Rezension

Einfache Wahrheiten finden nicht nur Populisten gut

Der Jurist und Philosoph Felix Ekardt fragt in seinem Buch "Kurzschluss. Wie einfache Wahrheiten die Demokratie untergraben" nach den Gründen für die gegenwärtige Akzeptanz von "einfachen Wahrheiten", die nicht nur Populisten gut finden. Denn er macht anschaulich verständlich, dass derartige Neigungen weit verbreitet sind und in der Tat angesichts einer immer komplexer werdenden Welt auch eine Gefahr für die Akzeptanz von Demokratie darstellen.

"Mit einfachen Wahrheiten wollen sie eine komplexe Welt erklären". Diese Antwort wird häufig auf die Frage gegeben, warum gegenwärtig populistische Agitatoren von Erdogan über Le Pen bis zu Trump hohe Stimmenpotentiale bei Wahlen für sich mobilisieren können.

Dies ist auch eine, aber nicht die Erklärung für das gemeinte Phänomen. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Welt gibt es offenbar tatsächlich eine verbreitete Sehnsucht nach den "einfachen Wahrheiten". Der Hinweis auf Schuldige, seien es die herrschende Elite, öffentliche Kritiker oder bestimmte Minderheiten, ersetzt die differenzierte Sicht. Gegen diese Deutung können aber auch wieder Einwände erhoben werden.

Dies fängt schon bei der Begriffswahl an: "Einfache Wahrheiten" meint ja auch "Wahrheiten". Und dann geht es noch weiter, denn man findet nicht nur bei den kritisierten Populisten die gemeinten "einfachen Wahrheiten". Darauf macht der Jurist und Philosoph Felix Ekhardt in seinem Buch "Kurzschluss. Wie einfache Wahrheiten die Demokratie untergraben" aufmerksam.

Der sowohl als Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik wie als Professor für öffentliches Recht und Rechtsphilosophie tätige Autor macht darin nämlich deutlich:

"In der Aufregung über 'verblödete Massen' und 'degenerierte Eliten' geht … unter, dass die Neigung zu einfachen Wahrheiten weder neu ist noch auf Populisten genannte Akteure beschränkt ist. Vielmehr tragen wir alle als Menschen latent die Neigung zu vereinfachten, verzerrten und bequemen Weltsichten in uns" (S. 9).

Dies begründet Ekhardt zunächst indem er danach fragt, ob es sich hier tatsächlich um ein neues Phänomen handelt. Deutlich wird dabei, dass Automatisierung, Digitalisierung und Globalisierung derartige Tendenzen bestärken. Sie bestanden indessen schon lange vorher. Offenbar gehören derartige Einstellungen zur natürlichen Grundausstattung von Menschen. Und: Man findet sie auch bei scheinbar aufgeklärten Kommentatoren, was die Ausführungen zu Einstellungen über die Chancengleichheit, Energiewende, Terroranschläge oder Wachstumsgrenzen zeigen.

Der Blick auf die Ergebnisse der Verhaltensforschung macht eben deutlich: Der Einfluss der Gefühle wird unter-, die Macht der Vernunft überschätzt.

Evolutionsbiologisch lässt sich eben die Neigung zu den "einfachen Wahrheiten" gut nachvollziehen. Dies ist auch relevant für die Akzeptanz von Demokratien, hatten diese bislang doch gesamtgeschichtlich nur eine kurze Existenzzeit von gut zweihundert Jahren. Sie bestehen...

"... in einem komplexen System, das die Selbstbestimmung des einen mit der Selbstbestimmung des anderen kompatibel werden lässt, wobei sich wechselseitig ausbalancierende Entscheidungsinstanzen, die denkende und abwägende Mitwirkung der Menschen an den Entscheidungen (…) und abgeschichtete Lösungen charakteristisch sind" (S. 96).

Dass dies häufig auch in der sich so aufgeklärt meinenden westlichen Welt vergessen wird, macht der Autor an verschiedenen Beispielen eindrucksvoll deutlich. Gleichwohl schließt er optimistisch: Es gibt auch die biologische Lernfähigkeit des Menschen, welche zum Aushalten von Komplexität führt.

Ekardt vermeidet es, aus der Einstellung des aufgeklärten Intellektuellen heraus, die Massen mit Populismusfixierung verachtend zu kommentieren. Er macht deutlich, dass die konkrete Neigung zu "einfachen Wahrheiten" sehr weit verbreitet ist. Und es wird auch die damit einhergehende Demokratiegefährdung betont, wobei dieser Punkt noch stärker hätte herausgearbeitet werden können.

Der Autor verdeutlicht ebenfalls, dass die hier so kritikfreudige intellektuelle Linke eine Mitschuld trägt. Mit Blick auf die konstruktivistischen und postmodernen Diskurse heißt es:

"Es ist im Lichte dessen fast schon faszinierend zu beobachten, wie die Populisten aktuell höchst virtuos die seit Jahrzehnten von Linken betriebene Demontage von Wahrheit und Objektivität zu Ende denken und daraus praktische Politik in maximal anti-linker Stoßrichtung machen …" (S. 107).

Dies ist eine von vielen Stellen, wo in intellektuellen Milieus bestimmte Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden. Die damit einhergehende Kritik macht den besonderen Reiz des Buchs aus.

Felix Ekardt, Kurzschluss. Wie einfache Wahrheiten die Demokratie untergraben, Berlin 2017 (Ch. Links-Verlag), 192 S. , ISBN: 978-3-86153-962-9, 18,00 Euro