Verfassungsbeschwerde gegen § 217 StGB

Wolfgang Klosterhalfen hat eine Verfassungsbeschwerde gegen den Ende 2015 eingeführten § 217 StGB eingereicht. Für den hpd erklärt er seine Beweggründe für diese Entscheidung.

Nachdem bereits zehn Landesärztekammern ab 2011 ihren Mitgliedern verboten haben, beim Suizid zu helfen, bedroht § 217 StGB seit Ende 2015 zusätzlich alle wiederholt tätigen Suizidhelfer in ganz Deutschland. Dadurch ist es mir so gut wie unmöglich geworden, im Falle eines wohlüberlegten Suizidwunsches hierzulande noch irgendwo einen erfahrenen ärztlichen Suizidhelfer zu finden. Ich wäre dann gezwungen, gegen meinen Willen entweder weiter zu leben (mit dem Risiko langem und schwerstem Leidens und totaler Abhängigkeit) oder zu einer entweder brutalen und andere Menschen schwer schädigenden oder zu einer unsicheren Suizidmethode zu greifen. Ich habe daher am 6.12.2016 beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe gegen § 217 Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. 2 BvR 2507/16). (Siehe Anlage)

Ein Schwerpunkt meiner Beschwerde sind eindeutige Belege dafür, dass die Kirchen sowie kirchennahe Organisationen und besonders engagierte christliche Abgeordnete des Bundestags intensiv auf die Verabschiedung dieses Gesetzes hingewirkt und eine stark religiös motivierte Norm für alle Bürger, sogar für ungläubige, verbindlich gemacht haben (S. 5-37). Außerdem zeigt meine Beschwerde ausführlich, wie schwach die Begründung von § 217 ist (Normalisierung des Suizids und Gefahr der Verleitung zum Suizid durch auf Wiederholung angelegte Suizidhilfe, S. 53-89), und wie die negative Religionsfreiheit und weitere Grundrechte massiv verletzt werden (S. 89-102).

Ich halte meine Beschwerde für eine notwendige Ergänzung zu den weiteren zwölf Beschwerden, die dem BVerfG vorliegen und anscheinend überwiegend von unmittelbar in ihrer Berufsausübung betroffenen Vereinsvorsitzenden, Palliativmedizinern und anderen Ärzten sowie Mitgliedern von Suizidhilfe-Vereinen stammen. Während nur relativ wenige Menschen schon gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten eingeschränkt werden, ist zu erwarten, dass tausende von Bürgern erst im Laufe der Jahre, nämlich am Ende ihres Lebens, die fürchterlichen Folgen dieses Gesetzes zu spüren bekommen.

In der Schweiz hat allein schon der 1982 gegründete Verein Exit über 100.000 Mitglieder, die für den Fall einer unerträglichen Situation am Lebensende vorsorgen wollen. Dies entspräche etwa einer Million Mitgliedern in Deutschland. Bei uns bestimmen jedoch die Kirchen und ihnen nahe stehende Organisationen (z.B. Caritas, Diakonie, Malteser), Medien, Ärzte und Politiker sowie Geschäftsinteressen von Firmen, Kapitalanlegern und raffgierigen Ärzten in erheblichem Maße darüber, wann und wie Menschen sterben. Es hat sich im Laufe der Jahre eine lukrative und hochkriminelle Sterbeverhinderungsmedizin etabliert. Allein die künstliche Beatmung generiert jährlich Umsätze von 3 – 5 Milliarden Euro. Ein nicht geringer Teil dieser Beatmungen erfolgt anscheinend ohne oder sogar gegen den Willen der Betroffenen.

Zu den ersten acht der dreizehn Beschwerden hat das BVerfG in zwei Aussendungen den Kirchen (!) und etlichen staatlichen und privaten Organisationen (u.a. Deutsche Stiftung Patientenschutz, Humanistische Union und Humanistischer Verband Deutschlands) schon Stellungnahmen erbeten. Der zweite Abgabetermin war am 28.2.17. Meine eigene Beschwerde gehört zu den letzten fünf, die noch nicht von "sachkundigen Dritten" begutachtet wurden. Ob sie überhaupt zugelassen wird, ist insofern fraglich, als das BVerfG auf der Basis seiner eigenen Rechtsprechung verlangt: "Die beschwerdeführende Person muss selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sein."

Bei den Leitern von Suizidhilfevereinen und deren Mitarbeitern sowie bei einzeln agierenden Ärzten, die schon Suizidhilfe geleistet haben, dürfte klar sein, dass sie gegenwärtig und unmittelbar betroffen sind. Es ist gut, dass diese Personen als natürliche oder als juristische Personen gegen § 217 klagen können. (Wovon in der Schweiz aktive Suizidhelfer/innen aber eventuell ausgenommen sind.) Es ist andererseits nicht einzusehen, dass bei rigider Anwendung der o.a. Zulassungsregel gerade die Menschen nicht klageberechtigt wären, die erst in Jahren zu Tausenden und am intensivsten unter dem neuen Verbot der organisierten Suizidhilfe zu leiden hätten. Das sind alle Menschen, die aus vernünftigen Gründen ihr Leben selbst beenden wollen, aber wegen des Verbots der ärztlichen Suizidhilfe durch zehn Landesärztekammern und des Verbots der organisierten Suizidhilfe durch § 217 keinen erfahrenen Suizidhelfer finden werden.

Von den 925.000 Menschen, die im letzten Jahr in Deutschland starben, werden viele tausend sich vergeblich Suizidhilfe gewünscht oder erfolglos versucht haben, ihr Leben zu beenden. Zigtausende werden gegen ihren Willen erst nach "langem Leiden", d.h. unter – eigentlich nicht nötigen - Qualen, gestorben sein und vorher eventuell noch in die gierigen Hände krimineller Ärzte, Pflegedienste und Heimleitungen gefallen sein. Von den jährlich etwa 10.000 Suiziden (hauptsächlich durch fürchterliche Methoden wie Erhängen, Erschießen, Sprung in die Tiefe oder vor den Zug) entfällt ein erheblicher Teil auf Bilanzsuizide alter Personen. Es ist nicht zuletzt die Folge absurder religiöser Fantasievorstellungen, wenn nun mit staatlicher Gewalt versucht wird, die Zahl professionell begleiteter Suizide nahe null zu halten, und die Augen vor dem Leid so erzwungener Lebensverlängerungen und Brutal-Suizide und vergeblicher Suizidversuche zu verschließen.

Ich selbst bin von der Strafandrohung des § 217 als potentiell Suizidwilliger gar nicht und von seinen Folgen nur mittelbar betroffen. Dass ich gegenwärtig keine für den Notfall vorsorgenden Verabredungen mit einem Suizidhelfer treffen kann und mich nicht selbst in der Suizidhilfe engagieren darf, sei hier nur als "Nebenwirkungen" des § 217 am Rande erwähnt. In wirklich gravierender Weise wird meine Menschenwürde und Freiheit voraussichtlich erst am Ende meines Lebens durch § 217 verletzt (falls ich nicht eines plötzlichen Todes sterbe, was eher unwahrscheinlich ist). Ich muss deshalb seit Ende 2015 befürchten, bei einem nachvollziehbaren Suizidwunsch keinen erfahrenen Arzt zu finden, der mir hilft, mein Leiden abzukürzen und auf sanfte, sichere und Dritte nicht unnötig schädigende Weise zu sterben.

Wolfgang Klosterhalfen

Wird das Gericht meine Beschwerde zur Prüfung zulassen?

Darüber ist noch nicht entschieden worden. Wenn ich Pech habe, wird die aus drei Richterinnen bestehende 2. Kammer des 2. Senats des BVerfGs einstimmig, ohne Begründung und unanfechtbar meine Beschwerde für unzulässig erklären (s. § 93d). Ich hoffe und erwarte aber wegen der folgenden abweichenden Regelungen, dass meine Beschwerde trotz der geforderten, aber kaum vorhandenen unmittelbaren und gegenwärtigen Selbstbetroffenheit zur Prüfung angenommen wird:

§ 93a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) besagt, dass eine Beschwerde zur Entscheidung anzunehmen ist, "a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht." Außerdem heißt es in einer Entscheidung des BVerfGs: "Von einer gegenwärtigen Betroffenheit geht das Bundesverfassungsgericht aber auch dann aus, wenn … klar abzusehen ist, daß und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (vgl. BVerfGE 74, 297 <320>)."

Über alle zugelassenen Beschwerden wird der aus je vier Richtern und Richterinnen bestehende 2. Senat entscheiden. Je vier der Richter/innen wurden von der CDU und von der SPD als für ihr hohes Richteramt geeignet vorgeschlagen und hälftig von einem Ausschuss des Bundestags und vom Bundesrat gewählt. Sollte die finale Abstimmung über (m)eine Beschwerde patt ausgehen, ist (m)ein Antrag abgelehnt (s. § 15 (4) BVerfGG). Wenn alle acht Richter/innen abstimmen, müssten also mindestens fünf für den Antrag und ganz oder zumindest partiell gegen § 217 StGB sein. Das halte ich nicht für sehr wahrscheinlich. Und mein Antrag, Bundesverfassungsrichter Peter Müller, der sich als Ministerpräsident des Saarlands schon 2006 für einen § 217 StGB eingesetzt hat, als befangen abzulehnen, wird wohl an § 18 (3) BVerfGG scheitern. Falls meine Verfassungsbeschwerde überhaupt zugelassen wird.