Kuschs Coup: Ab sofort wieder legale Suizidhilfe in Deutschland?

Mit dem Strafrechtsparagrafen 217 zur Suizidhilfe untersagte der Gesetzgeber dem Verein SterbehilfeDeutschland e.V. entsprechende Aktivitäten auf deutschem Boden. Doch nun hat der Vereinsvorsitzende Roger Kusch dafür eine neue Möglichkeit gefunden. PR-Aktion, Schlupfloch oder verfassungsrechtliche Strategie? Die hpd-Autorin Gita Neumann befragte den Medizinrechtsexperten RA Wolfgang Putz.

Der frühere Elektrotechniker Helmut Feldmann (71) gehört zu den ersten, die das neue Angebot von SterbehilfeDeutschland (StHD) nutzen wollen. Er ist ein sozialpolitisch engagierter Mensch, bis vor einigen Jahren Vorsitzender der Dortmunder AWO gewesen, lebt gern, ist aber – erblich bedingt – unheilbar erkrankt an der fortschreitenden, schweren Lungenerkrankung COPD. Nach seinem Vater ist auch seine Schwester daran nach mehrjährigem Leiden an einem Erstickungstod "elendig krepiert", sagt Feldmann, anders könne man das nicht nennen. Er jedenfalls hatte einem solchen Tod vorbeugen wollen, war vor vielen Jahren schon dem Verein Sterbehilfe Deutschland des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch beigetreten, um im Endstadium über tödliche Mittel zum Suizid zu verfügen.

Doch der Gesetzgeber machte ihm und vielen anderen StHD-Mitgliedern einen Strich durch die Rechnung. Kusch musste seine Zusagen sofort nach Verkündigung des Gesetzes zum Verbot der organisierten Suizidhilfe im Dezember 2015 zurückziehen. Dass die Bundestagsabgeordneten – neben Einzelnen wie auf den Arzt Christian Arnold – es damals vor allem auf die Suizidhilfe des Vereins SterbehilfeDeutschland auf deutschem Boden abgesehen hatten, hält Feldmann für "unmenschlich". Der Gesetzgeber griff zu einem Kunstgriff, um nicht allzu rigoros zu erscheinen und wohl um Suizidhilfe nur im Ausland stattfinden zu lassen: In einem Absatz 2 des § 217 StGB werden Angehörige eines zum Suizid entschlossenen Patienten straffrei gestellt, wenn sie diesen etwa im Rahmen des "Sterbetourismus" in die Schweiz begleiten oder ihn im Auto dort hinfahren würden.

Das neue Modell von SterbehilfeDeutschland

Helmut Feldmann wollte nicht tatenlos hinnehmen, dass "ein paar Politiker in Berlin mir die Autonomie nehmen", sagt er. Feldmann zog 2016 wie auch andere Betroffene – darunter nicht nur Patienten, sondern auch Palliativärzte, die von der Münchner Kanzlei Wolfgang Putz vertreten werden – gegen den § 217 StGB vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses lässt sich jedoch alle Zeit der Welt, zwei Mitkläger von Feldmann, ebenso wie er StHD-Mitglieder, sind inzwischen schon verstorben.

Gut zwei Jahre lang hielt Roger Kusch (63) sich mit seinem Verein an das Verbot. Nun hat er bekannt gegeben, nicht länger darauf warten zu wollen, ob das Bundesverfassungsgericht – vielleicht – den § 217 StGB wegen Verfassungswidrigkeit noch "kippt". Aber Kusch will sich und andere selbstverständlich auch keiner Strafverfolgung aussetzen und hat über die seit einiger Zeit bestehende Züricher StHD-Dependance ein besonderes Verfahren ausgeklügelt. Kusch will sich den Absatz 2 des § 217 zunutze machen, in dem er seinen Sinn quasi ins Gegenteil verkehrt: Den straflos bleibenden Angehören soll nunmehr eine tragende Rolle bei der Suizidhilfe wieder auf deutschem Boden zukommen.

Die neue Lösung sieht nach Kuschs Angaben laut haz vor, "dass der Sterbewillige zusammen mit einem Angehörigen in die Schweizer Geschäftsstelle des Vereins fährt. Ein Arzt prüft dann, ob der Patient aus eigenen Stücken handelt und voll und ganz bei Sinnen ist. Anschließend fahren sie zurück nach Deutschland. Erteilt der Verein 'grünes Licht', braucht der Sterbewillige die tödlichen Medikamente nur noch gleichsam anzufordern – ein Angehöriger muss sie dann aus der Schweiz abholen. Wann er das tut, liegt bei ihm. In Ausnahmefällen [erklärt Kusch] könne auch die Befragung des Sterbewilligen in Deutschland stattfinden." Dass der Verein für diese Alternative zu einer Suizidhilfe nur auf Schweizer Boden so lange benötigt hat, ist laut Kusch mit einer intensiven juristischen Prüfung zu erklären: "Wir wollten sichergehen, dass sich unsere Helfer und die Angehörigen nicht strafbar machen."

Bewertung des Medizinrechtlers RA Putz

Handelt es sich bei Kuschs Vorstoß um einen Befreiungsschlag in der hierzulande immer konfuser und strittiger werdenden Rechtssituation, um eine PR-Aktion, um eine Hilfszusage für seine ca. 400 Mitglieder und/oder geht es gar um eine wohlkalkulierte Strategie im Verfahren des Bundesverfassungsgericht? Vor allem: Hat Kusch damit die Grenze des geltenden Rechts erreicht oder doch schon überschritten? Es bleiben zahlreiche Fragen zu klären, welche die Autorin mit dem Münchener Medizinrechtler Rechtsanwalt Wolfgang Putz erläutert hat.

Als kritisch erscheint in dem Modell der im Zentrum stehende Transport des tödlichen Medikaments über die Grenze nach Deutschland: Damit die Angehörigen dabei nicht gegen das deutsche Zulassungsverbot von Natrium-Pentobarbital (NaP) verstoßen, dürfen sie dieses in der Schweiz übliche Mittel nicht erhalten. Kusch sagt, der Verein weiche deshalb auf andere Mittel aus. Damit, erklärt der Münchener Medizinrechtler Putz, handele es sich um ein "wohl legales Schlupfloch" – aber nur, wenn alternativ zu NaP Mittel oder Medikamente verwendet werden, "die nicht im Anhang zum BtMG aufgeführt sind". Alles andere, so Putz, "geht m.E, jedenfalls nach betäubungsrechtlichen Aspekten nicht". Er nimmt im Fall der Zuwiderhandlung sogar eine besonders eifrige Strafverfolgung an, denn der Gesetzgeber lässt sich wohl ungern auf der Nase herumtanzen. Schließlich wollte er erreichen, dass sozusagen "das schmutzige Geschäft" der konkreten Suizidhilfe zum Tode nur ja nicht im Inland stattfindet.

Die komplizierte Rolle der Angehörigen

Laut Putz geht das Gesetz zum § 217 StGB davon aus, dass die geschäftsmäßige Suizidförderung in Zukunft wegen des deutschen Verbots ausschließlich im Ausland stattfinden könnte. "Der Absatz 2 musste geschaffen werden, weil sonst allein die Verbringung der Suizidenten durch Angehörige zum Schweizer Sterbehelfer bewirkt hätte, dass die Angehörigen anschließend in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden." Das würde – auch in juristischen Fachkreisen und erst recht in den Medien – oft missverstanden dahingehend, dass Angehörige nicht nur wegen Beihilfe zur Straftat (Suizidförderung), sondern per se immer straffrei ausgehen.

Im neuen Kusch-Modell gilt: Durch die Angehörigen wird zwar der Suizid gefördert gemäß der prinzipiellen Strafbarkeit laut § 217 StGB Absatz 1 - aber es dürfte bei ihnen an der Geschäftsmäßigkeit fehlen, welche die Voraussetzung für die Straftat darstellt. Kusch sieht das genaue Gegenteil der – man kann wohl sagen – perversen Konstruktion des Deutschen Strafgesetzes vor: Am Ende hilft der Angehörige doch direkt dem Suizidenten zu Hause in Deutschland. "Das darf er, solange er nicht selbst geschäftsmäßig handelt und – natürlich! – der Suizident freiverantwortlich und wohlerwogen handelt", so Putz. Soweit die Angehörigen andererseits, erläutert er weiter, "dem geschäftsmäßigen Sterbehelfer in der Schweiz zugleich Beihilfe zu dessen Auslandsstraftat nach § 217 Absatz 1 StGB leisten, schützt sie tatsächlich der Absatz 2 von § 217 StGB".

Beim Stichwort "Auslandsstraftat" ergibt sich eine weitere Problematik. Putz weist darauf hin, dass ein ausländischer Sterbehelfer sich "bei deutschen Suizidenten nach deutschem Recht nach § 217 StGB strafbar macht und zum Beispiel bei seiner Einreise festgenommen und strafrechtlich verfolgt werden kann".

Strategischer Coup zur Verfassungsbeschwerde?

Offen bleiben muss, wie nach Kuschs Angaben in Ausnahmefällen die nötige Befragung des Sterbewilligen in Deutschland stattfinden könnte. Laut Einschätzung von Putz wäre das legal kaum möglich: "Denn fragen muss ja ein kompetenter Arzt, der sich persönlich einen sicheren Eindruck zur Bewertung verschaffen muss – vgl. die hohen Anforderungen im Spittler-Urteil. Und mit der Befragung wird doch wohl der Suizid gefördert. Denn sie ist ja conditio sine qua non für die Durchführbarkeit des Suizids mittels der ansonsten ausländischen Aktivität."

Der Verein ist nunmehr der vierte in der Schweiz, der für Menschen mit Wohnort in Deutschland für Suizid-Anliegen zur Verfügung steht (siehe Kasten unten). Grundsätzlich ist damit jedenfalls ein Schlupfloch gefunden und genutzt worden, wenngleich im Einzelnen einiges fragwürdig und erklärungsbedürftig bei der Durchführbarkeit des neuen Modells von SterbehilfeDeutschland scheint. Doch vielleicht verfolgt Roger Kusch mit seinem Vorstoß auch noch ein anderes Ziel und will Druck bei den Verfassungsklagen gegen den § 217 StGB erzeugen? Der normale Mensch kann gar nicht so sehr um die Ecke denken, aber Sinn würde es durchaus machen.

Auch Putz meint: Wenn das Bundesverfassungsgericht mit seinen Strafrechtsexperten Kuschs Idee für grundsätzlich gesetzeskonform halten würde, kann der § 217 StGB wohl kaum mehr "nachgebessert" werden. Müsste er dann vielmehr "gekippt" werden – wenn das Hauptziel des Gesetzes, in vermeintlich hehrer Absicht die organisierte Suizidhilfe in Deutschland zu stoppen, sich als nicht erreichbar oder zumindest lückenhaft erwiesen hätte? Darauf muss man erst einmal kommen – zuzutrauen wäre es Kusch.

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