Eine Frau, die ihrem schwer kranken Mann auf dessen Wunsch hin eine tödliche Dosis Insulin gespritzt hat, wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) freigesprochen. Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) begrüßt die BGH-Entscheidung, die am vergangenen Donnerstag veröffentlicht wurde.
DGHS-Präsident Prof. Robert Roßbruch begrüßt das jetzt veröffentlichte Urteil (BGH, Beschluss vom 28.06.2022 – 6 StR 68/21) als wichtige Richtungsentscheidung. Er betont: "Diese Grundsatzentscheidung bestärkt signifikant das Freiheitsrecht des Einzelnen, über das eigene Leben zu bestimmen und dabei auch Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen, wie es das Bundesverfassungsgericht vor mittlerweile zweieinhalb Jahren bekräftigt hatte. Ganz entscheidend ist, dass die wohlüberlegte Freiverantwortlichkeit des Sterbewunsches eindeutig gegeben ist."
Diese richtungsweisende Entscheidung werde, so Roßbruch, Auswirkung auf die Überlegungen im Bundestag haben, ob und wie eine gesetzliche Regelung für die Durchführung von Freitodbegleitungen geschaffen werden soll. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit seiner Entscheidung vom 28. Juni die Ehefrau eines Verstorbenen vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) freigesprochen. Die ausgebildete Krankenschwester hatte ihrem Mann nicht nur die Medikamente zurechtgestellt, die der pflegebedürftige Diabetiker in Tatherrschaft selber einnahm, sondern ergänzend in Überdosis Insulin gespritzt. In der ersten Instanz war sie wegen "Tötung auf Verlangen" zu einem Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden.
Enge Angehörige wie auch Ärzte unterliegen grundsätzlich einer Garantenpflicht für Leben und Unversehrtheit schutzbedürftiger Personen. Diese Rechtsprechung hat bereits mit den beiden Grundsatzurteilen des 6. Strafsenats des BGH vom 3. Juli 2019 eine Wendung erfahren, betont DGHS-Präsident Robert Roßbruch, selbst Rechtsanwalt, in einer ersten Stellungnahme. Nun lege der 6. Strafsenat des BGH im Bereich der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) nach.
Der BGH-Senat begründet seinen Freispruch unter anderem so: "Er hält es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, wonach jedenfalls diejenigen Fälle vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen, aus dem Leben zu scheiden, sie vielmehr darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt."