So erfreulich, begrüßenswert und längst überfällig die "Ehe für Alle" ist: Die Art und Weise, wie aus einer Nebenbemerkung in einem Interview mit der Kanzlerin in Deutschland Politik gemacht wird, ist ein Affront gegen die Demokratie. Das sieht auch Kommentator Alan Posener so.
Sie hat es wieder getan. Asymmetrische Demobilisierung. Bei einer Veranstaltung der Zeitschrift "Brigitte" ließ Angela Merkel durchblicken, sie befürworte in Sachen "Ehe für Alle" eine Abstimmung im Bundestag ohne Fraktionszwang. Was trotz der Widerstände in einigen Teilen der Union bedeutet: Die Ehe für alle kommt. Und schon haben die anderen Parteien ein Wahlkampfthema weniger, gibt es ein Problem weniger bei der Koalitionsbildung nach der Wahl, gibt es einen Grund weniger, überhaupt zur Wahl zu gehen. Die da oben machen eh, was wir wollen.
Überhaupt war das Interview – ein Heimspiel übrigens, weil keine Frage darauf abzielte, die ewige Kanzlerin in Bedrängnis zu bringen – ein weiterer Beleg für Merkels unheimliche Fähigkeit, die Politik zu entpolitisieren und ins Ungefähre zu leiten, wo alle Entscheidungen die Konturen verlieren. "Je ne regrette rien!", so hätte man Merkels Auftritt überschreiben können; aber nicht, weil sie alles richtig gemacht habe, sondern "weil es nichts bringt, sich den Kopf über eine einmal getroffene Entscheidung zu zerbrechen". Was in Beziehungskisten und beim Kleiderkauf vielleicht stimmt, in der Politik jedoch Unsinn ist. Merkel hat jedoch schon so viele Entscheidungen stillschweigend revidiert, konterkariert und durch gleichzeitige zuwiderlaufende Beschlüsse neutralisiert, dass man eher von einer Ökonomie des politischen Gewissens ausgehen muss: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, heute oder morgen?
Dass Merkel noch vor Kurzem entschieden gegen die Ehe für alle gewettert hat, geht ebenso auf dieses Konto wie ihr Diktum, Multikulti sei gescheitert, wie ihre Kritik, die Agenda 2010 gehe nicht weit genug, wie die Forderung nach tiefgreifenden Wirtschaftsreformen im Euro-Raum, wie ihr Hü und Hott in der Frage der Hoheit der Länder in Bildungsfragen, wie das Hakenschlagen in Sachen Flüchtlingskrise. Egal, wo die Opposition von links oder rechts gerade hin hetzt, Merkel ruft: "Ick bin all dor!"
Zuletzt war das zu besichtigen bei der Verlängerung der EU-Sanktionen gegen Russland, womit Merkel ihre Reputation als Hardlinerin und Sachwalterin der von Russland bedrängten Staaten Osteuropas unterstrich, während sie gleichzeitig das Pipeline-Projekt Nord Stream Zwei unterstützt, das faktisch Deutschland zum Gasmonopolisten Wladimir Putins in Europa macht und die Osteuropäer sowie die EU-Kommission düpiert. "The lady’s not for turning! Diese Dame lässt sich nicht umdrehen!" rief trotzig Maggie Thatcher. "Ich drehe mich nach jedem Lüftchen! Turn! Turn! Turn!" könnte das Motto der Wetterfahne namens Merkel sein.
Martin Schulz nannte das einen Anschlag auf die Demokratie. Ach, wäre es nur etwas so Bestimmtes wie ein Anschlag! Es handelt sich um die Aushöhlung und Entkernung der Demokratie, schleichend, charmant, gefährlich.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung von starke-meinungen.de.
16 Kommentare
Kommentare
Wolfgang am Permanenter Link
Ehe für alle finde ich gut: Man kann heiraten, aber muss nicht. Ist doch mal eine vernünftige politische Entscheidung.
Merkel sei dank!
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Ob die "Homo-Ehe" Frau Merkel bei ihrer Wählerschaft Punkte, bzw. Kreuzchen bringt?
Für die SPD - vorausgesetzt sie bekommt das Gesetz vor der Wahl durch den Bundestag - könnte es hingegen bei dem einen oder anderen Wähler bewirken, dass er das Bild einer wirksamen Partei bekommt. Und wenn er nicht völlig gegen die Selbstverständlichkeit einer "Homo-Ehe" ist (ich hoffe, der Begriff "Homo-Ehe" stirbt mit dem Gesetz, um in der Gleichberechtigung ein Stück voranzukommen), dann könnte dies ein Pluspunkt für die SPD sein.
Schließlich reicht es nicht, gegen Merkel zu sein. Man sollte auch eine Partei wählen, die zumindest den Hauch einer Chance hat, sie als Bundesverwalterin abzulösen.
Rainer am Permanenter Link
Ob die Homo-Ehe der Frau Merkel Zuspruch bringt oder nicht, muss die gar nicht interessieren.
Die Leute wählen also CDU trotz der CDU, nicht wegen ihr. Nur, um wenigstens SPD und Grüne zu verhindern. Komisch, gell? Aber so ist es.
Hans Trutnau am Permanenter Link
'Schland ist der *Gasmonopolist* Putins - wie jetzt?
Im Übrigen halte ich Mutti nicht für charmant.
Sven am Permanenter Link
wenn Politiker immer das tun was +50% der Bevölkerung wollen ist das doch OK und kein aushöhlen der Demokratie. (ich selber bin gegen die Homoehe)
und Merkel merkt ahh das will das Volk also gesagt getan. das kann dem Reichskonkordat und den Kirchen genauso gehen und schwups sind die weg. also ich finde jemand besseres als Frau Merkel kann den Konfessionslosen gar nicht passieren
robotron sömmerda am Permanenter Link
Ehe für Alle? Kann man dann die Ehe auch nicht einfach weglassen? Dann könnte/müsste man sich mal gründlich an das Familienrecht/Zivilrecht ranmachen und die alten Zöpfe von 1899 neu wickeln.
Rainer am Permanenter Link
"So erfreulich, begrüßenswert und längst überfällig die "Ehe für Alle" ist"
Moment: Warum genau ist sie erfreulich, begrüßenswert und längst überfällig?
Es geht doch da um Steuerbegünstigung und Erbrecht, richtig?
Warum gibt es die Ehe? Doch nicht wegen der Spinner aus der katholischen Kirche!
Die Ehe hat den Zweck, die Brut zu schützen.
Weder, wenn ein Mann mit einem Mann Sex hat noch wenn sich eine Frau von ihrem Deutschen Schäferhund begatten lässt, entsteht ein Kind.
Kinder werden gebraucht für die umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme (davon ausgehend, sie kommen später in "Lohn und Brot"). Wer solche Systeme nicht kennt, reproduziert sich zwecks Altersversorgung durch "Eigenkinder".
Wenn man Steuervergünstigungen für gewollt kinderlose Ehepaare abschaffte, könnte ich es verstehen.
Ich kann sogar verstehen, dass Schwule oder Lesben erbrechtlich gleichgestellt sein wollen (falls sie es noch nicht sind). Was ich nicht verstehe, ist, warum eine (große) Minderheitengruppe einen Namensstatus begehren sollte, der im Zusammenhang mit der genetischen Reproduktion und deren Folgen steht.
Vielleicht kann es mir ja jemand hier erklären?
Markus am Permanenter Link
Ok ich werde es es einmal probieren.
Demnach ist heute die Ehe eben kein(!) reines Brutschutz "unternehmen" mehr sondern eine Emotionale, finanzielle und auch erzieherische Gemeinschaft 2er Menschen.
2. Da ich im ersten Teil versucht habe dazulegen, warum ein reines Kinderkriegen schon länger nicht mehr ultimo einer Ehe ist, fällt der Paragraph weg auch halte ich Ihren vergleich von Homosexualität mit Sodomie (auch wenn er kirchlich so gesehen wird) für sehr bedenklich und kontraproduktiv. Zumal auch eine Frau welche unfruchtbar ist mit noch so vielen Männern oder Elefanten schlafen kann und es wird nichts, daher müsste auch ihr jegliche Eherechte verweigert werden. (Achtung Überspitzung) Das wäre es doch, vor jeder staatlich sanktionierten Ehe ein Gelöbnis über Kinderkriegen und Fruchtbarkeitstest, sonst gibt es keinen Eheschein.
3. Ja Sie haben recht was den "Generationenvertrag" angeht, jedoch ist nicht das Kinderkriegen das Problem sondern das Erziehen. Wir haben genug Kinder in Heimen, welche nicht vermittelt werden weil zu wenig Adoptions- willige und -fähige existieren. Dieses Herausforderung könnte durch das Öffnen der Adoption durch Homosexuelle begegnet werden. Adoptionsvorrausetzungen sind eh extrem hoch und würden dadurch nicht unterhöhlt zumal rechtlich auch Alleinstehende Menschen adoptieren dürfen.
Was Geburtenraten angeht, könnte man ja das "Zwangskind" einführen wie in China nur umgekehrt, jede Ehe muss(!) mindestens ein Kind in die Welt setzen - mal sehen wie gut das mit Entscheidungsfreiheit einhergeht. (auch wenn ich Ihnen zustimme das wir ein Generationenproblem haben, Homosexuelle sind da sicherlich kein Problem)
4. Homosexuelle waren eben noch nicht völlig gleichgestellt, da es an einigen Rechten fehlte
a) bis ende 2016 Vormundschaft über das Kind eines Partners durch den "verpatnerten" Parner
b) Adoptionsrecht als Partnerschaft
c) laut Urteil 2004 (noch nicht aufgehoben bisher) kein Verfassungsschutz - könnte also jederzeit durch den Staat annulliert werden
d) Lange Zeit- inzwischen aber fast(!) einheitlich geregelt- die Hinterbliebenenregelung in einigen freien Berufen.
5. Steuerliche Vergünstigungen könnte man abschaffen, sind aber eben wie von mir obengenannt nicht nur wegen der Kinder gedacht sondern auch weil die beiden Partner finanziell für einander einstehen und eben nicht durch die Sozialgemeinschaft getragen werden müssen (Arbeitslosengeld, Versicherung etc.). Wie oben beschrieben ist die heute verstandene Ehe nicht mehr reiner Kinderzuwachs sondern auch eine Soziale Absicherung der Partner, daher auch die Vergünstigungen - ob und in wie weit diese noch gerechtfertigt sind, darüber ließe sich sicher an anderer Stelle streiten aber hat wieder nichts mit Homosexuellen zu tun.
Ich hoffe mit den Punkten ein wenig Licht ins Dunkle zu bringen.
Rainer am Permanenter Link
Hallo Markus!
Danke für Ihre ausführliche u. differenzierte Rückmeldung!
Kurze Anmerkungen meinerseits:
Stehen die beiden Partner denn tatsächlich "füreinander ein"?
Monogamie ist unser romantisches Ideal. Bei der Aufbaugeneration nach dem II. Weltkrieg hat es bei uns weitgehend geklappt, vielleicht auch stark befördert durch die katholische Ideologie, die in Adenauer einen Lobbyisten hatte, mag sein. Ich vermute eher, es lag daran, dass die Wohlstandslage (relativ, wie immer!) verhalten war. Das heißt: Das Einzelindividuum war staatlich nicht so stark abgesichert, dass es allein irgendwie durchgekommen wäre.
Bei den heterosexuellen (Ehe-)paarkonstellationen besteht mittlerweile eine Scheidungsrate von 50 Prozent. Dass homosexuelle Paarkonstellationen stabiler wären, daran wage ich zu zweifeln. Gemeinsame Kinder schweißen zusammen (oder man rauft sich zusammen, nimmt sich individuell zurück) - aber vor allem für den Fall, dass es eigene genetische Sprößlinge sind. Der Entfremdungsprozess von den Adoptiveltern ist bei Adoptionskindern, mit zunehmendem Alter, doch bemerkenswert (-> eigene Ursprünge suchen, Identifikationsfragen).
Ob nun das (zusätzlich) eingeführte Adoptionsrecht für homosexuelle (Ehe-)paarkonstellationen Sinn (aus Sicht des Kindes, des künftigen Erwachsenen) ergibt - ich vermute, das hängt auch davon ab, wie sich der Forschungsstand zu Homosexualität beim Menschen entwickelt.
Ich hatte häufig den Eindruck, gerade die Lobbygruppe der Homosexuellen blockiere da eine wissenschaftliche Thematisierung. Wobei ich das aus naturwissenschaftlicher Sicht zwar nicht nachvollziehbar finde: Bis hin zu "niederen" Arthropoden ist das Phänomen der Homosexualität wissenschaftlich nachweisbar.
Mittlerweile vielleicht eher wissenschaftshistorisch interessant mag noch ein pointierter Grundsatzstreit bei der Riege der Verhaltensbiologen sein: Irenäus Eibl-Eibesfeldt versus Volker Sommer.
Mein derzeitiger Wissenstand: Homosexualität stirbt nicht aus, weil sie nicht genetisch (oder nicht ausschließlich genetisch) definiert ist, sondern die Hormonlage im Mutterleib vielfach ausschlaggebender ist.
Von Blattläusen ist - unter bestimmten Umweltumständen - die Vermehrungsstrategie der Jungfernzeugung (Parthenogenese) bekannt. Möglicherweise ergeben sich statistische Vergleichbarkeiten zur Relation bei (irgend-)einer Species-Population zwischen der Anzahl hetero- und der Anzahl homosexuell agierender Individuen.
Aus evolutionsbiologischer Sicht fragt man natürlich stets: Warum setzt sich ein bestimmtes Verhaltensmuster durch? (differenzierter: unter welchen Umständen).
Wo ich Ihnen - bedingt - zustimme: Vielfach wurde diskutiert, ob Homosexualität in einer Population eine Art Ammen-Funktion erfülle. Ob das verifiziert oder falsifiziert werden konnte, weiß ich zur Zeit zwar nicht. Jedenfalls finden sich überproportional viele homosexuelle Individuen im Sozialsektor. Diejenigen, die mir selbst begegneten, gehörten dabei ausnahmslos dem "weiblich" sich verstehenden Part einer männlich-homosexuellen Paarkonstellation an. Über weiblich-homosexuelle Paarkonstellationen vermochte ich nie Eindrücke zu gewinnen, da die "Mitglieder dieser Community" eine deutliche Kommunikationsabschottung betreiben.
Kay Krause am Permanenter Link
Ja ja, die Merkelina! 1954 in Hamburg geboren, jedoch durch den elterlichen Umzug nach Brandenburg ist nichts hanseatisches an ihr hängengeblieben.
Ich denke, wir brauchen wieder einen König und die dazugehörige Monarchie, dann
erledigt sich das alles ganz von selber. Martin Schulz, Du hast keine Chance!
Stefan Dewald am Permanenter Link
Da erlaube ich mir doch Dr. Helmut zu zitieren: »Wichtig ist doch, was hinten dabei heraus kommt.«
Kay Krause am Permanenter Link
Na ja, Herr Dewald, bei "Birne" kommt hinten nun gar nichts mehr heraus, da hat der Darm seine Schuldigkeit getan. Friede seiner möglicherweise vorhandenen Seele!
Die Kanzlerin sitzt im Gestühl.
Sie furzt nach rechts und nach Gefühl.
Verkauft's nach links mit Bild & Co.,
der Leser liest es und ist froh!
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
Dieses Merkel!
"Sich nach dem Lüftchen drehen" ist Anpassungs-/Überlebensfähigkeit =
survival of the "fittest"!
Wolfgang am Permanenter Link
Frau Merkel treibt die Entscheidung an aber ist bei der Abstimmung dagegen. Sehr merkelich.
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Das nennt man gemeinhin "verzockt". Natürlich muss die CDU wegen ihrer Klientel konservativ sein.
Andrea Pirstinger am Permanenter Link
Ob nun so oder "so"...
ist es momentan nicht gut so wie es im Moment gerade ist?
Immerhin ein kleines Schrittchen WEITER.!