MAINZ. (hpd) Gunther von Hagens' kontroverse „Körperwelten“ eröffneten gestern im Alten Postlager in Mainz mit einer Ausstellung rund um das menschliche Herz.
Ein Mann grübelt über einem Schachbrett, ein anderer sitzt auf seinem Fahrrad, ein dritter rettet eine Frau aus einem brennenden Haus. Was nach mehr oder weniger gewöhnlichen Alltagsszenen klingt, verbindet eine eigentümliche Gemeinsamkeit: Die erwähnten Menschen sind allesamt tot. Nur ihre haltbar gemachten Körper sind in den beschriebenen Szenen zu sehen.
Bereits seit 1996 erregt der Plastinator Gunther von Hagens mit seinen „Körperwelten“ die Gemüter und sorgt international für Diskussionen. Unter dem Titel „Eine HERZenssache“ widmet sich die aktuelle Wanderausstellung vor allem dem besagten Organ. Nachdem sie bereits erfolgreich in Nürnberg und Linz gastierte, feierte sie heute mit einer Pressekonferenz ihre Eröffnung im Alten Postlager in Mainz. Redebeiträge hielten die Kulturdezernentin der Stadt, Marianne Grosse (SPD), Dr. Angelina Whalley, Kuratorin der Ausstellung und Ehefrau Gunther von Hagens', sowie Franz Josef Wetz, Professor für Philosophie und Ethik an der Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd.
Grosse betonte die Bereicherung des kulturellen Lebens der Landeshauptstadt durch die „Körperwelten“, seien sie doch bislang noch nicht in Rheinland-Pfalz zu sehen gewesen, und lobte deren aufklärerischen Charakter. Dr. Whalley erklärte, dass die Plastinate zwar stets aufs Neue für Auseinandersetzungen sorgen, der Großteil der Besucher sich jedoch positiv durch die medizinisch-anatomische Aufbereitung über den eigenen Körper informiert sehe und viele angäben, sich nach dem Besuch mehr Gedanken über die eigene Existenz und Gesundheit zu machen. Ihr Gatte habe sein Verfahren, bei dem totes Gewebe durch den Austausch von Blut und Zellflüssigkeiten mit Kunststoffen sehr robust konserviert wird, bereits in den 70er-Jahren entwickelt. Tatsächlich kam es zufällig zu der Entdeckung, wie sie weiter erläuterte.
Auch Professor Wetz hob die hohe Bedeutsamkeit der „Körperwelten“ hervor. Sie trugen zur „Sensibilisierung für das eigene Leben“ der Besucher bei. Kritiker an der Plastination hätten diese oftmals als Verstoß gegen die Würde des Menschen charakterisiert. Maßgeblich sei aber der Umgang mit den Exponaten. Sie würden in einem achtungsvollen Setting gezeigt, wodurch der „Achtungsanspruch“, mit dem der Begriff der Menschenwürde zu umschreiben sei, gewahrt bleibe. Die Ausstellung sei eine „Selbstkonfrontation“ des Menschen, die zum Nachdenken anrege, und kein plumpes Gruselkabinett, wie sie besagte Kritiker häufig brandmarkten. Er gab zu bedenken, dass „etwas anzusehen“ nicht heiße, „es zu entwürdigen“.
Gerade die Kirchen hatten vielfach Einwände gegen von Hagens' Präsentation von Plastinaten vorgebracht. Der evangelische Bischof Markus Dröge etwa sieht darin „unwürdige Effekthascherei“, zumal den ausgestellten Leichen eine würdige Bestattung vorenthalten bliebe. Dieser Aspekt ist nach wie vor ein großer Streitpunkt. So versucht der Bezirk Berlin- Mitte weiterhin die im Februar im Sockel des Fernsehturms eröffnete Dauerausstellung „Menschen Museum“ zu untersagen, trotzdem das zuständige Verwaltungsgericht keine Bedenken äußerte. Bürgermeister Christian Hanke (SPD) sieht ebenfalls die menschliche Würde durch die Exponate verletzt. Auch er findet, dass Leichen beerdigt werden sollten.
Wetz entkräftete derlei Behauptungen mit Verweis auf den respektvollen, medizinisch aufklärenden Charakter der Ausstellung und mit dem Hinweis, dass die Spender selbstbestimmt zu Lebzeiten erklären, ihre Körper nach dem Ableben für derlei Zwecke zur Verfügung zu stellen. Seit Jahrzehnten sei dies bereits gängige Praxis in der Forschung und Lehre, etwa wenn Studierende an Leichen Operationen trainieren dürfen.
Bischof Dröge verwies in seinem Text in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass Letztere nach einem solchen Einsatz allerdings „würdig bestattet“ würden. Interessanterweise können Vertreter christlicher Religionsgemeinschaften auch zu ganz anderen Urteilen gelangen, wie sich im Jahr 2004 zeigte. Ein kalifornisches Ethik-Komitee des Science Center Los Angeles, dem auch hochrangige Mitglieder christlicher Kirchen angehörten, lobte die „Körperwelten“ und sah keine Bedenken. Entscheidend war auch für sie, dass die freiwillige Erklärung zur Spende des eigenen Leichnams detailliert nachgewiesen werden könne.
Hierbei musste sich von Hagens allerdings auch Kritik gefallen lassen. Nach einer Kontroverse gab er im Jahr 2008 an, bereits seit 2006 keine Auftragsarbeiten, gerade auch aus China, bei der Plastination mehr anzunehmen. Ausschlaggebend war wohl, dass er deren Ursprung nicht genau nachprüfen konnte.
Wie Whalley heute anmerkte, sei die Anonymisierung der Spender nach deren Tod wichtigste Voraussetzung der Ausstellung. So könnten Plastinate nicht auf den Menschen, von dem sie stammen, zurückverfolgt werden. Professor Wetz ergänzte, dass dadurch die biologische Aufklärung ganz in den Vordergrund rücke, da keine Bezüge zur ursprünglich Person mehr möglich seien. Es gehe somit um „Biologie statt Biografie“.
In der Vergangenheit hatte es immer wieder Stimmen gegen die angebliche Sensationsgier und den Voyeurismus, den von Hagens' bediene, gegeben. Der Geschäftsführer der Berliner Tourismus & Kongress GmbH „visitBerlin“, Burkhard Kieker, bezeichnete die Zurschaustellung im Fernsehturm beispielsweise als „reißerisch und kommerziell“. Wetz und Whalley machten dahingehend gleichermaßen deutlich, dass dieses Argument einer konkreten Grundlage entbehre. Anatomie sowie die persönliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung seien das erklärte Ziel der „Körperwelten“, was, wie Umfragen unter den Besuchern belegen, auch so beim Publikum ankomme.
Tatsächlich präsentiert sich „Eine HERZenssache“ als informative und spannende Erfahrung. Der menschliche Körper lässt sich unmittelbar in seiner Beschaffenheit und Funktion bestaunen. Detaillierte Infotafeln und -grafiken ergänzen die Ausstellungsstücke und ermahnen, etwa durch den Vergleich zwischen einer gesunden und einer Raucherlunge, zum reflektierten Umgang mit der eigenen Gesundheit. Letzteres wird darüber hinaus durch die integrierte Fotoreihe "So isst der Mensch" von Peter Menzel und Faith D'Aluisio verdeutlicht, die Essgewohnheiten und Speisepläne von Familien rund um den Globus vorstellt. Insgesamt wird so zur bewussteren Wahrnehmung des eigenen Körpers und dem Verständnis von dessen teils sehr komplexen Funktionsweisen beigetragen.
„Eine HERZenssache“ ist noch bis 25. Oktober in Mainz zu sehen.
Bereits am 2. Juli eröffnet eine weitere Ausstellung unter dem Titel „Der Zyklus des Lebens“ in der Congresshalle in Saarbrücken.
2 Kommentare
Kommentare
Dr. Jeffrey Myers am Permanenter Link
Kein erhobener Zeigefinger...
Gleichwohl ist die Ausstellung eine Frage an die Kirche, die offenbar die Fragen der Menschen nach eigenem Leben und Sterben umfassender wahrnehmen muss. Ist aber der Tod so aus unserer Gesellschaft verdrängt, dass der Event der Besichtigung von zersägten und zerteilten Menschen solch eine Faszination ausübt?
Es bleibt festzuhalten: Menschliches Personensein endet nicht mit dem Tod. Auch der tote Mensch ist ein Mensch in seiner ganzen Geschöpflichkeit, und seine Würde ist unverfügbar.
Hajo Dreyfuß am Permanenter Link
Eine Erfahrung wert.
Vor vielen Jahren musste ich als Schulkind ins Gesundheitsmuseum, um dort ein Skelett und eingelegte Organe in Gläsern zu betrachten. Das Gefühl versachlichter Lebensfremdheit, das ich dort erlebte, fand seinesgleichen nur noch in einem Aufklärungsfilm, in dem ein Mann ohne Ausstrahlung, aber mit Kittel und Hornbrille über verschiedene Aspekte von Ehehygiene referierte.
Aus solchen Angeboten lernten wir Kinder damals intensiv und nachhaltig fürs Leben: Diese Generation und ihre Anstalten haben jungen Menschen nichts Wesentliches mitzuteilen.
Nun habe ich mich als alter Mann in diese kommerzielle Ausstellung gewagt.
Welch ein Unterschied!
Schon das Ambiente: Schwarzer Samt an jeder Wand, gezieltes Scheinwerferlicht bringt jedes Exponat zum Leuchten. Auf großen Tafeln in dezent bunten Farben stehen nicht allein Informationen, sondern auch passende Aphorismen, die jedem Raum ein eigenes Motto geben. Über allem der Klang eines ruhig schlagenden Herzens. Ganz von selbst spricht man hier wenig, und nur ganz leise, um nicht zu stören - wen eigentlich? Es ist die Atmosphäre, in der ich Gast bin, ein leiser Besucher.
Hier also empfand ich den Besuch als eine anschauliche Reise in die Welt der Anatomie (Knochen, Bänder, Muskeln, Nerven, Adern, Organe - Gesundes, Geschädigtes, Krankes - das Werden des Menschen im Mutterleib und auch die Placenta dazu). Alle Achtung. So sieht das also aus.
Natürlich ließe sich das alles auch mit medizinischen Modellen in beliebiger Größe mit beliebigen Farben noch besser darstellen, aber das wäre so interessant wie ein Anatomie-Atlas und so spannend wie ein Telefonbuch. Hier ist jedes Beispiel wirklich und echt.
Der Unterschied zum drögen Museum ist aber nicht allein die gekonntere Präsentation echter Exponate. Es sind die Ganzkörper-Plastinate.
Ganze Menschen, der Haut entkleidet. Es sind ihre Körperhaltungen, die den Kontrast zu den Exponaten in Vitrinen bilden, die den wohltuenden Unterschied zum Museum ausmachen. Das sind Menschen in sehr lebendigen Haltungen, in dynamischen Momenten... denen ich allerdings zwischen die Muskeln, in den Schädel oder unter die Rippen schauen kann.
Es sind diese ganzen Personen, die der Ausstellung - Leben geben. Und wie! Diese Körper-Spender wirken ganz und gar nicht tot. Es ist eher, als stünden sie gerade jetzt in einem intensiven Moment prallen Lebens für einen Augenblick still.
Was ein Andreas Vesalius 1543 in seinem Anatomie-Werk "De humani corporis fabrica" im Holzschnitt richtig gemacht hat, das setzt Gunther von Hagen im Medium des Plastinats fort. Obwohl die Körperspender/innen teilweise bis unter die Knochen nackt sind, wirkt keine/r von ihnen bloßgestellt. Die Dynamik präsenten Lebens ist es, die ihnen Würde verleiht.
Andere Leute sterben, sind dann tot und vergammeln. Diese Toten feiern das Leben. Manchen Menschen erscheint das als unanständig. Auch diesen Standpunkt kann man vertreten. Indes: Wo es der ausdrückliche Wunsch von Körperspendern ist, ihren letzten Auftritt auf solch einer Ausstellung zu bekommen, gebietet es die Achtung vor ihrer Würde, diesen Letzten Wunsch zu respektieren.
In Mainz wurde die Ausstellung bis zum 5.Februar verlängert. Sie wird immer noch gut besucht, das Gästebuch ist voller nachdenklicher und lobender Einträge.
Mir scheint, als gäbe es zu den guten und berechtigten Gründen für Pietät inzwischen eine ebenso gute und berechtigte Ausnahme.