Notizen aus Polen

Nur ein bisschen Faschismus?

Der polnische Fernsehsender TVN zeigte, wie Neonazis auf einer Waldlichtung in Schlesien den Geburtstag Adolf Hitlers feierten. Bekleidet mit SS- und Wehrmachtuniformem begrüßten sie sich mit "Sieg-Heil"-Rufen und sangen das "Horst-Wessel-Lied". Anschließend aßen sie eine Torte, die mit einem Hakenkreuz aus Schokowaffeln verziert war. 

Wie vorhersehbar brach in den Medien und im Internet, aber auch im Parlament eine heftige Diskussion aus. Der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos weilende Präsident Duda und Premierminister Morawiecki sowie auch Politiker aller Parteien verurteilten den Vorfall. Die polnischen Bürger freuten sich, dass sich endlich jemand den Faschisten entgegenstellte.

Das jedoch wäre zu schön, um wahr zu sein. Die Regierung erarbeitete schnell eine Strategie, um sich aus der üblen Lage herauszuwinden: Die ganze Verantwortung wird auf die Opposition geschoben. Der neu ins Amt eingeführte Innenminister hat im Parlament die Abgeordneten informiert, dass:

  • der Verein "Duma i Nowoczesność" (Stolz und Moderne), die Hitler huldigte, zur Zeit der PO (Bürgerliche Plattform) Regierung ins Gerichtsregister eingetragen wurde und zu dieser Zeit den Status der gemeinnützigen Organisation erhalten habe;
  • die PiS Regierung jetzt auf diesem Gebiet aufräumen muss, obwohl die Vorgänger es verdorben hätten;
  • die Neonazis eine bedeutungslose Nebensache sind und die wahre Gefahr die Post-Kommunisten und die Linksradikalen seien;
  • die gezeigte Party auf dem Privatgrundstück stattfand und der Zutritt zum Zelt nur mit Tickets möglich war, deshalb durfte die Polizei dort nicht einschreiten;
  • TVN sofort der Vorfall auf der Waldlichtung bei der Staatsanwaltschaft anzeigen und nicht so viele Monate warten solle.

Der Minister verschwieg dabei aber, dass:

  • unter den am Nationalfeiertag (11.11.2017) durch die Hauptstadt Warschau marschierenden Nationalisten und Neofaschisten auch die Mitglieder von "Duma i Nowoczesność" mit ihrem Vereinsbanner waren;
  • unter den Männern, die vor einigen Wochen im Zentrum von Katowice die Porträts der PO-EU-Parlamentarier auf den Galgen gehängt hatten, auch Mitglieder von "Duma i Nowoczesność" beteiligt waren. Die Polizei und Staatsanwaltschaft haben nicht reagiert;
  • die Polizei keine Hemmung hatte, um in die Räumlichkeiten einer NGO einzudringen, die für Frauen in Not eine telefonische Hotline führte;
  • der Richter, der einen Mann (Piotr Rybak), welcher eine "Judenpuppe" auf dem Breslauer Rathausplatz verbrannte, zu einer empfindlichen Haftstrafe verurteilen wollte, von ganz oben davon abgehalten wurde;
  • der Generalstaatsanwalt und Justizminister (in einer Person) und Vorsitzende einer mitregierenden Splitterpartei, Zbigniew Ziobro, diesen Piotr Rybak zu Gast beim Parteitag seiner Partei hatte;
  • der Staatsanwalt, der gegen die Rechtsradikalen und Nationalisten in Białystok ermittelte und die Anklage vorbereitete, von dem Fall abgezogen und degradiert wurde;
  • die Konditorei in Białystok, die die Bestellung der Neonazisten von "Blood & Honour" für die Torte mit Hakenkreuz buk, keine Zweifeln dabei hatte. Aber eine Druckerei in Łódź nicht die Flugblätter für die Oppositionisten drucken wollte und der Staatsanwalt gegen die Druckerei nicht ermitteln wollte;
  • Polizei und Staatsanwaltschaft in Częstochowa kein Grund fanden, gegen Nationalisten und Neofaschisten zu ermitteln, die eine kleine Gruppe Menschen mit dem Transparent "Hier sind die Grenzen der Anständigkeit" prügelten. Die Bürger protestierten gegen die zahlreichen an den Mauern der "Jasna Góra"-Kirche befestigten rassistischen und faschistischen Banner. Diese hatten "Fußballfans" mitgebracht, die nach Jasna Góra pilgerten. Weder die Polizei noch die Mönche des Jasna-Góra-Heiligtums haben die frommen Pilgern aufgehalten.

Die Liste der Delikte und Vergehens der "wahren Patrioten" ist gefährlich lang. Fakt ist, dass immer neue nationalistische, rassistische und neofaschistische Organisationen und Gruppierungen seit der politischen Wende 1989 entstehen. Fakt ist auch, dass die vorherigen Regierungen (erfolglos) versuchten entgegenzuwirken. Seit der Machtübernahme durch die rechtsnationalistische Partei PiS wurden diese Organisationen und Gruppierungen unter den schützenden Schirm der Machthaber genommen. Der von der ganzen Welt als die größte europäische Demonstration der Nationalisten und Neofaschisten verurteilte Marsch am 11.11.2017 in Warschau war ein Teil der Feierlichkeiten zum polnischen Nationalfeiertag.

Die Faschisten marschierten dabei unter dem Schutz von vielen tausenden Polizisten. Bürger, die versuchten, sich dem entgegenzustellen wurden von der Polizei überwältigt. Bis heute wird gegen sie ermittelt.

Erst jetzt, nach dem Skandal wegen der TVN Sendung und fast drei Monate nach dem Marsch beginnt die Polizei die Männer zu identifizieren, die die skandalösen, rassistischen, neofaschistischen und antisemitischen Banner an der Spitze des Marsches trugen.

Die Polen, die sich nach der TVN Sendung freuten, dass die Behörden sich endlich den Faschisten entgegenstellen, werden schwer enttäuscht. Eine Umfrage aus dem Jahre 2016 zeigte, dass 38% der Befragten in der Altersgruppe 18-24 Jahre das National-Radikale Lager (ONR) unterstützen. Die ONR ist eine eindeutig national-faschistische Organisation. Ihre gleichnamige Vorgängerin (vor dem 2. Weltkrieg) wurde schon nach 3 Monaten wegen Verbreitung faschistischer Ideologie verboten.

Das ONR wurde im Jahre 1993 reaktiviert. Im April 2016 feierte es ihr 82-jähriges Bestehen: In der Kathedrale in Białystok wurde eine heilige Messe zur Ehre des ONR zelebriert. Im April 2017 – am 83. Jahrestag – wurde eine neue ideologische Erklärung des ONR verabschiedet, die mit den Zielen der regierenden Partei PiS weitgehend übereinstimmt.

Wer glaubt da noch, dass die Regierenden gegen ihre Gesinnungsbrüder aus ONR und anderen rechtsextremen Organisationen irgendwas Ernsthaftes unternehmen?