Institut Kortizes feiert Rekordbesuch

Wissenschaft und Skeptiker-Szene im Nürnberger Planetarium

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Marc O. Ernst
Marc O. Ernst

Gestern ging die Nürnberger Doppel-Veranstaltungsreihe "Vom Reiz der Sinne" / "Vom Reiz des Übersinnlichen" zu Ende. Die neun Vorträge voller Forschungserkenntnisse und Aufklärung wurden erstmals von dem neu gegründeten Institut Kortizes veranstaltet. Als Publikumsmagnet erwiesen sich erfreulicherweise nicht nur die bekanntesten Gesichter wie Manfred Spitzer, Lydia Benecke oder Natalie Grams, sondern die gesamte Reihe.

Im Frühjahr standen unter der runden Kuppel des Nürnberger Planetariums zuerst Vortragende aus den Wahrnehmungswissenschaften, später folgten Referentinnen, die über beliebte Fehlvorstellungen aufklärten - etwa in Esoterik und Alternativmedizin, Statistik und Kriminalität.

Wenn Fehler verstehen helfen

Foto: © Karin Becker
Marc O. Ernst, Foto: © Karin Becker 

Wobei sich beide Ansätze nicht ausschlossen. So regte etwa der Vortrag des Psychologen Marc O. Ernst dazu an, die populäre Annahme in Frage zu stellen, dass Wahrnehmungstäuschungen ein Beweis für die mangelnde Perfektion unseres Gehirns sind. Der Ulmer Professor für Kognitionspsychologie konnte anhand typischer Beispiele zeigen, dass oft genau das Gegenteil der Fall ist. Denn das Gehirn verknüpft die Eindrücke verschiedener Sinne mit solchen Vorannahmen über die Welt, die statistisch am häufigsten zutreffen.

In Ausnahmesituationen kann die Wahrnehmung dann zwar trügen, dafür entsteht aber in sonstigen, "normalen" Situationen ein verlässlicheres Abbild der Umwelt als ohne diese hineingerechneten Annahmen möglich wäre. Das macht auch verständlich, warum sich die Forschung für Wahrnehmungsillusionen interessiert. Denn an ihnen lässt sich einiges über die Verarbeitung von Sinnesinformationen lernen.

Neuer Name für Bewährtes

Mit Marc O. Ernst stand ein ehemaliger Kollege des Organisators Rainer Rosenzweig auf der Bühne. Die beiden kennen sich vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübringen. Denn auch Rosenzweig ist Wahrnehmungspsychologe und ein alter Hase bei der Organisation von Veranstaltungen, in denen Wissenschaft einem breiten Publikum vermittelt wird. Seit 2011 kooperiert er dabei mit Planetariumsleiter Klaus Herzig, um Wissenswertes aus der Wahrnehmungsforschung und zu Skeptiker-Themen an den Ort zu bringen, wo sonst Astronomie-Fans Sternenwissen und Weltraum-Staunen tanken.

Die Reihen hießen damals "Von Sinnen" / "Außer Sinnen" und Rosenzweig konzipierte sie in seiner Funktion als Chef des Hands-On-Museums "Turm der Sinne". Nach seinem Ausscheiden aus dem "Turm der Sinne" hat das Nachfolge-Format "Vom Reiz der Sinne" / "Vom Reiz des Übersinnlichen" nun an dem gemeinnützigen Institut Kortizes eine neue organisatorische Heimat gefunden, wo sich um Rosenzweig und seinen langjährigen Mitstreiter Helmut Fink eine Gruppe von Humanistinnen und Humanisten zusammengefunden hat, die auch schon das von Oktober 2016 bis Mai 2017 laufende Veranstaltungsangebot "Humanistischer Salon Nürnberg" gestalteten - mit seinen Vorträgen zu Wissenschaft, Philosophie und säkular-humanistischen Themen bei Sonntagsbrunch und Live-Klaviermusik (der hpd berichtete).

Schadet modernes Leben?

Manfred Spitzer, Foto: © Helmut Fink
Manfred Spitzer, Foto: © Helmut Fink

Den Anfang der Reihe "Vom Reiz der Sinne" bildete Mitte März ein Vortrag des prominenten Neurowissenschaftlers Manfred Spitzer. Der Ulmer Psychiater blieb dabei seiner gewohnt pessimistischen Sicht auf aktuelle Gesellschaftsentwicklungen treu und stellte zahlreiche wissenschaftliche Studien vor, in denen sich negative Auswirkungen zunehmender Technisierung, Individualisierung und Verstädterung auf den psychischen Gesundheitszustand der Menschen zeigten.

Ergebnisse wie die, dass Einsamkeit als Risikofaktor bedeutsamer ist als das Rauchen und dass es Menschen schadet, wenn zu wenig Grün in ihrer Umgebung ist, summieren sich zusammen mit nachteiligen Wirkungen von Techniknutzung für den mehrfachen Buchautor (u.a. "Digitale Demenz" und "Cyberkrank") zu einer düsteren Aussicht in die Zukunft. Dass Fortschrittsindikatoren, die jahrzehntelang immer weiter anstiegen, wie Intelligenz und Lebenserwartung, in den USA heute wieder leicht sinken, sieht der Ärztliche Leiter der Psychiatrischen Uniklinik in Ulm als ein Zeichen, dass solche negativen Einflüsse an Bedeutung gewinnen.

Lerntempo im Hirn

Bei dem folgenden Vortrag von Sibylle Herholz Mitte April ging es um neue wissenschaftliche Erkenntnisse zum Erlernen von Instrumenten. Die Kognitionspsychologin hat die Wirkung von musikalischem Training untersucht und dabei Hirnbereiche identifiziert, die individuelle Unterschiede im Lerntempo vorhersagen können.

Ob jemand zu denen gehörte, die eine neue Melodie am Klavier schnell lernen oder zu denen, die dafür länger brauchen, ist schon vor dem Training an der Aktivität bestimmter Hirnbereiche ablesbar. Ob solche Prädispositionen genetisch verursacht oder umweltbedingt sind und ob diese veränderbar sind, ist dabei nicht bekannt, nur, dass es einen Zusammenhang gibt. Die Forscherin rät daher von voreiligen Schlüssen ab.

Ist dies wirklich meine Hand?

Simone Schütz-Bosbach. Foto: © Karin Becker
Simone Schütz-Bosbach. Foto: © Karin Becker

Um das, was unsere Gehirne alles tun, damit wir unsere eigenen Körperteile auch wirklich als die unseren erleben, ging es Anfang Mai in einem Vortrag von Simone Schütz-Bosbach. Die Münchner Professorin interessiert sich dafür, wie die Rückmeldung von Handlungen und die Wahrnehmung unseres Körpers im Gehirn zu einem Gefühl von Selbst verrechnet werden.

Ähnlich wie bei der Forschung von Ernst dient auch in Schütz-Bosbachs Fachgebiet die Untersuchung von Wahrnehmungsillusionen dem Ziel, den Verarbeitungsprozessen genauer auf die Spur zu kommen. Denn wenn die Forschung herausfindet, wie die Wahrnehmung einer Person manipuliert werden muss, damit diese ihre Hand nicht mehr als die eigene erlebt, dann kann sie im Umkehrschluss daraus schließen, welchen Input das Gehirn nutzt, um den Eindruck von "Meinhaftigkeit" und Handlungsurheberschaft sonst so zuverlässig zu erzeugen.

Sinne und Verhalten evolvieren zusammen

Andreas Feigenspan, Foto: © Karin Becker
Andreas Feigenspan, Foto: © Karin Becker

Über die allgemeine evolutionsbiologische Seite solcher Kopplungen von Wahrnehmung und Verhalten sprach der Erlanger Neurobiologie-Professor Andreas Feigenspan in seinem Vortrag über die Evolution des Sehens Mitte Mai. Wie er betonte, entwickelten sich sensorische Funktionen bei der Wahrnehmung in der Evolution nämlich nur dann, wenn sie neue Verhaltensweisen ermöglichen, die für einen Organismus vorteilhaft sind.

Der Besitz lichtempfindlicher Moleküle etwa erlaubt Organismen ein an Tageszeiten orientiertes Leben. Lebewesen, die zusätzlich abschirmende Pigmente besitzen, können sich zudem in ihrer Bewegung an der Richtung orientieren, aus der das Licht kommt. Und mit einfachen Augen ohne Linsen können Tiere schon genug sehen, um grobe Eigenschaften von Lebensräumen von weitem zu erkennen, um diese aufzusuchen oder zu vermeiden. Die komplexeren Augen mit Linsen schließlich sind notwendig für präzisere Erkennung von Details - etwa von Blüten oder von Beutetieren, von Fressfeinden oder Artgenossen.

Nicht alle Psychopathen schaden

Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke eröffnete Anfang Juni die Reihe "Vom Reiz des Übersinnlichen", die Kortizes in Kooperation mit der hiesigen Regionalgruppe der GWUP (Gesellschaft zur Wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften) veranstaltet. Sie beleuchtete in ihrem Vortrag über "die Psychologie des Bösen", wie Psychopathen ticken und warum nur ein Teil von ihnen kriminell wird.

Lydia Benecke (li) (Rainer Rosenzweig, r.), Foto: © Rudolf Pausenberger
Lydia Benecke (li.) Rainer Rosenzweig (r.), Foto: © Rudolf Pausenberger

Fragen wie diesen geht Benecke nicht nur in ihrem Hauptberuf als Gefängnistherapeutin nach, sondern auch als Autorin von populären Sachbüchern, in denen sie - wie im Vortrag - den Stand der forensischen Psychologie verständlich macht, aber auch von sich selbst erzählt, von eigenen Klienten und Persönlichem wie ihrer Verbindung zu Subkulturen wie der Gothic Szene, die sich auch in ihrer durchgehend schwarzen Kleidung zeigen.

Benecke, die dem Wissenschafsrat der GWUP angehört, erklärte, dass das, was Psychopathen für ihre Mitmenschen gefährlich macht, nicht etwa darin besteht, dass sie blutrünstig seien, sondern dass sie sehr wenig Angst, Mitgefühl und Schuldgefühle empfänden. Wenn dazu noch Narzissmus komme und ein Bedürfnis nach Kicks im Leben, sind Entscheidungen wahrscheinlicher, die anderen schaden können. Trotz solcher Persönlichkeitszüge ist ein sozial verträgliches Leben möglich, wenn auch - wie der Titel ihres Buches zum Thema es zusammenfasst - "auf dünnem Eis".

Vom Irren mit Statistik

Katharina Schüller, Foto: © Karin Becker
Katharina Schüller, Foto: © Karin Becker

Auch die Expertise der nächsten Referentin der Reihe, Katharina Schüller, kann für die Aufklärung von Mordfällen von Bedeutung sein, doch meist geht es in der Statistik um weniger gewalttätige Dinge. Mit ihrem auch auf Youtube-Kanal von Kortizes verfügbaren Vortrag und dem zugehörigen Buch "Statistik und Intuition" möchte Schüller die statistische Allgemeinbildung erhöhen, damit Menschen die Aussagen von Statistik besser verstehen, einordnen und in ihrer Bedeutung bewerten lernen.

Denn egal, ob es um die Umstände von Mordfällen geht oder um die Ursachen von Aktienkurs-Schwankungen, stets gelte es, die Existenz von Zufällen, Unsicherheiten und Ambivalenzen einzubeziehen. Die Fehler, die dabei auftreten können, sind allerdings vielfältig. Es geht Schüller daher nicht nur um den so beliebten wie falschen Schluss von der Korrelation zur Kausalität, sondern auch um vieles andere darum herum. Beispielsweise um die typisch menschliche Schwäche nur solche Daten überhaupt wahrzunehmen, die zum eigenen Weltbild passen.

Abkehr von der Homöopathie

Nathalie Grams, Foto: © Karin Becker
Natalie Grams, Foto: © Karin Becker

Wie wichtig es ist, die eigenen Annahmen kritisch zu überprüfen, betonte dann aus eigener Erfahrung auch die Ärztin Natalie Grams, die Mitte Juli zu Gast im Planetarium war. Die bekannte Ex-Homöopathin beschrieb in dem Vortrag, der auch auf Youtube verfügbar ist, wie die Recherche für ein Buch über Homöopathie sie in eine Überzeugungskrise führte. Eigentlich wollte sie ihre Therapierichtung darin verteidigen. Es war schmerzhaft bei näherem Hinsehen erkennen zu müssen, dass die Kritiker recht haben und die Homöopathie tatsächlich keine spezifische arzneiliche Wirkung hat.

Grams schrieb danach ein Buch, aber es war ein ganz anderes als geplant. In "Homöopathie neu gedacht" brach sie mit Hahnemanns Lehren und erklärte, warum die Homöopathie so beliebt ist. Dahinter stecken keine pharmazeutischen Wirkmechanismen, nicht einmal nur der Placebo-Effekt. Vielmehr ist eine Vielzahl psychologischer Mechanismen am Werk, die Patienten und ihre Therapeuten in die Irre führen und sie felsenfest - aber irrtümlich - daran glauben lassen, an der Homöopathie sei etwas dran. Die an den Vortrag anschließende heftige Diskussion mit überzeugten Homöopathie-Ärzten und -Anwendern bestätigte diese Sichtweise auf unfreiwillig deutliche Art.

Das Gute und Erhaltenswerte an der Homöopathie liegt für Grams allein in der Zuwendung und der Zeit für die Patienten. Dieser Aspekt muss besser in den normalen Medizinbetrieb integriert werden, findet die Medizinerin. Für sie ist heute jedoch klar: Die Homöopathie selbst ist nicht die Lösung. Sie ist vielmehr unwissenschaftlich und überholt. Deswegen setzt sie sich jetzt dafür ein, die Sonderstellung der Homöopathie abzuschaffen, ihre Therapien aus der Kassenfinanzierung zu nehmen und die Apothekenpflicht für Globuli aufzuheben.

Magisches Ägypten

Zum Abschluss der Veranstaltungsreihe referierte Ende Juli die Ägyptologin Yvonne Vosmann über Ägyptosophie, also über jenen Zweig der Esoterik, in dem altägyptischen Traditionen, Symbolen und Objekten besondere Weisheit und übersinnliche Wirkung zugeschrieben wird. In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie, welche Objekte mit ägyptischem Bezug heute in Online-Shops angeboten werden und wie diese beschrieben werden.

Von Amuletten und Pharao-Stäben über Energiepyramiden und Pendeln bis zu Körperölen und Räucherwerk gibt es unzählige Produkte, die die Händler mit Beschreibungen anpreisen, in denen sie wissenschaftlich bestätigte Tatsachen mit behauptetem geheimen Zusatzwissen vermischen. Vosmann untersuchte dieses Hinzufügen neuer Bedeutungen aus möglichst neutraler Perspektive, als ein gesellschaftswissenschaftlich interessanter Teil von Kulturrezeption, also der Aufnahme fremder Kultur in die eigene, machte jedoch deutlich, dass sie selbst nicht an magische Wirkungen glaubt.

Beliebte Reihen kriegen Zuwachs

Organisator Rainer Rosenzweig blickt sehr zufrieden auf die diesjährige Doppelreihe "Vom Reiz der Sinne" - "Vom Reiz des Übersinnlichen" zurück. Im Vergleich zu den Vorjahren konnten die Publikumszahlen des bewährten Konzepts dieses Mal noch einmal deutlich gesteigert werden. Der bisherige Rekord lag 2014 bei 1.320 Besuchern. Dieses Jahr waren es über 1.500. Da der geplante Vortrag von Anousch Mueller, Autorin des Buches "Unheilpraktiker", leider wegen Krankheit entfallen musste, wurde der neue Rekordwert sogar in nur 9 anstatt der sonst 10 Vorträge erreicht.

Für das nächste Jahr ist nicht nur eine Fortsetzung, sondern auch eine Ausweitung geplant. Zu den Reihen „Vom Reiz der Sinne“ und „Vom Reiz des Übersinnlichen“ wird dann noch eine weitere hinzukommen. Für dieses neue Format „Vom Reiz des Wissens“ kooperiert Kortizes mit dem ZiWiS, dem Zentralinstitut für Wissenschaftsreflexion und Schlüsselqualifikationen an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Vorher wird das Kortizes-Institut für populärwissenschaftlichen Diskurs ab Herbst 2017 auch wieder den beliebten „Humanistischen Salon“ anbieten. Zudem sind weitere Projekte zur Förderung von rationalem Weltbild und säkularem Humanismus in Arbeit. Wer darüber informiert bleiben will, findet auf http://kortizes.de/ Links zu den Kanälen auf den sozialen Medien und die Möglichkeit, den E-Mail-Newsletter zu abonnieren.

Foto: © Karin Becker
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