Notizen aus Polen

Es geht nicht nur um Abtreibung

Am Sonntag und am Montag vergangener Woche fanden in ganz Polen zahlreiche Proteste unter dem Namen "2. allpolnischer Frauenstreik" statt. Die erste Protestwelle am 3.Oktober hieß "Schwarzer Protest" bzw. "Schwarzer Montag" und war die Reaktion auf die Entscheidung des Parlaments vom 23. September, die Liberalisierung des Abtreibungsvorschriften abzuweisen und gleichzeitig ein totales Verbots der Abtreibung zu beschließen. Die PiS-Abgeordneten haben zwar danach unter dem Druck der protestierenden Frauen das Gesetz zurückgezogen, aber die Frauen, die ihre Kraft erkannt hatten, wollen jetzt mehr.

Diesmal hatten die Proteste verschiedene Formen und Inhalte. Die Protestierenden haben auch eine 11 Punkte-Petition bei den Amtssitzen aller im Parlament anwesenden Parteien eingereicht. Die Aktivistinnen verurteilten darin die Einflussnahme der Kirche auf die Politik und die Verletzung von Frauenrechten.

Besonders interessant war die Veranstaltung in Warschau unter den Namen "Das Episkopat Konferenz der Polinnen". Sie hatte die Form eines Marsches entlang der Karkowskie Przedmieście Straße in der Warschauer Altstadt, an der zahlreiche Kirchen stehen. Vor vier der Kirchen wurden Reden gehalten. Den Inhalt dieser Reden gibt gut die Begrüßung der Organisatorin des Marsches, Bożena Przyłuska, wieder. Hier einige Ausschnitte:

Die politische Tätigkeit der polnischen Kirche ist eine Kuriosität in der modernen Welt! Anstatt eine Glaubensgemeinschaft zu sein, ist sie eine Institution der Macht, die eigene Funktionäre für Propaganda von den Kanzeln nutzt. (…) Jemand muss das endlich klar sagen – die politischen Parteien in Polen sind Geiseln der Kirche und die Auswirkungen dieser Situation betrifft die Frauen am schlimmsten. Unsere Grundrechte sind Objekte der Angriffe der Kirche, weil Macht über die Frauen zu haben bedeutet, Macht über die ganze Gesellschaft zu bekommen.

Bożena Przyłuska verlas auch einen offenen Brief über den Schutz der Frauenrechte, in dem es unter anderem hieß:

Die katholische Kirche, von den politischen Eliten als Schiedsrichter der Moral anerkannt, hat sich nie für die Verteidigung der Frauen ausgesprochen. Die Regierungen betrieben eine Politik der Zustimmung für Aggression, Verachtung und Diskriminierung durch die Kirchen. Die Polinnen fühlen sich nicht mehr sicher; sowohl im öffentlichem Raum als auch privat, in der Arbeit, zu Hause, im Krankenhaus, in der Schule (…) Die Schule, die für das Leben in der Gesellschaft vorbereiten und für die Gleichheit und Toleranz ausbilden sollte, wurde ein Ort der politischen Propaganda der katholischen Kirche, in deren Doktrin die Frau das untergebene Wesen ist. (…) Wir, die Bürgerinnen Polens fordern die Parlamentarier und die Regierung zu Erfüllung ihrer konstitutionellen Pflichten gegenüber Frauen auf und zu Befreiung der Gesetzgebung von dem vernichtenden Einfluss der katholischen Kirche.

Unter den elf Postulaten, die bei allen Protestveranstaltungen verlesen und den Parteien vorgestellt wurden, findet sich auch unter Punkt 2: "Die Erfüllung der in Verfassung verankerter Grundsatzes der konfessionellen Neutralität des Staates."

Die Regierung wiederholt jetzt bei allen möglichen Angelegenheiten, dass sie überhaupt nicht plant, das bestehende Abtreibungskompromiss zu ändern. Aber die polnischen Frauen wollen jetzt schon mehr. Zum ersten Mal haben sie auch politische Postulate formuliert. Ebenfalls erstmalig ist die scharfe Kritik an der katholischen Kirche nicht nur aus den Reihen der atheistischen Organisationen zu hören. Die Kirche ihrerseits organisiert die "Weißen Proteste".

Die "weißen" und die "schwarzen" haben sich am Montag in Zentrum Warschaus getroffen. Es kam zu Auseinandersetzungen bei denen die Polizei eingreifen musste. Wer wird nachgeben? Wird die Politik in Polen jetzt auf den Straßen gemacht?

Hat der Bürgerbeauftragte Dr. Adam Bodnar, Recht, der in einem Interview mit einem deutschen Journalisten gesagt hat: "Der Kampf um das Verfassungsgericht mag vielleicht verloren sein. Umso wichtiger seien die Demonstrationen, weil sie zeigen, dass die Zivilgesellschaft immer noch wichtig ist. Dass sie nicht alles kontrollieren können. Das Verfassungsgericht kann nicht mehr unser Beschützer sein, also müssen wir selber auf uns aufpassen."