Rezension

Politik ohne Gott

BERLIN. (hpd) Das schmale Bändchen lag schon geraume Zeit in der Redaktion, dabei - so stellte sich heraus - ist es überaus lesenswert. Auch wenn es dem fachlich Interessierten nicht viel Neues bieten mag, versammelt es deutschsprachige Autoren und Fachleute, die sich teilweise schon seit Jahrzehnten mit dem Thema beschäftigen.

In der Ankündigung des Buches heißt es: "Die Essays in diesem Band beleuchten den heutigen Zustand der Säkularisierung und beschreiben die Interessenkonflikte, denen Demokratien ausgesetzt sind. Keineswegs antireligiös ausgerichtet, plädiert dieser Band für einen säkularen religionspluralistischen Staat." Das ist insofern richtig, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Kritik an der "hinkenden Trennung" zwischen Staat und Kirche nicht (nur) von säkularer Seite formuliert wird.

Der Band versammelt Texte dieser Autorinnen und Autoren: Stefana Sabin und Helmut Ortner (Herausgeber), Detlev Claussen, Evelyn Finger, Rupert von Plottnitz, Dirk Kurbjuweit, Roland Funke, Torsten Bultmann, Gerd Lüdemann, Ingrid Matthäus-Maier, Carsten Frerk, Ralph Ghadban, Wolfgang Klotz, Matthias Rüb, Mosche Zuckermann, Otto Kallscheuer und Johann-Albrecht Haupt.

In der Zusammenstellung haben die beiden Herausgeber eine glückliche Hand bewiesen; ergänzen sich die Texte doch selbst dann, wenn die Voraussetzungen, von denen die Autorinnen und Autoren an das Thema herangehen, nicht unbedingt identisch sind. Etwas aus dem Kontext ragen die Essays von Ralph Ghadban, der über islamische Lebensformen und den säkularen Staat schreibt und Moshe Zuckermann’s Artikel über die Stellung der jüdischen Religion in Israel schreibt. Alle anderen Autoren arbeiten sich insbesondere an der deutschen Situation ab.

Weshalb dieses Buch in dieser Zusammenstellung veröffentlicht wurde, erklären die Herausgeber: "Demokratien sehen die Trennung von Staat und Kirche vor und garantieren zugleich die Freiheit der Religionsausübung…" (S. 9) Doch um diese Trennung von Staat und Kirche bricht immer wieder Streit aus; sei es, wenn es um das Tragen des Kopftuches oder um das Kreuz in Schulen und Gerichtssälen geht. "Es geht nicht um die Austreibung Gottes, nur darum, die Errungenschaften der Aufklärung zu verteidigen, damit die Privatsache Gott nicht in die öffentliche Politik zurückkehrt." (S. 12)

Detlev Claussen beschreibt die "missglückte Säkularisierung" an deutschen Schulen - wo Lehrerinnen und Lehrer mit dem "Eindringen" des Islam in den Schulalltag überfordert sind. Dieses Erstarken von Religionen im öffentlichen Raum erklärt er unter anderem auch mit einer falsch verstandenen Toleranz, die die Augen verschloss vor den Gefahren, die jede nicht eingedämmte Religion in sich trägt. "Die differente Religion wurde von neuen Mittelschichten als Vehikel einer Machtergreifung instrumentalisiert. Das Geld für die vergoldete Moschee in Sarajevo kam aus Saudi-Arabien ebenso wie die massive Unterstützung für den antikommunistischen Arbeiterführer Walesa aus Rom kam." (S. 23)

Einen etwas merkwürdigen Beitrag liefert die ZEIT-Redakteurin Evelyn Finger ab. Sie hält die offensichtliche Christianisierung der deutschen Regierung für etwas Positives. Der Bundespräsident ist ein ehemaliger Pastor, die Kanzlerin Tochter eines Pfarrers und auch andere Spitzenpolitiker sind in der Hierarchie der Kirchen weit oben angesiedelt. "Christliche Politiker genießen in unserer zunehmend entkirchlichten Gesellschaft hohes Ansehen. Und das ist kein Wunder, denn sie verkörpern einen aufgeklärten Glauben, der religiöse Gewissheit und staatsbürgerliche Freiheit versöhnt." (S. 26) Gehört es zu dieser "Versöhnung", dass der Papst vor dem Bundestag sprechen durfte; dass das Beschneidungs-Gesetz auf Drängen religiöser Lobbyisten im Schnelldurchlauf durch den Bundestag gepeitscht wurde? Oder - aktuell - die Debatte um den ärztlich begleiteten Suizid vor allem mit "christlichen" Wertvorstellungen geführt wird?

Rupert von Plottnitz fordert in seinem Beitrag denn auch, dass zur Beibehaltung der garantierten Grundrechte kein "förderndes Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften" gefragt sei, "sondern die Stärkung des Gebotes der Neutralität des demokratischen Rechtsstaates im Interesse … seiner säkularen Errungenschaften." (S. 38) Insbesondere sei die Kunst- und Meinungsfreiheit vom Staat zu schützen - selbst wenn religiöse Verbände sich beleidigt zeigen von - zum Beispiel - Karrikaturen.

Auch Dirk Kurbjuweit schreibt darüber, "weshalb Religionen Spott ertragen müssen". Angesichts des Mordanschlages auf den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard oder den (gelungenen) auf die Journalisten von Charlie Hebdo, der Fatwa gegen Salman Rushdie muss klar sein, dass die Meinungsfreiheit höher zu bewerten ist als die Befindlichkeiten derer, die häufig genug nach einer Verschärfung des "Blasphemie-Paragrafen" rufen.

Roland Funke deckt (einmal mehr) die unfassbare Verflechtung der öffentlich-rechtlichen Medien mit den beiden christlichen Kirchen auf. Auch wenn Funke schreibt, dass "die Zeiten lautstarker kirchlicher Einflussnahmen und Konflikte mit den Rundfunksendern" vorbei sind, besteht der Einfluss der Kirchen jedoch bis heute, nur "stiller". Er besteht "im Wesentlichen aus Kooperation statt Konfrontation." Diese Kooperation allerdings ist mehr als fraglich: Schließlich produzieren die Öffentlich-Rechtlichen für die Kirchen, ohne diese an den Kosten zu beteiligen. Ergo: wir alle finanzieren kirchliche Sendungen durch unsere GEZ-Beiträge.

Nur Deutschland leistet sich den Luxus, einen staatlichen Religionsunterricht in seinen Schulen nicht nur anzubieten, sondern (mit drei Ausnahmen) das sogar als Pflichtfach. Torsten Bultmann erklärt in seinem Beitrag, wie es dazu kam und welche historischen Ursachen dieser in den westlichen Demokratien einmalige Weg hat. Er fasst zusammen: "Es spricht einiges dafür, das Berliner Schulmodell bundesweit zu verallgemeinern, Religionsunterricht zumindest als Pflichtfach abzuschaffen - und die Trennung von Staat und Kirche in einem so sensiblen Bereich wie dem Erziehungswesen endlich konsequent zu vollziehen." (S. 60)

An eine Podiumsdiskusion vor einigen Tagen erinnert der Artikel von Gerd Lüdemann "Theologie zwischen freier Wissenschaft und religiöser Vorgabe". Für ihn ist klar, dass Theologie keine Wissenschaft sein kann; mangelt es ihr doch an der grundlegenden Voraussetzung: der Freiheit der Forschung.

Ingrid Matthäus-Maier weist auf den Verfassungsbruch hin, der darin besteht, dass rund 1,3 Millionen Beschäftigten in Deutschland das Streikrecht verwehrt ist. Ihr Artikel ist ein flammendes Plädoyer gegen den so. "Dritten Weg". Allerdings sieht sie vorsichtig optimistisch in die Zukunft: "Nie in der Geschichte haben Kirchen Privilegien freiwillig abgegeben! Und deshalb wird die Auseinandersetzung weitergehen müssen, zumal in beiden Kirchen viele aufgeschlossenen Christen den jetzigen 'Dritten Weg' für überholt halten und sich den Forderungen von GerDia anschließen."

"Den Seinen gibt’s der Herr vom Staat - Über Kirchensteuern, Dotationen und 'konsensuale Gespräche'" schreibt der Fachmann für die Kirchenfinanzen in Deutschland, Carsten Frerk. Der Artikel fasst quasi das "Violettbuch" zusammen. Interessant ist, was Frerk über den "unmissverständlichen konsequenten Rechtsbruch" der Kirchenstaatsverträge in den östlichen Bundesländern schreibt: Hier haben die Kirchen sich mit Brachialgewalt Rechte zugesichert, die weit über ihren Einfluss und Wichtigkeit in diesen Landesteilen hinausgehen. Ohne Scheu und Gnade nahm man zur "Berechnung" der Zahlungen des Staates an die Kirchen die Massstäbe, die im "Dritten Reich" galten.

Mit den Texten von Ralph Ghadban und Wolfgang Klotz verlässt der Band die rein deutsche Diskussion. Ghadban legt dar, dass der Islam eine Trennung von Staat und Kirche nicht kennt. Das - so der Autor - sei auch im Streit um den Münsteraner Islam-Professor Khorchide deutlich geworden. Er prangert den Umgang der deutschen Regierung(en) mit den Islamverbänden an (vgl. auch den zweiteiligen Artikel im hpd dazu: Teil 1, Teil 2); so habe Deutschland sich den türkischen Staat in Form der DITIB (die formal dem türkischen Premierminister unterstellt ist) als Verhandlungspartner erkoren. Klotz hingegen zeigt die Situation der Kirchen in Mittel- und Südosteuropa nach dem Ende des Kalten Krieges auf. Die Religionen (vor allem die orthodoxen Kirchen) füllten sehr schnell das entstandene Machtvakuum aus.

Matthias Rüb fasst die aktuelle Entwicklung in den USA zusammen: "Mit Obama kommt der Glaube an die göttliche Auserwähltheit und an die globale Freiheitsmission Amerikas an ein vorläufiges Ende" resümiert er. "Ob diese Säkularisierung der Außen- und Sicherheitspolitik Amerikas ein überfälliger Normalisierungsprozess oder ein Zeichen des Niedergangs der Supermacht sind, bleibt umstritten. Ebenso wie die Frage, ob diese amerikanische Gottesaustreibung die Welt sicherer macht oder ein gefährliches Machtvakuum hinterlässt." (S. 125)

Über die Jüdische Religion in Israel berichtet Moshe Zuckermann. Er zeigt, dass Israel, das sich als "Staat der Juden" versteht, an genau dieser Definition zu scheitern droht. Denn wenn per Definition festgesetzt ist, dass Jude sei, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde, dann lässt sich die Unterdrückung der arabischen Juden nicht begründen. So wenig, wie die aus der zerfallenen Sowjetunion eingewanderten Juden der Definition entsprechen. Eine Lösung sieht Zuckermann nicht - was angesichts des Erstarkens der Orthodoxie im Land auch kaum verwundert.

Das dem Buch den Namen gebende Essay von Otto Kallscheuer ist untertitelt mit "Eine Fortschrittsutopie von gestern" und versucht, ein historischen Verständnis zu wecken für die Konflikte zwischen modernem Staat und Religionen. Für ihn ist klar, dass es kein "Ende der Religionen" geben wird. Erleben werden wir eine noch stärkere Ausdifferenzierung der Glaubensrichtungen und -inhalte. Was - so Kallscheuer - auch mit der Identitätsstiftung von Religionen zu tun hat in einer Welt, die keine Grenzen mehr kennt.

Im Anhang des lesenswerten Buches stellt Johann-Albrecht Haupt eine Liste der Kirchenprivilegien auf; es gibt davon erschreckend viele: die Liste ist 15 Seiten lang.


Politik ohne Gott, Herausgegeben von Helmut Ortner und Stefana Sabin, Dietrich zu Klampen, 2014, ISBN: 3866744056, 24,00 Euro