Eine verfassungsrechtliche Begründung von Horst Dreier

Staat ohne Gott

Der bekannte Jurist Horst Dreier legt in "Staat ohne Gott – Religion in der säkularen Moderne" ein aufklärerisches Plädoyer für den säkularen Staat aus verfassungsrechtlicher Begründung vor. Die Schrift beeindruckt durch ihre große Fachkenntnis, klare Struktur und inhaltliche Stoßrichtung, wobei auf Polemik zugunsten von Sachargumenten verzichtet wird.

Die Religionsfreiheit als universales Menschenrecht könne "nur verwirklicht und gesichert werden …, wenn die staatliche Ordnung einen säkularen, demokratischen Charakter trägt und eine Pluralität von Meinungen und Gruppen zulässt." Diese Aussage stammt von Bischof Wolfgang Huber, was verwundern mag, es aber eigentlich nicht sollte. Denn zwischen dem Recht auf Religionsfreiheit und der Säkularität des Staates besteht kein Widerspruch. Ersteres wird durch Letzteres erst ermöglicht, zumindest wenn die Religionsfreiheit als ein gleichrangiges Recht für Alle verstanden wird. Dies macht auch Horst Dreier in seinem Buch "Staat ohne Gott – Religion in der säkularen Moderne" deutlich. Der Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Würzburg geht darin auf das angesprochene Verhältnis ein. Sein Buch versteht er als Analyse und nicht als Streitschrift. Er will darin nur darauf aufmerksam machen, dass die säkulare Grundrechtsdemokratie des Grundgesetzes mit einer sakralen Ordnung unvereinbar ist.

Bereits einleitend meint Dreier, dass "Staat ohne Gott" nicht "Gesellschaft ohne Gott" oder "Welt ohne Gott" meine. Er argumentiert demnach nicht für einen atheistischen, sondern einen säkularen Staat: "In einem solchen Staat ohne Gott leben Menschen gemäß ihren durchaus unterschiedlichen religiösen oder sonstigen Überzeugungen, während der Staat sich zur absoluten Wahrheitsfrage distanziert verhält und sie weder beantworten will noch kann, weil ihm dafür schlicht die Kompetenz fehlt" (S. 9). Dieser Kerngedanke zieht sich durch die sechs Kapitel des Buches, die auch jeweils für sich gelesen und verstanden werden können. Zunächst geht es darin um die unterschiedlichen Facetten der Säkularisierung, etwa bezogen auf die sozialwissenschaftliche und verfassungsrechtliche Dimension. Dem folgt eine kurze Verfassungsgeschichte der Religionsfreiheit in Deutschland, die von der Konfessionalität über die konfessionelle Pluralität bis zur Neutralität des politischen Gemeinwesens reichte. Und dann wird die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates erörtert.

In der Gesamtschau postuliert Dreier, "dass die Geltung des Gebotes religiös-weltanschaulicher Neutralität allen prinzipiellen Einwänden standhält und auf festem verfassungsrechtlichen Boden steht" (S. 125). Dies wird dann noch einmal in den folgenden drei Kapiteln verdeutlicht, wo es um eine argumentative Auseinandersetzung mit gegenteiligen Positionen geht. Eine erste diesbezügliche Auffassung behauptet das Bestehen von sakralen Elementen im säkularen Staat. Demgegenüber wird deutlich gemacht: "Der freiheitliche Verfassungsstaat, der mit den Grundrechten und nicht zuletzt mit der Religionsfreiheit den gesellschaftlichen Pluralismus garantiert und sich selbst religiös-weltanschaulich neutral zu verhalten hat, beruht gerade auf der Trennung von Religion und Politik" (S. 167). Dieser Auffassung widerspricht weder die Berufung auf Gott in der Präambel des Grundgesetzes noch das Böckenförde-Diktum über die angeblich von ihm nicht begründbaren Voraussetzungen des säkularen Staates, worum es danach geht.

Dreier, der als einer der renommiertesten Juristen des Landes gelten kann, erweist sich auch hier als ausgezeichneter Kenner der Materie. Er liefert nicht nur einen Einblick in die Fachdebatte zum Thema, er strukturiert den dargestellten Stoff nicht nur systematisch, er differenziert auch die unterschiedlichen Ebenen, und er macht die Notwendigkeit einer Säkularisierung des Staates überzeugend klar. Dies alles geschieht in argumentativer Art und Weise, setzt sich der Autor doch meist präventiv mit Gegenargumenten auseinander. Dabei verzichtet er auf Einseitigkeiten und Polemiken. So beeindruckt Dreier mehr als viele Streitschriften zum Thema. Die kühle Abwägung entspricht eben doch mehr der Aufklärung denn die rhetorische Überspitzung. Kritikwürdig ist allenfalls das, was noch fehlt: Wie müssen die besonderen Privilegien der Kirchen aufgrund des Säkularitätsgebotes eingeschätzt werden? Was bedeutet all dies für eine multireligiöse Gesellschaft? Dass Antworten zu diesen Fragen fehlen, mindert nicht die argumentative Überzeugungskraft dieses Werkes.

Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018 (C. H. Beck-Verlag), 256 S., 26,95 Euro