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Menschenrecht Asyl

BERLIN. (bpb) Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) befinden sich gegenwärtig etwa 60 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht.[1] Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren es nicht mehr so viele Menschen wie in den vergangenen Jahren. Dieser Anstieg ist insbesondere auf die hohe Zahl derer zurückzuführen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehen,[2] und stellt die internationale Gemeinschaft vor eine enorme Herausforderung.

In der Europäischen Union sowie innerhalb ihrer Mitgliedstaaten laufen gegenwärtig hitzige Debatten um die Asylpolitik. Nachdem aufgrund der hohen Belastung für Länder mit EU-Außengrenzen wie Italien und Griechenland das sogenannte Dublin-System kollabiert ist, nach dem in erster Linie derjenige Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist, in dem eine Person erstmals EU-Territorium betreten hat, ist momentan noch offen, wie die Europäische Union reagieren wird. Insbesondere Staaten ohne EU-Außengrenzen wie Deutschland mangelte es lange am politischen Willen, eine grundlegende Änderung des Systems herbeizuführen. Für einen von einigen Mitgliedstaaten wie unter anderem Deutschland angestrebten permanenten Verteilungsmechanismus für die Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union gibt es bisher keinen Konsens, zumal sich andere Mitgliedstaaten dagegen wehren, (mehr) Flüchtlinge aufzunehmen.

Während vor diesem Hintergrund die Europäische Union derzeit vor allem das Ziel verfolgt, die "Sicherung" ihrer Außengrenzen zu intensivieren, mehren sich in Deutschland die Stimmen, die eine sogenannte Obergrenze fordern: eine Begrenzung der Zahl der Schutz suchenden Menschen, die in Deutschland innerhalb eines Jahres einen Asylantrag stellen können. Beide Strategien laufen darauf hinaus, den Zugang zu einem Asylverfahren zu verweigern – was systematische Menschenrechtsverletzungen zur Folge hätte.

Blick zurück

Das Asylrecht ist eine der ältesten Institutionen der Menschheit. Der Begriff “Asyl” stammt aus dem Griechischen[3] und bezeichnete im Altertum einen unantastbaren Zufluchtsort unter der Herrschaft der Götter, an dem jede menschliche Herrschaft endete und damit auch das Recht der politischen Machthaber, einen Menschen mit Zwang festzunehmen. Das galt für jeden, der dort Zuflucht suchte, also auch für Straftäter.[4]

In allen großen Religionen gibt es ähnliche Konzepte für die Gewährung von Zuflucht für Menschen in Not. So entwickelte etwa die christliche Kirche aus dem Gebot der caritas (Nächstenliebe) und misericordia (Barmherzigkeit) für sich das Recht, Menschen Asyl zu geben.[5] Zwar hat dieses Recht, an dem sich die Staaten im Laufe der Geschichte immer wieder gestoßen haben, einen deutlichen Bedeutungsverlust erfahren. Gleichwohl gibt es nach wie vor Kirchengemeinden, die Schutz suchenden Menschen Asyl gewähren, etwa um sie vor dem Zugriff der Behörden für die Abschiebung in einen anderen Staat zu schützen.

Der erste Beleg für den Schutz von Menschen, die aus ihrem Heimatland in ein anderes Land geflohen sind, stammt aus dem 14. Jahrhundert vor Christus. In dem Vertrag zwischen dem König der Hethiter und dem Fürsten von Wiluscha heißt es: "Wenn ein Flüchtling aus deinem Land Hatti kommt, so gibt man ihn dir nicht zurück; aus dem Land Hatti einen Flüchtling zurückzugeben ist nicht rechtens."[6] Beim Asylrecht im völkerrechtlichen Sinne ging es bis in das 20. Jahrhundert nicht um die Rechte von Flüchtlingen. Im Vordergrund stand vielmehr das Recht eines Staates, Zuflucht suchenden Menschen Sicherheit zu bieten und gegebenenfalls ein Auslieferungsersuchen des Verfolgerstaates abzulehnen. Seit der Aufklärung und der Französischen Revolution entwickelte sich dieses Recht der Staaten zu einer Institution des Schutzes für politisch Verfolgte vor Auslieferung.

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen, als Millionen Menschen auf der Flucht waren, wurde der Schutz von Flüchtlingen zunehmend zum Gegenstand völkerrechtlicher Vereinbarungen und Aufgabenfeld internationaler Organisationen. Gleichwohl blieben die dahingehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten rudimentär: Nur wenige Staaten waren bereit, entsprechende Verpflichtungen im Rahmen internationaler Abkommen einzugehen.

Jene Abkommen, die dennoch zustande kamen, waren zudem stets so konstruiert, dass sie sich im Wesentlichen auf einzelne Flüchtlingsgruppen beschränkten, die sich aufgrund bestimmter Ereignisse wie etwa der Verfolgung der Armenier in der Türkei, der Oktoberrevolution in Russland oder der Machtergreifung der Faschisten in Italien außerhalb ihres Heimatstaates aufhielten und auf Schutz in einem anderen Staat angewiesen waren.[7] Die Flüchtlingsdefinitionen in den meisten völkerrechtlichen Vereinbarungen dieser Zeit dienten in erster Linie der Bestimmung des Mandats einer internationalen Organisation, der die Aufgabe übertragen wurde, sich um die jeweiligen Flüchtlingsgruppen zu kümmern, wie etwa dem Hohen Flüchtlingskommissar des 1920 gegründeten Völkerbundes.[8]

Grundlagen des Asylrechts

Die Grundlagen für das internationale und europäische Flüchtlingsrecht, das individuelle, durchsetzbare Rechtspositionen zum Gegenstand hat, wurden erst nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen. Die Weltgemeinschaft antwortete auf die Verfolgung von Millionen von Menschen während des Nationalsozialismus und das Leid der Flüchtlinge: Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, in deren Artikel 14 auch das Recht auf Asyl aufgeführt ist: "Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen."

In der Folge entwickelte sich die Gewährleistung der Menschenrechte und damit der Schutz jedes einzelnen Individuums durch völkerrechtliche Verpflichtungen der Staaten zu einem der zentralen Aspekte des modernen Völkerrechts. Sowohl auf internationaler als auch auf regionaler Ebene wurden zahlreiche Menschenrechtsverträge geschaffen, die darauf abzielen, jeden Menschen im Hoheitsbereich der Vertragsparteien zu schützen, und individuelle, durchsetzbare Rechte garantieren, wie beispielsweise die Europäische Menschenrechtskonvention von 1950.[9]