Rezension

Die Frühgeschichte der USA ist bis heute prägend

Der Historiker Michael Hochgeschwender legt mit "Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763 – 1815" eine ausführliche und lesenswerte Studie zum Thema vor. Dabei widerlegt der Autor weit verbreitete Gründungsmythen, neigt aber mitunter auch zur Detailverliebtheit und hätte die ökonomischen Interessen noch stärker hervorheben können.

Es gibt eine Gründungslegende der USA: Demnach kämpften freiheitsliebende und mutige Siedler gegen die Kolonialmacht Großbritannien, erreichten dabei Demokratie und Unabhängigkeit und etablierten den ersten modernen demokratischen Verfassungsstaat in der Welt. Einige der Aussagen treffen zu, andere sind zumindest einseitig und wieder andere eher unzutreffend. Dies kann man erneut dem Buch "Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763-1815" von Michael Hochgeschwender entnehmen. Der Autor ist Professor für Nordamerikanische Kulturgeschichte an der Universität München und hatte bereits mit dem Buch "Der Amerikanische Bürgerkrieg" seine enorme Sachkenntnis zur Geschichte der USA eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der Blick auf die Entstehungsphase konzentriert sich auf die Besonderheit: Denn es gab bei der Amerikanischen nicht wie bei der Französischen oder Russischen Revolution gegenüber einer Regierung einen Umsturz. Es ging um eine Ablösung von einem Mutterland und um politische Eigenständigkeit und Unabhängigkeit.

Hochgeschwender macht einleitend zunächst anhand von aktuellen Beispielen deutlich, dass Bezüge auf die Frühgeschichte der USA sowohl für die Alltagskultur wie für die Politik immer noch relevant sind. Dann nimmt er seine Leser kurz mit auf eine Reise durch die Forschung zum Thema, wobei sich diverse und konkurrierende Deutungsschulen herausgebildet haben. Hier wird bereits deutlich, dass der Autor sich von dem offiziellen Geschichtsmythos wie von monokausalen Ökonomieanalysen distanziert. Nachdem dazu einschlägige Klarstellungen erfolgten geht er meist historisch-chronologisch der Entwicklung zwischen 1753 und 1815 nach. Hochgeschwender beginnt mit einer Beschreibung der britischen Kolonien in Nordamerika und den anschließenden Konflikten aufgrund der Besteuerungspolitik. Dabei geht er davon aus, dass die Aufständischen zu keinem Zeitpunkt eine Mehrheit in der dortigen Gesellschaft stellten. Demnach wäre nur eine Minderheit mit der britischen Kolonialherrschaft politisch wie wirtschaftlich unzufrieden gewesen.

Der Autor blickt nicht nur auf die Hauptereignisse etwa des Schlachtengetümmels. Ein ausführliches Kapitel ist der Kulturgeschichte des Unabhängigkeitskrieges gewidmet. Dabei geht es nicht nur um Krankheit und Tod, Lagerleben und Tross. Auch die Frauen, Indianer und Schwarzen, die ansonsten in den Darstellungen jener Jahre eher vergessen werden, finden gesondertes Interesse. Und schließlich geht es noch um Nachwirkungen unterschiedlichster Art. Dazu gehört auch – bis in die Gegenwart hinein bedeutsam - das The-Winner-Takes-It-All-Prinzip und das Zweiparteiensystem. In der Gesamtschau heißt es dann: "Aus der komplexen Gemengelage des revolutionären Zeitalters brachte die Generation der Gründerväter ein höchst ambivalentes, unfertiges Staatswesen, die amerikanische Union, hervor" (S. 443). Ideen, Interessen und Praktiken gingen uneindeutig, widersprüchlich und wechselseitig miteinander einher. Der beklemmendste Ausdruck davon war, dass einerseits die Freiheit beschworen, andererseits die Sklaverei praktiziert wurde.

Darauf macht Hochgeschwender allgemein wie exemplarisch aufmerksam. Dass er dabei dem idealisierten Gründungsmythos die raue Wirklichkeit gegenüber stellt, gehört zu seinen Verdiensten. Es handelt sich um ein anschauliches und interessantes Geschichtsbuch. Gleichwohl fällt neben einer ausgeprägten Detailverliebtheit, wobei es häufig an einer Erläuterung für deren Nutzen fehlt, noch ein weiterer Kritikpunkt auf: Zwar spricht der Autor auch immer wieder die ökonomischen Interessen an, die herausragende Bedeutung für die Kämpfe der Rebellen geht dabei aber etwas unter. Gelegentlich kritisiert Hochgeschwender die etwas pauschalisierende Sicht, die in diesem Kontext der Historiker Charles A. Beard bereits vor Jahrzehnten vortrug. Indessen machte dieser auf die weniger idealistischen und mehr materiellen Motive aufmerksam. Dadurch kann von einer Ambivalenz des amerikanischen Freiheitsverständnisses bereits zu seiner Entstehungszeit gesprochen werden. Auch dabei handelt es sich um ein immer noch aktuelles Problem.

Michael Hochgeschwender, Die Amerikanische Revolution. Geburt einer Nation 1763-1815, München 2016 (C. H. Beck-Verlag), 512 S., ISBN 978-3-406-65442-8, 29,95 Euro