Interview mit Mina Ahadi

"Wenn Probleme nicht ernst genommen werden, dann hilft das nur denen, die gegen Ausländer hetzen."

Die Bundestagswahlen machten deutlich, dass sich das politische Klima in Deutschland verändert hat. Der hpd sprach mit der Vorsitzenden des Zentralrates der Ex-Muslime, Mina Ahadi, über das Erstarken von islamistischen Kräften im Lande und den Reaktionen darauf, die auch darin bestehen, dass die AfD mit mehr als 12% Wählerstimmen in den Deutschen Bundestag eingezogen sind.

Bei den letzten Wahlen hat die AfD 12,6% der Stimmen bekommen. Frau Ahadi, was ist los in Deutschland?

Mina Ahadi: Es gibt in Deutschland eine große Unzufriedenheit. Es geht sich dabei nicht nur um das Kopftuch und den Einfluss der Islamisten, die jeden Tag neue Forderungen stellen wie z.B. die Diskussionen über halal und haram in Schulen.

Es geht auch nicht nur um die Flüchtlinge, die hier in Deutschland leben. Leider wird immer vergessen, wieso diese eigentlich hier sind, aus welchen Gründen sie geflohen sind und welche Rolle die europäischen Regierungen dabei gespielt haben. Im Grunde geht es sich um die zunehmende Unsicherheit und Verarmung in der Gesellschaft.

Die Menschen sind wach geworden und sehen, dass das politische System einfach ohne sie weiter macht. Das schmerzt. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer. Man sieht mehr und mehr Rentner, die auf den Straßen nach Pfandflaschen suchen. Haben das Menschen nach 40 Jahren Arbeit verdient? Laut einer Statistik sind 42% aller Alleinerziehender arm oder armutsgefährdet. Ist das wirklich das Beste, was ein reiches Land wie Deutschland seinen Bürgern zu bieten hat?

Eines der grundlegenden Probleme ist, dass alle vier Jahre Wahlen stattfinden und dass danach die Parteien machen, was sie wollen. Vor den Wahlen wird sehr viel versprochen und danach sehr wenig getan. Wie wir gesehen haben, sind der Islam und der politische Islam und alles was dazugehört auch zum Wahlthema geworden. Aber kaum eine Partei redet über diese Probleme Klartext. Die deutsche Regierung mit ihrer bisherigen Politik ist auch nicht die Antwort, sondern ein Teil des Problems, und jetzt haben wir die AfD am Hals.

Angeblich sind 60% der Menschen, die die AfD gewählt haben, nicht mit deren Programm einverstanden. Diese Menschen haben die AfD nicht gewählt, weil sie systemkritisch ist oder gute Lösungen gegen Arbeitslosigkeit oder Altersarmut hat, sondern weil sie sagt, dass wir diese Probleme haben, weil so viele Ausländer, so viele Flüchtlinge, nach Deutschland gekommen sind.

Einer der wichtigsten Punkte dabei ist die Kritik am Islam und am politischen Islam. Leider geht es der AfD aber hierbei nicht um eine sachliche, humane Diskussion, sondern letztendlich läuft es auf eine Hetze gegen Ausländer hinaus. Die AfD ist die einzige Partei, die diese Themen anspricht, aber nur, um sie für ihre eigenen Zwecke zu verwenden. Alle anderen Parteien haben bislang versucht, diese Themen zu ignorieren oder zu verharmlosen.

Bedeutet das, dass das Thema Islam und politischer Islam einer der Schwerpunkte für viele Menschen ist?

Leider ja. Wenn ich mit meiner Familie im Iran rede, dann verstehen sie nicht, warum Islam und Islamismus zum Thema bei den Wahlen werden konnte. Doch der politische Islam ist hierzulande sehr aktiv hier und hat viel Einfluss gewonnen.

"Die Probleme ... haben aber nicht damit angefangen, dass Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sondern weil ... der politische Islam ... versucht, sich hier in Europa durchzusetzen..."

Man sieht immer mehr Frauen auf den Straßen, die ein Kopftuch tragen. Es gibt mehr und mehr Druck und Klagen, das Kopftuch, z.B. am Arbeitsplatz oder in den Schulen, zuzulassen. Es werden mehr Moscheen gebaut. Wenn Sie glauben, dass dies ein Ausdruck einer zunehmenden, individuellen Religiosität der Menschen ist, dann haben Sie den politischen Islam nicht verstanden. Schauen Sie sich nur die Türkei an. Ein systematisches Programm und Druck der Islamisten sägt ständig an den säkularen Strukturen dort. Jetzt wird die Evolutionstheorie aus den Schulbüchern gestrichen. Wer hat das gefordert?

Schauen Sie sich an, was vor fast vierzig Jahren im Iran passiert ist. Seitdem die Islamisten dort die Macht ergriffen haben, machen sie das Leben der Menschen zur Hölle. ISIS ist noch ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie brutal die Islamisten sind. Viele der Flüchtlinge, die hierher kommen, rennen genau vor dieser Brutalität, vor dieser Barbarei weg und die meisten wollen gar nicht hier sein. Die würden viel lieber in ihrem eigenen Land, nah bei ihrer Familie, leben. Viele sind wütend, denn es sind zum Teil die Aktivitäten unserer Regierungen, die das unmöglich machen – die Außenpolitik, die Waffenexporte und die Unterstützung und Finanzierung von diversen Terrorgruppen und Islamisten, sei es im Nahen Osten oder hier in Deutschland, im Namen der Integration.

Die Probleme, die wir hier haben, haben aber nicht damit angefangen, dass Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, sondern weil eine politische Strömung, der politische Islam, schon seit mehr als 15 Jahren versucht, sich hier in Europa durchzusetzen. Und weil die deutsche Regierung und viele der Parteien dabei mitmachen. Doch es gibt auch Widerstand, zumeist von den Menschen, die vor dieser politischen Bewegung geflüchtet sind und von uns, dem Zentralrat der Ex-Muslime und einigen wenigen anderen wie z.B. der Giordano Bruno Stiftung.

Die etablierten Parteien und Organisationen verharmlosen jedoch die Probleme. Wenn wir verlangen, dass die Burka in Deutschland verboten wird, dann ist das angeblich gegen Frauenrechte. Wenn wir verlangen, dass das Kinderkopftuch verboten wird, dann ist das angeblich gegen das Vorrecht der Eltern. Wenn wir sagen, dass Männer auf der Straße keine Frauen angreifen dürfen, dann heißt es, dass diese Menschen aus einer anderen Kultur kommen, dass sie andere Werte als wir haben und das deutsche Frauen ja auch zu Hause geschlagen werden. Es gibt immer wieder Einwände von diesen Parteien und Organisationen, von denen kommt diesbezüglich nie eine klare, progressive Politik.

Aber beschneiden denn diese Themen, die Sie ansprechen, nicht das Recht auf Religionsfreiheit?

Das ist eine der großen Debatten, die zurzeit in Deutschland und in Europa geführt werden. Religionsfreiheit bedeutet, die Menschen können einer Religion angehören oder auch von einer Religion abschwören. Über ein Drittel der Deutschen sind Atheisten und Agnostiker, doch diese Menschen finden in den Medien und der Politik nur sehr wenig Gehör. Eines der wichtigsten Prinzipien der Aufklärung, das sich die Menschen erkämpft haben, die Neutralität des Staates, wird immer wieder beiseite geschoben.

Säkularismus ist unser Recht und Menschen wollen in Schulen, am Arbeitsplatz und in Institutionen keinerlei religiöse Zeichen sehen. Das ist gegen die Universalität der Menschenrechte und grenzt andere Religionsangehörige und Atheisten aus.

"Wenn die Kirche und die Religion allgemein in Deutschland weiterhin viel zu sagen hat, dann wollen die Islamisten auch einen Teil dieser Sonderrechte."

Warum sollte in Deutschland in Krankenhäusern oder auch in Gerichtssälen ein Kruzifix hängen? Wenn die Kirche und die Religion allgemein in Deutschland weiterhin viel zu sagen hat, dann wollen die Islamisten auch einen Teil dieser Sonderrechte. Der Unterschied zwischen dem Islam und dem Christentum heutzutage ist, dass der Islam jetzt eine sehr brutale und unmenschliche politische Bewegung ist, die noch nicht gebändigt wurde. Über die letzten Jahrzehnte hat er sich mit Gewalt, Drohungen und Hinrichtungen in vielen Ländern durchgesetzt und ist auch hier sehr aktiv.

Ein Beispiel: Frau X ist eine Lehrerin, die das Kopftuch an ihrem Arbeitsplatz, also in der Schule, tragen möchte. Es wird argumentiert, dass es ihr Recht als Frau sei, zu entscheiden, ob sie es trägt oder nicht. Das verharmlost, was dahinter steckt, denn viele dieser 'emanzipierten' Frauen, die angeblich als Einzelperson vor Gericht ziehen, stehen oft in engem Kontakt mit islamischen Organisationen, deren Ziel es ist, das Kopftuch und damit den Islam in Schulen, in Institutionen und am Arbeitsplatz zu etablieren.

Das hat wenig mit dem persönlichen Recht auf Glaubensfreiheit oder der Ausübung der Religion zu tun. Die Menschen hier in Europa haben doch dafür gekämpft, das die Religion eine Privatsache ist und Privatsache bleiben soll, warum sollten wir das jetzt ändern? Man kann sehen was und wer dahinter steckt, wenn Rektorinnen und Lehrerinnen bedroht werden, wenn sie sagen, dass an ihrer Schule Mädchen kein Kopftuch tragen dürfen. Ich habe mit LehrerInnen und anderen, die mit diesen Problemen zu tun haben, geredet und viele haben Angst. Wenn diese Angst, diese Probleme nicht ernst genommen werden, dann hilft das nur denen, die gegen Ausländer hetzen.

Diese Problematik gibt es schon seit Langem, was erwarten Sie von den anderen Parteien?

Wenn wir in Deutschland eine fortschrittliche, linke Partei hätten, die über Armut, Arbeitslosigkeit, soziale Gerechtigkeit aber auch über den politischen Islam Klartext reden würde, dann würden heute nicht so viele Menschen die AfD wählen.

Die meisten Parteien haben diese Probleme einfach immer wieder ignoriert oder reaktionäre Vorschläge gemacht, z.B., dass man weniger Ausländer, weniger Flüchtlinge ins Land lassen sollte. Die linken Parteien wollen diese Probleme gar nicht sehen. Sie verteidigen das Kopftuch – auch am Arbeitsplatz – im Namen der Toleranz gegenüber Minderheiten oder weil sie denken, dass sie damit Frauenrechte unterstützen. Doch das wird die Probleme nicht lösen.

Wir versuchen schon seit 10 Jahren, diesen Parteien und Organisationen klarzumachen, dass man sich mit diesen Problemen befassen muss. Man darf vier Millionen Menschen nicht in einen Topf werfen und ihnen das Etikett 'Muslim' geben und sie diesen islamischen Organisationen ausliefern. Einige Politiker hören zu, aber die Politik der Parteien ignoriert das. Letztes Jahr haben wir in einer öffentlichen Stellungnahme die deutsche Regierung zu einem politischen Kurswechsel aufgefordert, doch wir wurden ignoriert. Und jetzt hat die AfD noch größere Wahlerfolge.

"…was wir gerade sehen, ist, wie einige Parteien versuchen, diesem Druck von rechts nachzugeben, um damit Wählerstimmen zu gewinnen."

Mit der Aussicht auf eine neue Koalition hier in Deutschland ist es an der Zeit, dass die Probleme beim Namen genannt werden. Doch was wir gerade sehen, ist, wie einige Parteien versuchen, diesem Druck von rechts nachzugeben, um damit Wählerstimmen zu gewinnen. So hat Angela Merkel sich jetzt für eine Obergrenze für die Flüchtlingsaufnahme entschieden. Wird das wirklich unsere sozialen und finanziellen Probleme lösen? Wäre es nicht viel wirksamer, z.B. die Zusammenarbeit mit islamischen Organisationen zu beenden, damit Migranten eine echte Chance zur Integration haben?

Die säkularen Prinzipien müssen verteidigt werden, d.h., dass die Religion in Schulen und am Arbeitsplatz nichts zu suchen hat. Keine Sonderrechte für Religionen, Islamisten oder reaktionäre Gruppen und Organisationen.

Wie kann man sich denn mit diesen Themen auseinandersetzen?

Die Antwort ist eine öffentliche, sachliche Debatte, an der sich viele Stimmen beteiligen, damit die Sorgen, Vorurteile, Probleme ans Licht kommen und Lösungen gefunden werden können. Ich glaube, nach dieser Wahl sind einige Leute wach geworden. Wir haben jetzt die Chance, noch einmal über diese Themen zu reden, damit die Menschen sehen können, dass man den Islam kritisieren kann, dass man gegen einen Kopftuchzwang sein kann, dass man die Zusammenarbeit der deutschen Regierung mit Islamisten kritisieren kann, und dass man dafür nicht gegen Ausländer sein oder die AfD wählen muss. Man kann diese Debatte von einer humanistischen und aufgeklärten Position her führen.

Ein Punkt ist dabei sehr wichtig: Islamkritik ist nicht rassistisch. Vor allem die Linken schauen gar nicht, wer diese Kritik übt, sondern verurteilen jegliche Form der Islamkritik als Rassismus. Sie bezeichnen das gerne als Islamophobie und meinen damit nicht eine Phobie oder Kritik am Islam, sondern ein Vorurteil gegen Muslime. In meiner Arbeit kämpfe ich für Menschen- und Frauenrechte, für freie Meinungsäußerung, gegen den politischen Islam und gegen Rassismus, aber die Linkspartei hat mich von ihrer Veranstaltung ausgeladen, weil ich angeblich eine Rassistin bin. Die Menschen sehen, was tagtäglich um sie herum passiert und keiner darf anscheinend darüber reden. Doch genau mit dieser Haltung haben die Linken der AfD die Tür geöffnet.

Diese Politik muss sich radikal ändern. Der politische Islam ist keine legitime Bewegung gegen den Imperialismus, sondern er ist grundlegend gegen Menschenrechte und vor allem gegen Frauenrechte. Es ist doch ein Gewinn der Aufklärung in Europa, dass man jede Religion, jede Ideologie kritisieren kann. Die deutsche Regierung muss die offene, progressive Gesellschaft und ihre Prinzipien verteidigen. Sie darf nicht gleichgültig dieser Problematik gegenüberstehen und sie darf auch nicht mit Islamisten zusammenarbeiten.

Was kann man anders machen?

Deutschland geht es finanziell sehr gut, doch alle haben gesehen, dass diese positive ökonomische Bilanz nur den Reichen hilft, noch reicher zu werden. Die Unzufriedenheit nimmt zu und die Kritik am System wird immer lauter. Die Menschen wollen grundlegende Veränderungen und mehr soziale Gerechtigkeit sehen.

Über Themen wie Einwanderung, Integration und politischer Islam müssen öffentliche, sachliche Diskussionen geführt werden, damit die Menschen andere Meinungen hören und andere Lösungen gefunden werden können. Aber wo ist der politische Wille dafür? Das Problem ist ,das alle vier Jahre vor den Wahlen, die Parteien ihre Konzepte vorstellen, damit sie gewählt werden, und wenn die Wahl vorbei ist, dann machen sie genauso weiter wie vorher. Alles bleibt beim Alten und das Einzige, worauf Menschen hoffen ist, dass es nicht noch schlimmer wird.

Die Menschen haben gesehen, dass sie selber auf die Straße gehen müssen, um Druck zu machen. Wir müssen uns mit anderen progressiven Organisationen und Menschen zusammenschließen, um fundamentale Veränderungen in unsere Gesellschaft zu bringen.

Das Interview führte Petra Adick für den hpd.