Das Erdklima ist aus dem Gleichgewicht geraten: Weil sich in der Atmosphäre immer mehr CO2 sammelt, ist die Temperatur seit Beginn der Industrialisierung um 0,8 Grad gestiegen. Selbst bei einem sofortigen Stopp aller fossilen Emissionen würde sich die Erde noch um weitere 0,3 Grad erwärmen, zeigt eine Studie von Thorsten Mauritsen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg gemeinsam mit Robert Pincus von der University of Colorado. Im Interview erläutert Mauritsen, warum es Jahrtausende dauert, bis die Erde wieder ins Gleichgewicht kommt.
Herr Mauritsen, was hat Sie zu dieser Studie veranlasst?
Ich war im Jahr 2015 ein bisschen irritiert, dass das 1,5-Grad-Ziel bei den Verhandlungen in Paris überhaupt diskutiert wurde. Ich war davon überzeugt, dass wir schon daran vorbei waren. Also wollte ich mit einfachen Mitteln zeigen, dass dieses Ziel überhaupt nicht mehr zu erreichen ist. Doch als ich in die Literatur eingedrungen bin und selbst mehr und mehr Berechnungen durchgeführt habe, musste ich irgendwann einsehen, dass das Szenario nicht völlig unrealistisch ist. Das ist ja irgendwie doch ein positives Ergebnis.
Sie haben herausgefunden, dass sich die Erde um insgesamt 1,1 Grad Celsius erwärmen würde, selbst wenn es von sofort an keine fossilen Emissionen mehr gäbe. Wie kommt das?
Das Erdsystem ist aus der Balance geraten. Es fließt mehr Energie in das System hinein als wieder heraus. Diese überschüssige Energie wird hauptsächlich von den Ozeanen aufgenommen. Wasser hat eine große Wärmekapazität und daher eine lange Reaktionszeit, dadurch kühlen die Ozeane derzeit die Luft. Mit der Zeit erwärmen sich aber auch die tiefen Meeresschichten bis sich schließlich, nach Tausenden von Jahren, das Klimasystem bei einer höheren Durchschnittstemperatur von Ozeanen und Atmosphäre einpendelt. Ohne neue Emissionen wären das am Ende dieses Jahrhunderts 1,1 Grad Celsius mehr als vor der Industrialisierung.
Welche Faktoren spielen noch eine Rolle?
Bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe stoßen wir außer CO2 auch Aerosolpartikel in die Atmosphäre aus. Die Aerosolpartikel kühlen wahrscheinlich die Erde ein bisschen ab, wirken also sozusagen gegen das CO2. Würde man keine Kohle und kein Erdöl mehr verbrennen, würden die Aerosole innerhalb weniger Wochen verschwinden, aber das CO2 bliebe in der Atmosphäre. Daher gäbe es einen plötzlichen Erwärmungsschub. Über längere Zeitskalen nehmen aber die tiefen Ozeane einen Teil des CO2 auf. Das verringert die vorbestimmte Erwärmung am Ende des Jahrhunderts um etwa 0,2 bis 0,3 Grad gegenüber dem Fall, bei dem das CO2 konstant bleibt. Die Natur hilft uns also ein bisschen.
Wie wirken sich andere Treibhausgase, etwa Methan und Stickoxide aus?
Diese Gase haben eine eher kurze Lebenszeit von maximal zehn Jahren. Zehn Jahre sind natürlich nicht so wenig, aber wenn wir die Erwärmung über hundert Jahre betrachten, dann schon. Die Emission dieser Gase führt dazu, dass die Erde jetzt ein bisschen wärmer ist. Wenn sie aus der Atmosphäre verschwinden, wird die Erwärmung also etwas abgemildert.
Wie haben Sie die vorbestimmte Erwärmung ermittelt?
Dazu mussten wir eigentlich nur zwei Dinge wissen. Als erstes mussten wir herausfinden, wie sensibel das Erdsystem ist, wie empfindlich es also auf den Anstieg von CO2 in der Atmosphäre auf der Jahrhundert-Zeitskala reagiert – die so genannte transiente Klimasensitivität. Das kann man aus Daten zum bisherigen Temperaturanstieg und zur Erwärmung der Ozeane schätzen. Außerdem mussten wir wissen, wie stark es sich auswirkt, wenn Aerosole, Methan und Stickoxide aus fossilen Brennstoffen wegfallen. Daraus konnten wir die Erwärmung bis Ende des Jahrhunderts schätzen.
Was ist der Unterschied zu früheren Studien?
Wir haben Beobachtungsdaten genutzt, um die Sensibilitäten zu schätzen. Bisherige Studien beruhten dagegen auf den Ergebnissen von Klimamodellen, in die sehr viel mehr Annahmen einfließen. Unsere Ergebnisse unterstützen aber weitgehend die modellbasierten Studien.
Was lernt man aus dem Ergebnis? Leider ist es ja nicht möglich, die Emissionen tatsächlich sofort zu stoppen.
Man kann sehen, wie weit die Menschheit von Klimazielen wie dem Pariser Abkommen entfernt ist, das festlegt, dass sich die Erde nicht um mehr als 1,5 bis zwei Grad erwärmen soll. Nach unserer Studie besteht eine Wahrscheinlichkeit von 13 Prozent, dass wir schon jetzt über das 1,5 Grad-Ziel hinweg sind. Wir zeigen auch, dass wir auf Basis der heutigen Emissionen noch etwa 30 Jahre Zeit haben, bis die Wahrscheinlichkeit unter 1,5 Grad zu bleiben, nur noch bei 50 Prozent liegt.
Wie erklären Sie sich die große Aufmerksamkeit, die Ihre Studie hervorgerufen hat?
Offenbar haben wir einen Nerv getroffen. Umfragen zufolge glauben ganz viele Menschen, dass die globale Erwärmung aufhört, wenn man die Treibhausgas-Emissionen stoppt. Viele nehmen sogar an, dass die Temperaturen schon nach ein paar Jahrzehnten wieder auf vorindustrielle Werte fallen. Als Klimawissenschaftler wissen wir aber seit langem, dass das nicht so ist. CO2 hat eine viel längere Lebenszeit, es bleibt bis zu vielen Tausende von Jahren in der Atmosphäre. Daher muss man es einmal deutlich sagen: Die Erwärmung hört nicht auf, wenn die Emissionen aufhören.
Interview: Ute Kehse für mpg.de
9 Kommentare
Kommentare
Paul am Permanenter Link
Es wird Zeit den Ölhahn zuzudrehen und die größte Brennstoffzelle in unserem System zu nutzen, die jeden Tag genug Energie liefert, die Sonne.
Rudi Knoth am Permanenter Link
Die Sonne ist keine Brennstoffzelle sondern ein Fusionsreaktor.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Zitat: "die größte Brennstoffzelle in unserem System zu nutzen, die jeden Tag genug Energie liefert, die Sonne"
Oder geht es einfach nur um den Ausbau der regenerativen Energiegewinnung?
Dann würde ich das auch sagen.
libertador am Permanenter Link
1. Die Sonne ist keine Brennstoffzelle, sondern die Energiequelle der Sonne ist Kernfusion.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Inwiefern ist die Sonne eine Brennstoffzelle und nicht vielmehr ein Fusionsreaktor?
Oder soll das ein Wortspiel mit der zweitgenannten Brennstoffzelle sein?
Paul am Permanenter Link
Natürlich haben Sie Recht wenn Sie sagen Kernfusion, ich dachte da eher an "Energielieferant" im weiteren Sinne.
Ich dachte an die Produktion von Wasserstoff als Energiespeicher über die Elektrolyse von (H+, O-, Salzwasser soll besser geeignet sein)Wasser, also Zerlegung in Sauerstoff und Wasserstoff, mittels überschüssiger elektrischer Energie, die auch aus der Sonne über Solarpaneele, Windkraft (Aufwind-Kraftwerke, allgemein Solarkraftwerke auf Internationaler Ebene) genutzt werden könnte und ich stelle die Behauptung auf, alle mal Umweltfreundlicher, als sämtliche Varianten mit Akkumulatoren.(Argument gasförmig und gefährlich, Gegenargument Erdgas gasförmig und gefährlich, oder Silizium-Ionen können brennen/explodieren)
Bei der Ausbeutung von Ressourcen dachte ich an die "Seltenen Erden"(China) für die Produktion von Akkumulatoren, mein Wissenstand.
Die Reichweite einer Brennstoffzelle ist allemal bzw. noch größer, als der mit Akkus.
Das ist die Sichtweise eines Fachhandwerkers, aber eben keines Profis.
Paul am Permanenter Link
*Es sollte Lithium-Ionen, anstatt Silizium-Ionen heißen.
Rudi Knoth am Permanenter Link
Zitat:"Und inwiefern werden durch Akkubetrieb Menschen ausgebeutet?"
Der Vorposter meint wohl die Kinderarbeit bei der Kobaltgewinnung im Kongo. Dieses Metall braucht man für die Lithiumbatterien.
Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Ich fürchte, es wird langsam Zeit, Plan B aus der Schublade zu holen. Was tun wir, wenn die sowieso längst unrealistischen 1.5°C Erderwärmung eintreten.