Wieder wurde die "evidenzbasierte" Homöopathie von der Realität eingeholt

Paukenschlag im Umgang mit der Homöopathie in Großbritannien: Für eine erneute Akkreditierung müsste nun ein öffentliches Interesse vor dem Hintergrund nachgewiesener Evidenz und eine positive Nutzen-Risiko-Bilanz für eine medizinische Intervention nachgewiesen werden. Daraufhin kündigte die Vertretung der homöopathischen Therapeuten an, sich von dem Zulassungsverfahren zurückzuziehen.

Manchmal passt alles irgendwie zusammen. Man nennt es gern Zufall, aber letztlich ist so etwas meist darauf zurückzuführen, dass ein Thema ohnehin in der Luft liegt und sich im Diskurs an mehr als einer Stelle Bahn bricht. In unserem Fall im Kontext der – leider – längst noch nicht abgeschlossenen Homöopathiedebatte.

Gerade erst berichteten wir an dieser Stelle darüber, auf welche Weise die Vertreter der Homöopathie einmal mehr versuchen, ihre Behauptung, Homöopathie sei evidenzbasiert, in den Köpfen der Menschen zu verankern. Wobei sie nicht nur ihre eigene Definition dieses in der medizinischen Forschung klar umrissenen Begriffs liefern, sondern auch völlig untaugliche "Belege" wie einen marginalen Hinweis in einer medizinischen Leitlinie zu angeblich unbestreitbarer "Evidenz" hochstilisieren. Nun, wenige Tage danach, registrieren wir einen Vorgang, der diese Bemühungen der hiesigen Homöopathie-Szene sozusagen implodieren lässt.

Worum geht es?

In England hat sich schon 2009 ein Wissenschaftsausschuss des Unterhauses zur Evidenz der Homöopathie geäußert, umfangreich und sachkundig. Der Ausschuss empfahl schon damals die Entfernung der Homöopathie aus dem Gesundheitssystem NHS (National Health Service). Dem ist dann der NHS 2017 mit all seinen (mehrere hundert zählenden) Regionalorganisationen gefolgt, indem er die Erstattungsfähigkeit homöopathischer Therapien und Mittel, ambulant wie stationär, beendete.

Schnell marginalisierte sich der Homöopathie-Umsatz auf der Insel, was zeigt, dass die Menschen zwar gern so manches mitnehmen, das sie nicht selbst zahlen müssen, aber es ihnen die Bezahlung aus der eigenen Tasche offenbar nicht wert ist. Soweit zur "Beliebtheit" von Homöopathie. Und das ist nicht nur eine Binsenweisheit, sondern eine der grundlegenden Thesen der Gesundheitsökonomie1.

Als dann auch noch die Registrierungsbehörde für Arzneimittel begann, Homöopathika auszulisten, reduzierte sich die Sphäre der Homöopathie in England auf einige – nun natürlich höchst aktive – Interessenvertretungen. Zeitweilig wurde gar in manchen Kliniken kostenlose homöopathische Behandlung angeboten.

Im letzten Akt dieser Tragikomödie entbrannte ein Streit zwischen der Professional Standards Authority (PSA, der Akkreditierungsbehörde für medizinische Einrichtungen und Verbände) und der Society of Homeopathy (SoH, der Vertretung der homöopathischen Therapeuten). Die PSA zögerte angesichts der Entwicklungen mit einer Erneuerung der Akkreditierung, sprach sie dann aber doch aus – wogegen englische Homöopathiekritiker klagten. Der Rechtsstreit endete mit dem Kompromiss, dass die Akkreditierung unter Auflagen (Verzicht auf bestimmte Therapieangebote, Unterlassen von Agitation gegen Impfungen) erneuert wurde.

Nach allerlei Provokationen in der Folgezeit kam es Anfang 2021 dazu, dass die PSA die Akkreditierung der SoH für "ruhend" erklärte. All dies veranlasste die PSA, ihre Kriterien für eine Akkreditierung neu zu überdenken und hierzu eine Anhörung durchzuführen; was zu einer neuen Regelung in ihrer Satzung führte, dass künftig einer (Re-)Akkreditierung eine Art Gutachterverfahren (public interest test) vorausgehen muss. Dabei soll festgestellt werden, ob ein öffentliches Interesse für eine Akkreditierung vor dem Hintergrund nachgewiesener Evidenz und einer positiven Nutzen-Risiko-Bilanz für eine medizinische Intervention gegeben ist (Pressemitteilung der PSA).

Nun ist das für alle, die sich seit über 20 Jahren für die evidenzbasierte Medizin einsetzen, nichts, was nicht schon längst nötig gewesen wäre. Aber ein solcher "Filter" scheint ja in der Tat bislang bei der PSA gefehlt zu haben, so dass es bislang wohl auf "Verhandlungen" und die Überzeugungskraft von Lobbyisten ankam, ob im Zweifel akkreditiert wurde oder nicht. Ein bemerkenswerter Schritt!

Und nun? Quo vadis, Homöopathie?

Nun heißt es, Evidenzbasierung nicht nur zu behaupten, sondern auch zu belegen! Die Quintessenz: Die Society of Homeopathy erklärte nach Inkrafttreten der neuen PSA-Satzung, künftig auf jede Akkreditierung verzichten zu wollen ("... announced they will be withdrawing from the Accredited Register scheme"). Sie verliert damit das Recht, das Qualitätssiegel der PSA weiter führen zu dürfen und ihre homöopathischen Therapeuten ebenso. Das ist ungefähr so, als gäbe es hierzulande einen Knall und es gäbe auf einmal nirgendwo mehr eine "ärztliche Zusatzbezeichnung Homöopathie".

Was bedeutet das? Nicht mehr und nicht weniger als das Eingeständnis, dass es eine belegbar evidenzbasierte Homöopathie schlicht und einfach nicht gibt. Und damit auch kein öffentliches Interesse an ihr. Es zeigt sich: wird eine konkrete Hürde aufgebaut, wo Nachweise nach klaren Kriterien zu erbringen sind, streicht man die Segel, weil man mit Behauptungen und absurden Beweiskonstruktionen nicht weiterkommt. Und da liegt der Unterschied zwischen England und hierzulande. Hier hat noch niemand von den Homöopathen mit der Folge von realen Konsequenzen abgefordert, den wissenschaftlichen Beweis für ihre Behauptungen anzutreten. Der Raum für Behauptungen ist hierzulande weiter ein bequemer Aufenthaltsort.

Natürlich ist dieses Ereignis in England auch für die so selbstbewusste Homöopathie in Deutschland ein Tiefschlag, aber ohne konkrete Auswirkungen. Immerhin, die Absurditäten, mit denen – kürzlich noch – eine Evidenzbasierung der Homöopathie herbeibuchstabiert werden sollte, erweisen sich kurze Zeit später als heiße Luft. Mehr Widerlegung können die Kritiker der Homöopathie gar nicht leisten, wie es jetzt die Ereignisse in England mit sich gebracht haben.

Reale Konsequenzen für die rechtliche Situation im Arzneimittel- und im Sozialrecht hier in Deutschland sind derzeit allein wegen der Menge anderer zu bewältigender Probleme zwar nicht in Sicht. Aber es ist zu hoffen und zu wünschen, dass die Desavouierung des Narrativs von der "evidenzbasierten Homöopathie" doch zur Kenntnis genommen und nicht vergessen wird. Die wissenschaftlich orientierte Homöopathiekritik wird das ihre dazu beitragen.

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1Arrow, Kenneth (1963): "Uncertainty and the Welfare Economics of Medical Care", American Economic Review, 53(5): S. 941–973.
Arrow (1963) befasst sich mit der Frage, wie sich das individuelle Verhalten durch eine Versicherung verändert. Arrow, US-Amerikaner, Mathematiker, Ökonom und Nobelpreisträger, befürwortete eine soziale Absicherung gegen den Krankheitsfall. Gleichzeitig sprach er aber auch eine Warnung aus, denn durch die Möglichkeit, die Kosten für die Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen auf die Allgemeinheit abzuwälzen, verändert sich das individuelle Verhalten: Der Versicherte nimmt Leistungen in Anspruch, die er nicht in Anspruch nehmen würde, wenn er selbst zahlen müsste. Nicht weil er es sich sonst nicht leisten könnte, sondern weil diese Maßnahmen es ihm sonst nicht wert wären: Der erwartete individuelle Nutzen ist zu gering, um für den Einzelnen die Kosten zu rechtfertigen. Die Marginalisierung der Homöopathie in England nach Abschaffung der Erstattungsfähigkeit kann als Bestätigung seiner These gesehen werden.