Meinung

Bedingungsloses Grundeinkommen wieder im Gespräch

BERLIN. (hpd) Telekom-Chef Timotheus Höttges bringt angesichts fortschreitender Digitalisierung und den wahrscheinlichen Rückgang von Arbeitsplätzen das Bedingungslose Grundeinkommen wieder ins Gespräch. Noch vor Kurzem gab es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Interview mit dem Gründer der Drogeriekette "dm" Götz Werner zum selben Thema. Eine Diskussion, die polarisiert. Doch letztlich mangelt es fast ausschließlich am politischen Durchsetzungswillen, meint hpd-Autor Paul Hilger.

"Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen", teilte Höttges gegenüber DIE ZEIT mit. Überraschende Worte seitens eines Konzernchefs, dessen Unternehmen international agiert. Doch es ist nicht die einzige Aussage, die Aufsehen erregt, denn er spricht sich ebenfalls für eine höhere Besteuerung von Internetkonzernen aus: "Wenn Produktivität zukünftig vor allem an Maschinen und die Auswertung von Daten gekoppelt ist, könnte die Besteuerung stärker auf den beruhenden Gewinn aufbauen und weniger auf der Einkommenssteuer des Einzelnen.[...] Die Gewinnbesteuerung ist wahrscheinlich der richtige Weg."

Man stelle sich nun vor, alle Bürgerinnen und Bürger erhalten ein Grundeinkommen von monatlich 1000 Euro netto. Es klingt nach einer närrischen Utopie und einem Freifahrtschein zum lebenslangen Faulenzen. Außerdem betrüge man den hart arbeitenden Teil der Bevölkerung, die dafür schufteten, dass der nicht arbeitende Teil in Saus und Braus leben könnte. Doch ist es außerordentlich schwierig eine klare Trennlinie zu ziehen zwischen Arbeiten und Nicht-Arbeiten. Ist etwa der Mensch, der sich mit Leidenschaft ehrenamtlich für die Freiwillige Feuerwehr oder den lokalen Fußballverein engagiert, weniger hart am arbeiten als das Personal im Supermarkt? Wohl kaum. Manche Bundesländer bemühen sich darum, Ehrenamt angemessen zu honorieren, indem etwa eine Ehrenamtskarte eingeführt wird, die zum Beispiel Vergünstigungen im Bereich Kultur oder ÖPNV beinhaltet. Die gegenwärtige Hilfe für Geflüchtete erfolgt außerdem hauptsächlich mithilfe zahlreicher ehrenamtlich aktiver Menschen, die sich damit auch einer zusätzlichen Arbeitsbelastung aussetzen. 

Welche Vorteile sieht Götz Werner, Gründer der Kette "dm" und ein weiterer prominenter Befürworter des BGE´s? An erster Stelle würde dessen Einführung einen massiven Bürokratieabbau nach sich ziehen, denn mehrere Mini-Subventionen, wie etwa das Aufstocken geringer Einkommen auf AlG-II-Niveau oder das BAföG, könnten überflüssig werden. Zweitens stünden allen Bürgerinnen und Bürgern mehr Geld zur Verfügung, welches in Konsumgüter ausgegeben werden könnte – die Wirtschaft würde davon auch profitieren. Nun folgt eine äußerst kritische aber auch berechtigte Frage: Wer soll das alles bezahlen? Auch darauf hat Werner eine interessante Antwort: "Das Finanzierungsproblem stellt sich nicht. Wir alle leben nicht vom Geld, sondern von Gütern. Die richtige Frage lautet daher: Ist die Gesellschaft in der Lage, so viele Güter und Dienstleistungen zustande zu bringen, dass 82 Millionen Menschen in der Größenordnung von mindestens 1000 Euro davon leben könnten. Da ist die Antwort – bei einem Bruttosozialprodukt von 2500 Milliarden und Konsumausgaben von 1800 Milliarden Euro – eindeutig ja." 

Ein weiterer Einwand lautet, dass dann Menschen für den Luxus anderer Menschen arbeiten müssten. Aber solche Zustände herrschen bereits seit langem. Hunderttausende Bürgerinnen und Bürger beziehen so viel Einkommen aus Vermietung, Verpachtung und Kapital, für das sie nicht arbeiten müssen, gelten aber dennoch als fleißig. In diesem Punkt fehlt es unseren Wertevorstellungen von Arbeit an Verhältnismäßigkeit. Es wäre kurzsichtig anzunehmen, ein BGE würde Menschen träger werden lassen. Vielmehr könnte unserer Wirtschaft ein großer Innovationsschub verliehen werden, denn mehr Menschen würden sich trauen, Startups zu gründen. Dem Unternehmertum könnte eine Kreativität ungekannten Ausmaßes zugute kommen. 

Es mag euphemistisch und träumerisch klingen, doch wäre es nicht auch möglich, dass ein BGE ein neues Lebensgefühl erzeugt? Rousseau äußerte sich zum Freiheitsbegriff: "Freiheit ist: nicht tun zu müssen, was man soll". Kein Mensch ist mehr von einem anderen abhängig, weder von Familie noch von Kunden oder Arbeitgeber. Während viele lohnabhängig Beschäftigte ihrer Arbeit nur des Geldes wegen nachgehen, ihre Arbeit deshalb nur halbherzig verrichten oder Gründe finden, sich davor zu drücken, arbeitet ein selbstbestimmter Mensch mit deutlich mehr Motivation. 

Jetzt muss es in erster Linie darum gehen, das Thema BGE aus der Schublade der lächerlichen Utopien herauszuholen und diese auf einem ernsthaften und konstruktiven Niveau zu diskutieren. Wie dieses dabei letztlich als Gesetz aussieht, kann äußerst unterschiedlich ausfallen. Und eine Utopie ist es längst nicht mehr: Finnland will dieses Projekt ausprobieren und wird dazu ein Experiment mit mindestens 10.000 Probanden durchführen. Wieder einmal ist Skandinavien in Sachen Sozialstaat und alternative Wirtschaftskonzepte uns einen weiten Schritt voraus. Da passt zum Schluss ein berühmt gewordenes Zitat aus Theodor Herzl´s Der Judenstaat: "Wenn Ihr wollt, ist es kein Traum".