Interview mit Sandra Pacholke von der Partei der Humanisten

"Wenn Du keinem anderen schadest, dann sei, wie Du bist"

Wie kann es bei Kindern gehen, die erst einmal von ihrer Umgebung das vorgelebte als richtig annehmen und ihre eigene Lebenserfahrung gewinnen. Ich denke an die Schule. Gibt es eine Vorstellung, sie an Selbstbestimmtheit heranzuführen?

Bei uns in der Partei gibt es dazu keine feste Vorstellung. Ich finde es einerseits wichtig, den Kindern beizubringen, dass es ‚früher’ schon viele Erkenntnisse gab, die sie zunächst begreifen und erlernen müssen. Den Satz des Pythagoras muss man nicht neu erfinden. Andererseits muss man ihnen die Freiheit geben, Dinge neu zu erforschen.

Ich unterrichte auch an der Hochschule und sage zu einem Thema: das sind die Prämissen, die sind erkannt worden und in diesem Rahmen bewege dich frei. Manchmal kannst Du auch die Prämissen ändern, wenn z. B. neue Forschungsergebnisse vorliegen, wenn dir das möglich ist, dann ändere sie. Zum Beispiel die Schwerkraft, die kann man nicht ändern oder wegdiskutieren. Die ist da, das ist Fakt, den kann man beibringen, da muss man nicht lange drüber nachdenken. Aber und das ist wichtig: Innerhalb dieser Prämissen bewege Dich so frei wie möglich, decke eventuelle Widersprüche auf, kritisiere und bediene dich deines Verstandes.

Frei sein, dürfte eines der schwierigsten Themen sein.

Ja. Ich weiß nicht, ob die alle Menschen wirklich frei sein wollen. Es gibt Menschen, die wollen so etwas wie einen Rahmen vorgegeben haben, in dem man zu sein hat.

Wie setzen sich Freiheit, Emanzipation in einem politischen Programm um?

Das versuche ich zu erklären. Einen Punkt gibt es, der mich immer schon geärgert hat. Ich habe mich immer als liberaler Mensch verstanden. Im Bundestag haben wir ein breites Spektrum. Die FDP versteht sich als die liberale Partei. Ich konnte sie aber nie wählen, weil sie eben zu sehr und fast einseitig auf die Freiheit der Wirtschaft bestanden hat, ohne die gesellschaftliche bzw. kollektive Situation zu bedenken. Die CDU konnte ich aus verständlichen Gründen nicht wählen. Im Gegenzug gibt es Parteien, ähnlich wie die PdH auch mit dem Ansatz, alle Menschen sind gleich in ihren Rechten Das finde ich schon besser. Dann aber zu sagen, alle Menschen haben gleich, zu sein, ist auch Blödsinn. Menschen sollten gleichberechtigt sein. Ob nun einer den Müll abfährt oder ein anderer Professor ist, ist egal. Zwischen den beiden Polen, dem, ich sage mal rein wirtschaftsliberalen und dem kollektiven Gedanken gibt es keine Partei. Dazwischen fehlt eine Partei. Bei den Linken gibt es wiederum eine Überbetonung auf die Erwerbsarbeit , ich glaube, dieser Gedanke ist ursprünglich calvinistisch gewesen.

"Ob nun einer den Müll abfährt oder ein anderer Professor ist, ist egal."

Ich will hier noch einmal auf das universelles Grundeinkommen eingehen: Du bekommst Geld zum Leben. Das heißt, wir, die Gesellschaft vertraut darauf, dass Du damit etwas zur Gemeinschaft beitragen wirst. Da sagen manche, das wird so nicht funktionieren. Wenn ich mir aber heute schon das ehrenamtliche Engagement ansehe, denke ich, dass das funktionieren könnte. Deswegen streben wir ja auch eine schrittweise Einführung mit einer entsprechenden Evaluation an.

Es sollte nicht so sein, dass der Mensch eine Erwerbsarbeit annehmen muss, allein um seinen Lebensunterhalt zu sichern, oder besser noch, allein um tätig als beschäftigt zu sein. Ich sage deutlich, das geht nicht. Es ist ein Überbleibsel des Sozialismus und der Idee, dass Vollbeschäftigung zum sinnvollen Leben dazu gehört. Dass man also Menschen beschäftigen muss, egal ob das eine sinnvolle oder weniger sinnvolle Tätigkeit ist, Hauptsache sie tun etwas und kommen nicht auf dumme Gedanken.

Das eigene Lebenskonzept gibt den Ausschlag und da ist es interessant, der eine möchte Kinder haben, der andere reisen. Das ganze Rentensystem funktioniert nicht so gut.

Dafür bräuchten wir eine höhere Geburtenrate und vor allen Dingen mehr sozialversicherte Beschäftigungsverhältnisse. Aber wollen das auch die Menschen? Manche sicherlich, andere würden viel lieber freier arbeiten. Nur um das bisherige Rentensystem am Laufen zu halten, muss ich die Menschen doch dort nicht hinein pressen, sondern schauen, wie kann ich das an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. Da gibt es sogar schon in Europa bessere Lösungen, da muss ich noch nicht einmal das Rad neu erfinden. Schauen wir doch erstmal dorthin, bevor wir immer nur eine hohe Geburtenrate - wir haben in Deutschland schon eine recht hohe Bevölkerungsdichte – fordern und mehr sozialversicherungspflichte Jobs fordern. Ich weiß nicht, ob für die Deutschen das jetzige Rentensystem so aufgeht. Da gibt es schon in anderen Ländern bessere Lösungen.

Wo können interessierte Menschen die Fakten lesen?

Auf unserer Homepage haben wir das Programm und das Leitbild. Am 1. und 2. April 2017 werden wir unseren 4. Parteitag haben und beraten, was in die Bundestagswahl einzubringen ist. Wir werden also noch einmal versuchen, die Punkte darzulegen und unsere programmatischen Schwerpunkte für die Bundestagswahl setzen.

Wir sind eine junge Partei und haben viele neue Ideen.

Wie ist die Partei der Humanisten zu treffen?

In Berlin haben wir einmal im Monat einen Stammtisch. Wir haben Landesverbände in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, auch dort finden Stammtische statt, dazu kommen Infostände.

Was liegt jetzt direkt an?

Wir wollen zur Bundestagswahl antreten. Zuvor müssen wir Unterschriften sammeln und diese dem Wahlleiter vorlegen und damit unsere Chance glaubhaft machen, gewählt zu werden. Um in einem Bundesland antreten zu können, müssen wir 2.000 Unterschriften von Wahlberechtigten des jeweiligen Bundeslandes vorlegen. In Berlin brauchen wir die Unterschriften von Berlinern und so weiter, also die Unterschriften von Wahlberechtigten Bürgern in den Bundesländern, in denen wir Landesverbände haben.

Sandra Pacholke beim Straßenwahlkampf in Berlin. Foto: © Evelin Frerk
Sandra Pacholke beim Straßenwahlkampf in Berlin. Foto: © Evelin Frerk

Wie groß ist die Manpower?

Wir sind im letzten Jahr deutlich gewachsen, in Berlin bspw. haben wir doppelt so viele Mitglieder als zur Landtagswahl vor einem Jahr.

Wir haben, dieses Mal auch mehr Zeit, die Deadline für die Unterschriftensammlung zur Bundestagswahl ist Anfang Juli. Fünf Monate liegen vor uns, um das Ziel zu erreichen und das sollte möglich sein. Auf unserer Homepage sind die entsprechenden Unterschriftenformulare hinterlegt, diese müssen ausgedruckt, handschriftlich unterschrieben und an die entsprechenden Adressen versandt werden.

Wird bei den künftigen PdH-Wählern eher an Säkulare gedacht?

Nicht nur. Unser Programm steht für auch für Selbstbestimmung und mehr Forschung.

In Berlin sind 62 Prozent der Bevölkerung konfessionsfrei, 74 Prozent sind säkular. Das ist eine hohe Quote. Nicht alle davon sind wahlberechtigt und, Säkulare sind keinesfalls alle gleich. Ich möchte schon annehmen, viele werden zu unserer Partei und unserem Programm hinschauen, den Anreiz annehmen, vielleicht sich damit auseinandersetzen. Nun sind Säkulare in sich sehr verschieden. Ich denke, unsere Wähler-Innen gehen quer durch die Bevölkerungsschichten ebenso wie unsere Kandidat-Innen.

In Berlin ist die Kirche gar nicht mehr so präsent, sie merken es nicht mehr wirklich, wie dogmatische christliche Voraussetzungen sie beeinflussen. Ein Beispiel ist das Sterbehilfegesetz, besser gesagt, das Verbotsgesetz zur Sterbehilfe. Wenn ich nicht entscheiden kann, wann ich sterben möchte, etwa weil ich unheilbar krank bin und nur noch an Maschinen hänge und die Gesetzeslage das Recht dazu verweigert? Das kommt meiner Meinung nach noch aus dem Glauben, dass nur Gott ein Leben beenden darf und nicht der Mensch selber. Es ist den meisten Menschen nicht bewusst, wie sehr religiöse Gedanken und Regelungen den Alltag beherrschen. Ich komme noch einmal auf das universelle Grundeinkommen zurück. Das ist für mich wichtig. Ich arbeite und zahle dafür in die Sozialkassen ein. Nur wer arbeitet lebt. Diese evangelische Arbeitsmoral dringt so tief in das Bewusstsein ein und beeinflusst die Leute. Der Ansatz dazu wird nicht bemerkt.

Na, ja, religiöse Dogmen stehen wohl grundsätzlich gegen Selbstbestimmung oder lassen sich diese beiden Pole vereinbaren?

Ja zum ersten, nein zum zweiten.

Kann ein religiöser Mensch die PdH wählen?

Ja, sicher sind wir für religiöse Menschen wählbar, wenn auch nicht für alle. Es gibt Christen, die aus der Tradition heraus Kirchenmitglied bleiben und dennoch fortschrittlich denken.

Ich denke, viele Menschen können sich für uns interessierten und uns wählen. Für Fundamentalisten allerdings sind wir auf gar keinen Fall wählbar, das sehe ich so.

Fünf Monate also liegen vor euch, um in die Wahllisten zur Bundestagswahl 2017 aufgenommen zu werden. Wie rollt die Welle der politischen Selbstbestimmtheit, dem Selbstbewusstsein zur Selbstbestimmtheit, dem eigenverantwortlichen Denken, Abwägen und Entscheiden in die Öffentlichkeit und auf die Bürger zu. Inszeniert ihr so etwas wie die Schule des selbstbestimmten Denkens, geht ihr in Talkshows?

(Lacht laut) Das ist die Frage. Da habe ich keine Erfahrung, wie es mit dem Politikbetrieb ist und wie der Weg dort hin ist. Eine große Provokation ist auf jeden Fall ein Weg.

Die Piraten haben früher in Berlin ziemlich gute Arbeit geleistet und gingen von einer Talkshow in die andere. Das hat sich geändert. Die Piraten gibt es dort in den Talks nicht mehr. Aber, man muss wohl ein Stück provozieren, um Aufmerksamkeit zu erreichen. Wichtig ist, dabei darf man sich nicht verlieren. Für mich steht fest, ich stehe hinter dem, was ich tue. Arbeit ist in der Öffentlichkeit, in Talkshows nicht gefragt, dort muss man eine Show bieten!

Selbst denken, ist das nicht eine Show

(SP lacht, schaut wieder aufmerksam)

Du hast doch eine Show. Freies Denken, verantwortliches Denken, das spricht den reflektierenden Menschen an, der selbstbestimmt leben möchte. Könnte dieses Dein Thema auch als Politikerin werden?

Kürzlich bin ich gefragt worden, wen ich als meine Vorbilder sehe: Da ist Marc Aurel, der hat schon interessante philosophische Gedanken zur Orientierung und Selbstbetrachtung gehabt. Gelebt hat er im 2. Jahrhundert.

Zu jeder Zeit haben Menschen selbst gedacht.

Es ist für manche Menschen extrem schwierig, wenn er keinen dafür verantwortlich machen kann, dass er etwas nicht getan hat. Er ist selber verantwortlich.

"Es geht um hier und heute."

Es geht um hier und heute. Menschen sollen, müssen sich darüber im Klaren werden, was sie wollen. Dafür ist der Weg zu finden und der muss realisierbar sein.

Ich habe zum Beispiel keine reichen Eltern gehabt und mir trotzdem einen Freiraum geschaffen. Meine Großeltern, väterlicherseits waren Bauern. Es heißt, sie wären recht glücklich mit ihrem Leben gewesen. Aber sie mussten immer Bauern bleiben. Ich habe andere Talente und Möglichkeiten. So ist das eben. Ich glaube, ich wäre auch Bäuerin nicht unglücklich, aber ich habe andere Möglichkeiten, auch gesellschaftlich gesehen und kann andere Dinge realisieren als meine Vorfahren, anders als bspw. im Mittelalter. Um Neues zu tun, musste ich mich ein Stück von den Wurzeln entfernen.

Gibt es bei Dir das Wort Kompromiss?

Ja, es geht nicht ohne. Auf der Baustelle bspw. bin ich offen und schaue die Kosten für Maßnahmen niedrig zu halten. Ich arbeite ja mit Steuergeldern und muss jonglieren, abwägen, möglichst wenig ausgeben. Besteht aber bspw. Gefahr für Menschen, gibt es keinen Kompromiss, dann kostet es das Geld, das es kostet.

Auf das Wort Geld, da steige ich jetzt nicht ein – oder doch. Eine letzte Frage zur Verantwortung und dem Abwägen zum Kirchentag 2017 und der Luther-Dekade. Wie gut siehst du da die Steuergelder eingesetzt?

Ja, sie werden eingesetzt, aber, dazu sage ich nein.

Sandra Pacholke, schönen Dank.

Nach einer Stunde trennen sich wie vereinbart unsere Wege. Die Politiker, auch meine Interviewpartnerin, drehen auf dem Asphalt vor der U-Bahn-Station Warschauer Strasse weiter kleine Runden. Passanten bleiben stehen. Gespräche entstehen.