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Menschenrecht Asyl

Die hohe Anzahl von Flüchtlingen in Europa infolge von Flucht, Vertreibung und Zwangsarbeit über das Ende des Zweiten Weltkrieges hinaus führte im Dezember 1950 zur Einsetzung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) durch die UN-Generalversammlung.[10] Zu seinen Aufgaben gehört es, die internationale Flüchtlingshilfe zu koordinieren, gegebenenfalls auch selbst materielle Hilfe für Flüchtlinge zu organisieren und ihnen in Absprache mit den Zufluchtsländern durch das Ausstellen von Schutzbriefen rechtlichen Schutz zu gewähren. Sein Mandat erstreckt sich auch auf sogenannte Binnenflüchtlinge, also Menschen, die etwa aufgrund eines Bürgerkrieges aus ihrem Heimatort fliehen, ohne dabei ihr Land zu verlassen.

Wenig später, im Juli 1951, wurde das "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" verabschiedet, das gewöhnlich als Genfer Flüchtlingskonvention bezeichnet wird und heute die Grundlage des internationalen Flüchtlingsrechts bildet. Die Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet die Vertragsstaaten, Flüchtlingen im Sinne der Konvention ein Aufenthaltsrecht und weitere Rechte zu gewähren. Galt die Konvention zunächst nur für Personen, die aufgrund von Ereignissen in Europa vor 1951 zu Flüchtlingen geworden waren, wurde durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1967 die geografische und zeitliche Beschränkung der Genfer Flüchtlingskonvention aufgehoben. 146 Staaten sind dem Protokoll bis heute beigetreten.[11]

Ein Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist laut deren Artikel 1 und dem besagten Protokoll eine Person, die sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung aus rassistischen Gründen oder wegen ihrer Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung außerhalb desjenigen Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.

Die zentrale Bestimmung der Genfer Flüchtlingskonvention ist das in Artikel 33 verankerte Gebot der Nicht-Zurückweisung (Refoulement-Verbot). Es verpflichtet die Staaten, niemanden an ihrer Grenze zurückzuweisen oder abzuschieben, der daraufhin gezwungen wäre, sich in einem Staat aufzuhalten, in dem er wiederum aus rassistischen Gründen, aufgrund seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Einstellung von Verfolgung bedroht ist. Eine Zurückweisung oder Abschiebung in einen anderen Staat verstößt auch dann gegen Artikel 33, wenn nicht gewährleistet ist, dass die Schutzsuchenden von dort aus nicht weiter in den Verfolgerstaat abgeschoben werden ("Kettenabschiebung").[12]

Bis heute wird der Charakter des Rechts auf Asyl als individuelles Recht infrage gestellt. Die Tatsache, dass es bereits 1948 in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen wurde, sowie deren Wortlaut in Artikel 14 sprechen jedoch für ein solches Verständnis. Bei der Genfer Flüchtlingskonvention und dem dazugehörigen Protokoll handelt es sich zudem um verbindliche völkerrechtliche Verträge, die individuelle, durchsetzbare Rechtspositionen zum Gegenstand haben. Daher unterscheidet sich das Recht auf Asyl nicht von anderen menschenrechtlichen Garantien; es steht vielmehr mit anderen Menschenrechten auf einer Stufe. Deutlich wird dies insbesondere im Rahmen der Grundrechte-Charta der Europäischen Union.

Die Europäische Union, die mittlerweile über weitreichende Kompetenzen im Bereich der Asylgesetzgebung verfügt, hat das Recht auf Asyl im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention nämlich explizit in die EU-Grundrechte-Charta von 2000 aufgenommen. Darin heißt es in Artikel 18: "Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet." Damit bekennt sich die EU zu einem menschenrechtlich begründeten Flüchtlingsschutz. Hierzu bildet sie einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts", in dem das Gemeinsame Europäische Asylsystem gilt.[13] Zu dessen Grundlagen zählen neben der Genfer Flüchtlingskonvention menschenrechtliche Garantien, die in der EU-Grundrechte-Charta und der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert sind.

So ergibt sich nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das Verbot einer Zurückweisung an der Grenze oder einer Abschiebung aus Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wenn die betroffene Person dadurch dem Risiko einer unmenschlichen Behandlung oder Folter ausgesetzt wird[14] oder eine Kettenabschiebung droht.[15] Die Europäische Menschenrechtskonvention garantiert jedem Menschen, der Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen sucht, das Recht auf Zugang zu einem Verfahren, in dem sein Antrag auf Schutz individuell geprüft wird. Zudem müssen den Betroffenen im Falle einer Ablehnung ihres Schutzantrages gemäß Artikel 13 der Europäischen Menschenrechtskonvention effektive Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen.[16]

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte[17] und des Gerichtshofs der Europäischen Union[18] dürfen die EU-Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht nicht von der Sicherheit anderer EU-Mitgliedstaaten ausgehen. Danach ist es mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechte-Charta also auch nicht vereinbar, wenn EU-Mitgliedstaaten Menschen in andere Mitgliedstaaten zurückweisen, ohne dass dagegen effektive Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen.

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Die Einführung einer "Obergrenze", die die Zahl der in Deutschland Schutz suchenden Menschen begrenzt, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums Zugang zu einem Asylverfahren erhalten, wäre mit den Grund- und Menschenrechten, dem internationalen Flüchtlingsrecht sowie dem EU-Recht nicht vereinbar. Denn das würde bedeuten, dass Menschen an der deutschen Grenze zurückgewiesen würden, ohne dass zuvor geprüft worden wäre, ob sie nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder weiteren menschenrechtlichen Bestimmungen Schutz erhalten müssten.