Kommentar

Was macht die Deutsche Einheit im Mainzer Dom?

Es war mal wieder das sattsam bekannte Bild bei offiziellen staatlichen Zeremonien. Auch am 03. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, waren nationale und internationale Würdenträger - diesmal nach Mainz - geladen, um den deutschen Nationalfeiertrag zu begehen. Alle erwarteten freudig eine Ruck-Ansprache des Bundespräsidenten, der nun endlich mal aus seiner siebenmonatigen Versenkung auftauchen durfte. Doch halt: Bevor der offizielle Staatsakt in der Rheingoldhalle beginnen durfte, begaben sich die Spitzen der Verfassungsorgane und weitere 1000 handverlesene Ehrengäste in dem Mainzer Dom zu dem bei staatlichen Feiern üblichen ökumenischen Gottesdienst.

Sie alle lauschten dem katholischen Ortsbischof und seinem evangelischen Kollegen. Um die ökumenische Weltoffenheit unter Beweis zu stellen, durfte sogar eine muslimische Seelsorge - Initiative ein paar Worte sagen; ein wenig Zivilgesellschaft war zur Dekoration auch noch an der Reihe: das war es dann aber auch.

Die Republik hat sich scheinbar auch 27 Jahre nach der Vereinigung mit den kirchenfernen Ost-Ländern an diese Form der Zurschaustellung einer innigen Verflechtung von Staat und christlichen Großkirchen gewöhnt. Waren es aber nicht gerade die Menschen in der früheren DDR, die am 9. Oktober 1989 mit der großen Demonstration in Leipzig das Tor für die Vereinigung öffneten? Warum nun mal wieder die Katholische Kirche den zeremoniellen Rahmen für die Feier der Vereinigung stellt, erschließt sich nicht. So zelebriert sich der demokratische Verfassungsstaat in seiner rückwärtsgewandten Rolle als Hüter einer längst verflossenen Identität von Bürger und Christ. Auf diese Weise wird der "Staatsakt" für das Publikum an den Bildschirmen unter der Hand zu einem kollektiven Bekenntnis der politischen Eliten zum Christentum. Die schon 1919 in der Weimarer Verfassung abgeschaffte Staatskirche wird am Bildschirm geschickt zum Ideal christlicher Leitkultur erhoben. Das ist die wahre Dialektik der Trennung von Staat und Kirchen in der Praxis in unserem Verfassungsstaat.

Irritierend ist die Vorführung der Obersten Verfassungsorgane. Der Tag begann für sie mit der Eintragung in das Goldene Buch der Stadt; woran nichts auszusetzen ist. Dann ging es - unter Leitung der Kanzlerin mit einem kleinen Umweg ins Museum - zum Mainzer Dom, dessen Glocken schon gebieterisch läuteten. Dort nahmen sie alle artig Platz, vom Bundespräsidenten über den scheidenden Präsidenten des Bundestages, die alte Präsidentin des Bundesrates und ihren Nachfolger. Da fehlt doch noch das fünfte Rad, das Bundesverfassungsgericht. Richtig: sein Präsident durfte auch nicht fehlen. Sie alle hatten offensichtlich kein Problem mit der ihnen zugedachten Rolle. Was wäre aber gewesen, hätte einer dieser fünf Repräsentanten die der "Einladung" zum Gottesdienst nicht angenommen? Hätte er sich unter einem Vorwand verdrückt oder sich formell vertreten lassen, damit wenigstens das Verfassungsorgan insgesamt noch irgendwie die Loyalität zur Sonderstellung der Kirchen dokumentieren kann. Hier zeigt sich, wie subtil und wirkungsvoll solche Veranstaltungen Druck auf die Beteiligten ausüben (sollen). So mag bei der Vereidigung noch das Ausbleiben der religiösen Eidesformel wenig Staub aufwirbeln. Der leere Stuhl im Dom erforderte aber doch einige Courage im noch immer christlich dominierten Staat.

Erneut wurde – mit einer wohl kalkulierten Botschaft – eine kirchliche Veranstaltung mit einen offiziellen Staatsakt zu einem gemeinsamen Ensemble zusammengefügt. Es mag unterschiedliche Meinungen zu staatlichen Zeremonien geben: ich halte sie für notwendig und richtig, sofern der Rahmen stimmt und sie die Vielfalt der Welt- und Glaubensanschauungen in der Gesellschaft widerspiegeln. Simulierte Gemeinsamkeitsrituale führen hingegen nicht zusammen, sondern spalten. Religionsfreie werden ebenso ausgegrenzt wie Angehörige kleinerer Religionsgemeinschaften. Nur zur Erinnerung: Über ein Drittel der Bevölkerung ist religionsfrei, mit deutlich steigender Tendenz. Ihr Anteil ist damit weit höher als der jeder der beiden Großkirchen, die beide deutlich die 30-Prozent-Marke unterschritten haben! Wenn noch in dieser beginnenden Wahlperiode die Zahl der Mitglieder der beiden großen Kirchen unter die 50-Prozentmarke rutscht, kann die symbolische Darstellung der Staatlichkeit spätestens dann nicht mehr länger im alten Trott weitergehen. Die Gemeinsamkeit im Staat kann und darf sich nicht mehr länger und ausschließlich auf das römisch-katholische und evangelische Christentum stützen. Die Debatte über neue Formen und Inhalte offizieller Gedenk- und Festveranstaltungen ist längst überfällig; wir brauchen hier eine grundlegende Neubesinnung. Säkulare sind aufgefordert, derartige Verschmelzungsrituale bei diesem und auch anderen offiziellen Anlässen nicht mehr länger klag- und widerspruchslos hinzunehmen und stattdessen Alternativen zu entwickeln und gesellschaftlich dafür aktiv zu werben.

Die Kirchen wiederum sollten endlich Gewänder ablegen, die ihnen längst zu groß geworden sind. Bald ist Martinstag – eine gute Gelegenheit zum Ausmisten der Kleiderschänke.