Kommentar

Meck-Pomm ist keine Katastrophe

Jetzt mal langsam. In einem Bundesland mit 1,3 Millionen Einwohnern, also weniger als der Hälfte der Stadt Berlin, bekommt die AfD 20 Prozent der Wahlstimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 61 Prozent, wir reden also nicht von Millionen, sondern von Hunderttausenden. Kein Grund zur Panik. Schon gar kein Grund, sich von dieser Partei – oder von diesen 20 Prozent – die Politik diktieren zu lassen. Im Gegenteil.

Zwanzig Prozent sind natürlich zwanzig Prozent, auch wenn das in absoluten Zahlen nicht viele Menschen sind. Aber das bedeutet auch: Achtzig Prozent haben für Parteien gestimmt, die in den für die AfD-Wähler entscheidenden Politikfeldern – Flüchtlinge, Zuwanderung, Kulturkampf, Europa – die Losungen der Populisten ablehnen. Wenn die Politiker der Union, wie es Horst Seehofer und sein Adlatus und Rivale Markus Söder sagen, statt "Wir schaffen es!" nun sagen sollen "Wir haben verstanden!" – dann sollten sie zuallererst dieses Votum zur Kenntnis nehmen.

Lorenz Caffier hat das nicht verstanden. Der Wendehals hat vor der Wahl zusammen mit anderen CDU-Panikmachern die "Berliner Erklärung" verfasst, in dem vergeblichen Versuch, die AfD rechts zu überholen. Das bringt nichts. Wer die Populisten kopiert, stärkt sie nur. Das hat David Cameron erfahren müssen, als er versuchte, mit Euroskepsis den Euroskeptikern im Vorfeld des Brexit-Referendums den Wind aus den Segeln zu nehmen. Das haben die Rivalen Donald Trumps erfahren. Die starken Worte eines Nicolas Sarkozy haben den Aufstieg Marine LePens nicht verhindern können. Und Frank Henkel – wie Caffier ein Unterzeichner der "Berliner Erklärung" – wird sehen, dass Opportunismus im Angesicht der Demagogie dem Opportunisten schadet.

Die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern ist keine Katastrophe, auch nicht für die CDU, die dort noch nie stark war. Viel mehr Menschen gingen wählen als bei der letzten Landtagswahl. Über 100.000, oder 20 Prozent,  um genau zu sein. Gut. Die NPD flog aus dem Landtag. Gut. Die SPD hat die Wahl zwischen Fortsetzung der Regierungskoalition und einem Bündnis mit der Linkspartei. Gut. Ich persönlich finde die Linkspartei nicht besser als die AfD, aber ich wäre im Interesse einer klaren politischen Trennung zwischen Regierung und Opposition dafür, dass die CDU in die Opposition geht. In vier Jahren kann sich vieles ändern. Die AfD kann sich zerlegt haben, oder sie kann sich zu einer Partei entwickelt haben, mit der Bündnisse auf Landesebene möglich sind. Schauen wir mal.

Mecklenburg-Vorpommern hat viel geleistet in den Jahren nach der Vereinigung. Das Land hat die De-Industrialisierung – insbesondere den Niedergang der Werften – verkraftet und den Übergang zu einer Dienstleistungswirtschaft geschafft, die auf Bereiche wie Tourismus, Altenpflege, Wissenschaft setzt. Zuwanderung und Flüchtlinge sind im Alltag der meisten Menschen kein Thema. So zu tun, als hätten die Menschen "berechtigte Sorgen", die man "ernst nehmen" müsse, ist falsch. In Calais etwa sind Flüchtlinge ein Problem, wie auf Kos und Lampedusa. Nicht in Schwerin oder Rostock oder auf Hiddensee. Das muss man den Leuten erklären. Nicht indem man, wie hier Christoph Giesa, Ihnen zuruft, dass man sie verachte; wohl aber indem man erklärt, weshalb Deutschland erstens das Flüchtlingsproblem bewältigen kann, zweitens aber nicht allein – weshalb es nichts Kontraproduktiveres gibt, als gleichzeitig gegen die EU und gegen Flüchtlinge zu sein. Zehn bis zwanzig Prozent werden sich davon nicht überzeugen lassen; das ist kein Unglück.

Seehofer und Söder sagen, die CDU habe sich so weit nach links bewegt, dass sich eine Lücke rechts von ihr aufgetan habe, in der sich die AfD nun festgesetzt habe. Diese Pseudo-Analyse verkehrt aber Ursache und Wirkung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich rechts von der Union eine Partei etablierte, so wie sich links von der SPD eine Partei etablierte, der übrigens die Union verdankt, dass sie regieren kann. In dieser Situation kann die CDU – bei der CSU mag es anders sein – nur überleben, wenn sie die Mitte erobert und Wähler an sich zieht, die sonst FDP und SPD oder Grüne wählen würden. Natürlich ist diese Strategie nicht "alternativlos", aber Caffier hat gezeigt, dass die tatsächlich vorhandene Alternative, nämlich sich mit der AfD einen Wettlauf um die radikaleren Parolen zu liefern, in die Bedeutungslosigkeit führen kann.

Und Angela Merkel? Wenn sie klug ist, tritt sie 2017 nicht noch einmal an. Nicht, weil Seehofer und Söder kläffen, sondern weil mit einer neuen Präsidentin in den USA, mit dem Brexit, mit der absehbaren Etablierung der AfD als einer nationalen politischen Kraft eine neue Ära anbricht, die neues Denken verlangt.

Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autoren.