Gorillas sind weniger friedlich als gedacht

Mob der Silberrücken

Ende November erschien in der renommierten Zeitschrift "Nature" ein Artikel, der das Bild von den friedlichen Silberrücken als sanfte Riesen erschüttert. Nun scheinen die Gorillas nicht nur den Schimpansen, sondern auch den Menschen ein Stück ähnlicher. Ein Mob, der in der Überzahl lebensbedrohlich auf ein einzelnes Individuum losgeht, das wurde auch im Virunga-Nationalpark im Kongo in jüngerer Zeit mehrfach beobachtet.

Stanley Rosenbaum von der University of Chicago zieht Bilanz. Dreimal dokumentiert sein Forscherteam in jüngerer Zeit, wie eine Gruppe aus mehreren männlichen und weiblichen Tieren auf ein einzelnes männliches losgeht, als ihre Wege sich kreuzten. Und zwar alle zusammen, selbst Weibchen und Jungtiere beteiligten sich.

2004 stürzte sich eine Gruppe aus 26 Individuen auf den Einzelgänger Ishuti, umringte ihn, drückte ihn zu Boden, schlug und biss ihn. Nach neun Minuten brachen sie die Aktion ebenso unverwandt ab, wie sie sie begonnen hatten. Ishuti konnte schwer verletzt entkommen.

2010 griffen 42 Individuen ein einsames männliches Individuum an, sie malträtierten es 18 Minuten lang. Es wurde eine Woche später tot aufgefunden.

2013 wurde Ishuti wieder angegriffen. Er zog damals mit einem Weibchen herum. Die Angreifer waren zu neunt. Wieder wurde er umringt und malträtiert. Sein Weibchen, das allem ohne sich zu beteiligen zusah, bleib unbehelligt.

Gorillamutter mit Kind, Virunga Natinalpark, Foto: Cai Tjeenk, wikimedia, gemeinfrei
Gorillamutter mit Kind, Virunga Natinalpark, Foto: Cai Tjeenk, wikimedia, gemeinfrei

Seither grübeln die Forscher, was zu diesem für die – vegetarischen – Gorillas, die kaum unter Nahrungskonkurrenz leiden, bisher als unüblich geltenden Verhalten geführt haben mag. Sie beobachteten, dass die Gorillagruppen seit den neunziger Jahren erfreulicherweise wieder größer geworden waren und nun öfter nicht nur ein, sondern mehrere Männchen enthielten. Das mochte den Aggressionspegel steigern. Gleichzeitig waren die Territorien durch die Zersiedelung kleiner geworden, so dass sich die Wege einander fremder Tiere häufiger kreuzten.

Warum beteiligten sich aber im Gegensatz zu den Schimpansengesellschaften, ja und auch denen der Menschen, bei den Gorillas beide Geschlechter gleichermaßen an den selben Aggressionen? Denn dort kennt man zwar Kämpfe unter männlichen Exemplaren, seltener auch weiblicher Tiere untereinander um Revier und Rangordnung bei den Männern und Rangordnung unter den Frauen, doch kaum "gemischte Kriegszüge". Selbst Kinder beteiligten sich bei den Gorillas.

Je größer die Angreifergruppe wird, desto mehr sinkt auch das Risiko für den Einzelnen und steigt das Mütchen auch der Schwachen.

Eine Rolle mag außerdem spielen, dass Gorilla-Alpha-Männchen, wenn sie einem Konkurrenten den Harem abgejagt haben, vielfach erst einmal den übernommenen Nachwuchs töten, damit die Weibchen fortan möglichst viel Energie in den eigenen, neuen Nachwuchs stecken. So könnten die Gorilla-Amazonen vorsorglich den potentiellen Kindsmörder beseitigen.

Weil in einer Gorillagruppe alle mehr oder weniger miteinander verwandt sind, kommt auch Beistand unter Verwandten als Beweggrund in Frage, wovon der gemeinsame Gen-Pool profitieren würde. Doch auch die Angegriffenen waren noch irgendwie über die mütterliche Linie entferntere Verwandte.

Möglicherweise ist Aggression auch einfach nur ansteckend, und frau/kind hat es dem Verhalten der anderen Gruppenmitglieder nur nachgetan – wie bei menschlichen Lynch-Aktionen beobachtet.