, eint alle Afghanen – ganz gleich, von welcher Ethnie, aus welcher Schicht, ob aus der Stadt, vom Land, gebildet oder nicht, ob in Afghanistan oder im Exil. Hätte sich "der Westen" mit Afghanistan beschäftigt, wüsste er, dass sich zerstrittene Clans, Stämme und Ethnien zusammentun, wenn es darum geht, Afghanistan vor einem äußeren Feind zu schützen. 

Warum Deutschland ein großer Verlierer am Hindukusch ist

Der größte Fehler Deutschlands war es, gemeinsam mit der Nato in Afghanistan einzumarschieren. So geht man mit Freunden nicht um. Schon während des ersten Weltkriegs keimte eine Völkerfreundschaft zwischen Deutschland und Afghanistan auf, die bis 1979 vertieft wurde. Schon in den 1920ern zog es etwa Ingenieure, Ärzte und Lehrer aus Deutschland in das zentralasiatische Land. Die Deutschen bauten Wasserkanäle, Telegraphenleitungen und Straßen.

Im Gegenzug schickte jede Familie der alten Elite einen Zögling nach Deutschland zum Studieren. Über Jahrzehnte pflegten die deutschen Regierungen eine Freundschaft mit den Afghanen auf Augenhöhe (mit Pause während der NS-Diktatur). Die Afghanen der 1960er und 70er liebten deutsche Produkte. Wer es sich leisten konnte, kaufte immer "Made in Germany". Die DDR pflegte auch während der Invasion der Russen noch ihre Freundschaft zum sozialistischen Bruderstaat. An diese alten Bande hätte Deutschland anknüpfen können.

Afghanistan hat den Stoff, den die moderne Welt braucht

Friedrich Engels schrieb schon im 19. Jahrhundert: "Die geographische Lage Afghanistans und der eigentümliche Charakter des Volkes verleihen dem Lande im Zusammenhang mit den Geschicken Zentralasiens eine politische Bedeutung, die kaum überschätzt werden kann."

Das gilt heute mehr als zuvor. Denn Afghanistan ist nicht nur ein direkter Nachbar vom mächtigen China, es liegt nicht nur wie ein Scharnier zwischen Zentralasien, dem Iran und Indien, es hat auch den Stoff, der in der modernen Welt unentbehrlich ist: Afghanistan wird von den US-Amerikanern als "Saudi Arabien des Lithiums" bezeichnet. So widerspenstig und kampflustig die Menschen in Afghanistan sind, so großherzig und freigiebig sind sie auch – besonders gegenüber ihren guten Freunden.

Wenn es ganz schlecht läuft für Deutschland, verliert es sowohl seinen Good old Friend, der ihn zwar die Demokratie gelehrt hat, ihn aber schließlich in einen scheinheiligen Krieg gegen den Terror gezerrt hat, als auch die viel ältere Kumpanin vom Hindukusch. 

Die Chinesen lachen sich derweil ins Fäustchen. Ein alter Berater eines Kaisers soll über Ariana (so hieß Afghanistan früher) Folgendes gesagt haben: "Wer seinen Feind zerstören möchte, schickt ihn in den Krieg mit den Arianern." China würde nie einen militärischen Schritt über seine westliche Grenze setzen. Trotzdem ist die Gier nach den Schätzen des Nachbarn so groß, dass sich "das Land des Lächelns" sogar mit den Taliban anfreundet. Bleibt abzuwarten, ob sich das auszahlt.

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