Offener Brief

Kreuzzug gegen die Gottlosen

WIEN. (hpd) Im Tagesspiegel erschien am 9. Dezember ein Kommentar von Malte Lehming, in dem er Ungläubigen unterstellt, Schuld am erstarkenden Rechtsextremismus zu haben. Das hat unseren Österreich-Korrespondenten dazu veranlasst, einen offenen Brief an den Autoren zu schreiben.

Sehr geehrter Herr Lehming,

Als ich Ihren Kommentar über die Pegida-Proteste gelesen habe, habe ich laut gelacht und zugleich heftig den Kopf geschüttelt. Eine Kombination zweier emotional ausgelöster motorischer Vorgänge, die, wie Sie aus eigener Erfahrung wissen werden, nicht im Entferntesten bewusst gesteuert werden kann und ob ihrer Komplexität auch nur selten vorkommt.

Ihre These, der in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern leider sehr weit verbreitete Hass gegen Muslime sei primär von Konfessionsfreien und Atheisten getragen, wäre ja eine Überlegung wert, hätte sie nur irgendeinen Bezug zu dem, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet. Und hätten Sie sich die Mühe gemacht, abseits halborigineller Unterstellungen auch nur so etwas wie ein Argument vorzubringen.

Nun werden wir wohl beide übereinkommen in der Feststellung: Eine Religionsfeststellung bei den Teilnehmern diesen unsäglichen Pegida-Demonstrationen wird es wohl nicht gegeben haben. Ebenso wenig wurde mit irgendeiner statistisch validen Methode festgestellt, von wo die Menschen angereist waren, die sich Angst und Hass aus dem Leibe schrien. Ihre Überlegungen zur religiösen Identität der Teilnehmer bleiben somit spekulativ.

Im aktuellen Fall könnte man wahrscheinlich noch von dem sprechen, was man im Englischen so treffend “educated guess” nennt. Allein, das geht nur, wenn man die Vorgeschichte der Pegida ausblendet und seinen Blick über die Grenzen des ehemaligen Ostdeutschland ganz, ganz fest verschließt.

Pro Köln? Schon vergessen?

Schließlich waren es die Bewegungen Pro NRW und Pro Köln, die den Hass gegen vermeintliche oder tatsächliche Muslime, mehr oder weniger geschickt getarnt als Kritik am Islam, in Deutschland völlig salonfähig auf die Straße brachten.

Nun bin ich Österreicher und man wird mir daher immer wieder vorwerfen zu können, nicht mit den Details der deutschen Geographie und der soziokulturellen Eigenheiten der deutschen Regionen vertraut zu sein. Nur, so meine ich mich erinnern zu können, liegt Köln doch eher hart im Westen und gilt, Fortschritten der vergangenen Jahre zum Trotz, nach wie vor als erzkatholisch. Und sind nicht ebendort erst unlängst tausende Neonazis, Hooligans und andere Stützen der Gesellschaft mit de facto identen Slogans aufmarschiert wie sie die Pegida-Proteste verwendeten?

Auch, dass Thilo Sarrazin, der Retter aller zu Recht zu kurz Gekommener, ein typischer Ossi wäre, im real existierenden Sozialismus in die Wolle gefärbter Atheist, wäre mir neu.

Aber, wie gesagt: Ich bin Österreicher, ich kann mich ja auch irren. Vielleicht liegt ja Köln an der Oder und nicht am Rhein.

Ein Kreuz in der Hand ist kein Zeichen für Atheismus

Wo ich mich als Österreicher sicher nicht irre ist in der Tatsachenfeststellung, dass der offizielle oberste Stimmungsmacher gegen Muslime in meinem Heimatland, FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz Christian Strache, sich erst vor wenigen Jahren hat firmen lassen (d.i. das katholische Äquivalent der Konfirmation). Das ist eher kein Zeichen übersteigerter Religionsferne.

Auch, dass er bei Demonstrationen gegen geplante Moscheen gelegentlich mit einem Kreuz in der Hand auftritt, muss man nicht unbedingt als Abwendung vom Katholizismus verstehen.

Ebenso wenig irre ich mich bei der Feststellung, dass ich im Wesentlichen die gleichen Parolen, wie sie bei Pegida und Co zu vernehmen waren, schon vor Jahren bei einem Treffen der seinerzeitigen Christenpartei in Wien vernommen habe. Es steht Ihnen natürlich frei, diesen Leuten nachzusagen, nur selten eine Kirche von innen gesehen zu haben. Ich garantiere in diesem Fall nicht für Ihre körperliche Unversehrtheit. Und werfen Sie mir nicht vor, ich hätte Sie nicht gewarnt.

Die Parolen sind lange bekannt

Wer rechte Szenen im Blick hat, wird die einschlägigen Slogans und Argumentationsmuster seit Jahren kennen. Und wissen, dass sie sich vorwiegend aus dem rechtskatholischen (wohl auch rechtsprotestantischen) und dem “klassisch” neurechten Spektrum langsam in die Mitte der Gesellschaft vorgefressen haben.

Auch letzteres übrigens kein atheistisches oder per se religionsfernes Milieu, wenn es auch keine engere konfessionelle Bindung hat und Religion dort häufig (auch) auf eher diffuse Art als primär kulturelles Element interpretiert wird. Aber auch das nahezu das glatte Gegenteil dessen, was man sich etwa im Osten Deutschlands unter Religion vorstellt.

Die Re-Christianisierung des ehemaligen Ostblocks? Wenig idyllisch

Sehr irritierend ist, wie Sie die Re-Christianisierung der Länder des ehemaligen Ostblocks idyllisieren. Nun ist die zum einen bei weitem nicht so flächendeckend, wie Sie suggerieren. Slowenien und Tschechien zeigen sich sehr resistent. Zum anderen sollte man der Fairness halber nicht unerwähnt lassen, wie viel Intoleranz, offenen Hass und Hetze mit der Re-Christianisierung an die Oberfläche schwappten.

So sei hier erwähnt, dass in Sarajevo, Belgrad oder Moskau die Parade zum Christopher Street Day entweder direkt verboten ist oder von der Polizei aus “Sicherheitsgründen” kurzfristig verboten wird. Auch die re-christianisierten Bevölkerungen der Slowakei oder Ungarns sollten eher kein Maßstab für Liberalität und Toleranz sein. Die Hauptfeindbilder dort mögen anders strukturiert sein. Dass dort Hass gegen Muslime nicht auf fruchtbaren Boden fällt, würde ich mich nun wirklich nicht zu sagen trauen, würde mir auch nur ein klein wenig an meinem Ruf liegen. Am Rande sollte man der Ehrlichkeit halber auch darauf hinweisen, dass im allerkatholischsten Polen der Antisemitismus fröhliche Urständ’ feiert.

Deutschland den Deutschen heißt heute “Christliches Abendland”

Daraus zu schließen, Hass gegen Muslime sei nicht auch bei Konfessionsfreien und Atheisten anzutreffen, wäre natürlich Quatsch. An keine Religion zu glauben macht einen nicht automatisch zum besseren oder auch nur intelligenteren Menschen. Ich selbst argumentiere immer mit Vehemenz gegen einschlägige Strömungen in der atheistischen Szene.

Nur ist dieser Hass eben nicht als “Autoaggression gegen die eigene spirituelle Ödnis” zu interpretieren und damit quasi zum Tätigkeitsgebiet strenger Missionierung herabzuqualifizieren. Er ist, was er ist: Eine gesellschaftlich akzeptierte Metapher für Fremdenfeindlichkeit. Ein Ventil, durch das die Angst vor und der Hass gegen das Fremde, rückprojiziert gegen die vermeintlich eigene Identität, ungestraft und mit aller Macht an die Öffentlichkeit schießen darf.

Endlich, endlich, so liest man aus den hasserfüllten Transparenten, hört man aus den vor Angst strotzenden Reden, darf man wieder auf Ausländer einprügeln. Vorerst nur verbal, aber wer weiß, eines Tages,….

Deutschland den Deutschen heißt heute eben “Christliches Abendland”.

Rationalisierung des Hasses ist weit verbreitet

Das Gefährliche an dieser Entwicklung ist vor allem, wie rationalisiert dieser Hass ist. Die etwas milderen Ausdrucksformen findet man übrigens in Deutschland vor allem bei CDU und CSU. Auch nicht gerade Horte des grassierenden Atheismus.

Bleibt mir noch, der aufrichtigen Hoffnung Ausdruck zu verleihen, ihr Blick auf den Straßenverkehr sei nicht so verzerrt wie der auf gesellschaftliche und politische Realitäten.

Mit freundlichen Grüßen,

Christoph Baumgarten