Schon in diesem Frühjahr könnte der Bundestag über eine Neuregelung der Sterbehilfe abstimmen. Da die derzeit vorliegenden Gesetzentwürfe erhebliche Mängel aufweisen, hat das Hans-Albert-Institut (HAI) eine Stellungnahme veröffentlicht, die Leitlinien für eine faktenbasierte, rationale und weltanschaulich neutrale Regelung vorstellt.
Im Februar 2020 verkündete das Bundesverfassungsgericht sein bahnbrechendes Urteil zur Sterbehilfe, das den 2015 beschlossenen Paragraphen 217 StGB ("Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung") für verfassungswidrig erklärte. Das Gericht stellte unmissverständlich klar, dass es sich bei dem Paragraphen 217 StGB um ein "autonomiefeindliches" Gesetz gehandelt habe, welches dem Geist der Verfassung entgegensteht. Der Bundestag sieht sich daher vor die Aufgabe gestellt, ein neues Gesetz zu erlassen, das den Vorgaben des Urteils entspricht.
Die von HAI-Direktoriumsmitglied Florian Chefai formulierte Stellungnahme "Den letzten Weg selbst bestimmen" zeigt auf, welche Bedingungen für eine wissenschaftlich adäquate und juristisch tragfähige Regelung erfüllt sein müssen. Zentral sei hierbei, dass das Strafrecht als "schärftes Schwert des Staates" nur als Ultima Ratio eingesetzt werden dürfe: "Wenn ein Gesetz nicht erforderlich ist, dann ist es erforderlich, kein Gesetz zu erlassen. Wenn ein Gesetz darüber hinaus potenziell schädliche Wirkungen entfaltet, dann darf es nicht erlassen werden." Die Regelung der Suizidhilfe in Form eines neu gefassten Paragraphen 217 StGB, wie es der von Lars Castellucci eingebrachte Gesetzentwurf (BT-Drs. 90/904) vorsieht, sei daher schon allein aus rechtstheoretischen Gründen abzulehnen.
Unter Bezug auf die aktuelle Studienlage räumt die Stellungnahme mit verbreiteten Missverständnissen auf. So wird gezeigt, dass im Laufe des 150-jährigen Bestehens der liberalen Rechtslage in Deutschland kein Dammbruch eingetreten ist. Eine bloße "Besorgnisperspektive", wie sie von Sterbehilfe-Gegnern ins Feld geführt wird, sei jedenfalls kein Grund für eine Kriminalisierung der professionellen Suizidassistenz. Vielmehr seien Sterbehilfe-Organisationen wichtige Partner bei der Prävention von Verzweiflungssuiziden: "Denn Betroffene wenden sich verständlicherweise eher an Institutionen, die eine enttabuisierte und ergebnisoffene Beratung anbieten, statt Suizidgedanken von vornherein zu pathologisieren". Ein neues Verbot würde "nicht nur das Risiko steigern, dass schwerstleidende Betroffene und ihre Angehörigen in existenzieller Not auf sich allein gestellt sind; es wäre auch zu befürchten, dass vermehrt dilettantische und gewaltsame Suizidmethoden zum Einsatz kommen, die vermeidbares Leid verursachen."
Nach weiteren Ausführungen unter anderem zur Zulässigkeit einer Beratungspflicht und zur Rolle der Palliativmedizin schließt die Stellungnahme mit einem Verweis auf das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates: "Einem Katholiken muss es möglich sein, den 'natürlichen Tod' vorzuziehen und auf die Möglichkeit der Sterbehilfe zu verzichten. Zugleich darf ein Atheist nicht daran gehindert werden, sein Leben mit Hilfe Dritter vorzeitig zu beenden. Eine Neukriminalisierung der geschäftsmäßigen Sterbehilfe würde gegen diese Vorgabe unzulässig verstoßen. Denn Sterbehilfe-Befürwortern würde abverlangt, ihr Selbstbestimmungsrecht zugunsten fremder Würdevorstellung aufzugeben. Die Freiheit der Sterbehilfe-Gegner wird durch die Zulässigkeit des assistierten Suizids hingegen nicht tangiert." Von einem neuen Paragraphen 217 StGB sei daher nicht zuletzt auch aus demokratie- und gerechtigkeitstheoretischer Perspektive abzusehen.