Religionsgemeinschaften haben den Drang, in der Öffentlichkeit Präsenz zu markieren. Schließlich gehört die Mission zu ihrem Kerngeschäft. Wer glaubt, im Besitz der einzig relevanten oder wahren Heilslehre zu sein, will die Menschheit damit beglücken.
Kirchen sind das mächtige Symbol dieses Bestrebens. Sie stehen in der Regel an einem erhöhten Standort oder im Zentrum des Dorfes. Meist überragen sie die übrigen Gebäude und sind mit ihren hohen Türmen Ausdruck besonderer Mächtigkeit.
Da Kirchen zum Ortsbild gehören und Teil unserer Kultur sind, regt sich – abgesehen vom nervenden Glockengeläut – kaum Widerstand in der Bevölkerung. Anders verhält es sich bei einem weiteren Symbol des christlichen Glaubens, dem Kreuz oder Kruzifix mit Jesus.
Diese religiösen Reliquien führen mit schöner Regelmässigkeit zu öffentlichen Debatten. Aktuell läuft in Bayern eine hitzige Debatte. Auslöser ist ein kürzlicher Beschluss der bayerischen Landesregierung. Sie verlangt, dass in allen Behördenämtern Kruzifixe aufgehängt werden müssen.
Kruzifix noch mal.
Man muss wohl davon ausgehen, dass die Kruzifixe nicht primär dazu dienen, die Lederhosen-Christen an ihren Glauben zu erinnern, vielmehr sollen sie ein Signal gegen den Islam sein, indirekt auch gegen die wachsende Gemeinde der Muslime.
Auslöser dürfte der Slogan "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" gewesen sein, mit dem bayerische Politiker die Debatte um die Glaubensgemeinschaft befeuerten. An vorderster Front kämpften CSU-Chef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder, die nicht müde wurden, das Christentum für Bayern als gottgegeben zu betrachten.
Bekenntnis zu den Grundwerten
Die Staatskanzlei schwurbelte nach der Kabinettssitzung: "Im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes im Freistaat ist als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland anzubringen."
Kritik am Beschluss kam nicht nur von den Linken, selbst die bürgerliche FDP war, gelinde gesagt, überrascht. Parteichef Christian Lindner schrieb, die CSU instrumentalisiere Religionen permanent für ihre Parteipolitik, was ihn "geradezu an Erdogan" erinnere.
Vor ein paar Jahren tobte auch in der Schweiz ein Streit um das Kuzifix. Der Walliser Lehrer und Freidenker Valentin Abgottspon, der das Kreuz aus seinem Schulzimmer in Stalden verbannte, wurde für sein Verhalten abgestraft. Er musste sein Schulzimmer rasch räumen. Die Schulbehörden schoben zwar andere Kündigungsgründe an, die Taktik war aber leicht durchschaubar.
Jedenfalls rekurrierte der Lehrer gegen seine Entlassung und bekam aus formaljuristischen Gründen vom Kantonsgericht Recht. Doch das Kreuz blieb im Schulzimmer hängen.
Auch in luzernischen Triengen forderte ein Freidenker die Verbannung von Kruzifixen und Kreuzen aus den Schulzimmern. Die Behörden ließen sich nicht erweichen, ersetzten aber die Kruzifixe durch Kreuze.
Ja, diese Kruzifixe. Da hängt ein sterbender Mann an einem Kreuz, durchstossen von einer Lanze. Wäre es nicht der vermutete Sohn Gottes, würden wohl viele Eltern auf die Barrikaden gehen mit dem Argument: Gewaltszenen im Schulzimmer gehen gar nicht.
Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors von watson.ch.
15 Kommentare
Kommentare
annen anne Nerede am Permanenter Link
Ja,die Schweizer, die kommen auch ohne ß aus.
Bernhard Zaugg am Permanenter Link
Ich bin Schweizer und lebe in Deutschland.
Übrigens, wollte man alle vorkommenden Laute in der deutschen Sprache mit einem eigenen Buchstaben versehen, bräuchte es noch rund zwanzig weitere. Beispiele? Warum spricht man biegen mit "g", zwanzig aber mit "ch" oder "sch" oder etwas dazwischen - eben, man gebe mir einen Buchstaben dafür! Oder ein Fremder, des Deutschen nicht so mächtig, wie soll er die Aussprache zwischen "Häschen" (Diminutiv von Hase) und "Taschen" unterscheiden. Im einen Fall wird "s" und "ch" getrennt gesprochen, im andern als "sch" zusammen. Und warum haben diese Laute mehrere Buchstaben? Du Russen schaffen es jedenfalls spielend, für ihre vielen unterschiedlichen Zischlaute eigene Buchstaben zu verwenden.
Ich bitte daher um Vorsicht bei der Beurteilung fremder Schreibweisen. In jeder Sprache hat die Schreibung eine Geschichte und folgt daher nicht logischen Denkmustern.
annen anne Nerede am Permanenter Link
Na gut,Herr Zaugg. Hauptsache, dass es in der Schweiz auch Atheisten gibt. Grüezi.
Bruno Kaufmann am Permanenter Link
Tja, Sprache/Schriftkultur war noch nie logisch.
Liebe Deutsche – ich weiss, ihr seid das Land der Dichter und Denker und habt da bestimmt die Hoheit über die deutsche Sprache –, wäre es in Betracht auf die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung nicht möglich, auf eines der vielen Sonderzeichen zu verzichten? Oder vielleicht auch einfach der Ästhetik zu liebe?
Herzliche Grüsse aus der Schweiz
Bernd Kammermeier am Permanenter Link
Nur ganz kurz: Das "ß" ist eine Ligatur aus "s" und "z" und wird deshalb wie ein scharfes "s" ausgesprochen. Die Schreibweise "ss" wird jedoch schnell ausgesprochen.
Bruno Kaufmann am Permanenter Link
Lieber Herr Kammermeier, für die Aussprache ist die Ligatur zweifelsohne hilfreich.
Kay Krause am Permanenter Link
Ist es nicht traurig, dass wir uns mit diesem blöden Söderismus zu beschäftigen haben, anstatt uns um wahrhaft wichtige und weltbewegende Dinge kümmern zu können?
Hans Trutnau am Permanenter Link
"Schliesslich gehört die Mission zu ihrem Kerngeschäft" - nein, nicht immer; mal schlau machen, bitte!
Achim am Permanenter Link
"Kritik am Beschluss kam nicht nur von den Linken, selbst die bürgerliche FDP war, gelinde gesagt, überrascht."
Naja, der Vollständigkeit halber: Kritik am Beschluss kam auch aus Reihen der Kirche.
Mark am Permanenter Link
Wäre Jesus gehängt worden, müssten überall Minigalgen stehen.
awmrkl am Permanenter Link
Wäre Jesus (angeblich) mit einer PC-Tastatur erschlagen worden, hätten wir diese Diskussion nicht.
Denn PC-Tastatur gibt es wohl (fast) überall :-)
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Kreuz hin, Kruzifix her --- es geht doch letztlich darum, dass das Kreuzchen, das große X auf dem Wahlzettel an der richtigen Stelle gemacht werden soll.
Klaus Bernd am Permanenter Link
Schon merkwürdig, wie sich die Kirchenfürsten von Söders Aktion abzusetzen versuchen.
Und für was steht das Kreuz in den virtuellen Welten der christlichen Religionsgemeinschaften ? Es steht für den folgenden „Heilsplan“:
- ER, der „Gott, der die Liebe ist“, beleidigt weil man einem willkürlichen Befehl nicht gehorcht hat, beginnt nach mehreren tausend Jahren Menschheitsgeschichte sein Image der beleidigten Leberwurst zu korrigieren.
- ER schließt einen Bund mit dem kleinen Völkchen der Israeliten in ägyptischer Gefangenschaft und schickt es für 40 Jahre in die Wüste; befiehlt ihm, nur noch ihn zu verehren, alle möglichen anderen Völker sowie Abweichler aus den eigenen Reihen abzuschlachten und sich in einem Land niederzulassen, das bisher den Kanaanitern gehörte.
- ER striezt sie mit einem Wust von absurden Vorschriften und straft sie bei jeder kleinen Verfehlung ggf. mit Hilfe anderer Völker, mit denen er keinen Bund geschlossen hat. Zur Unterscheidung von diesen und damit die israelitischen Krieger die Zahl der von ihnen erschlagenen Feinde nachweisen können, ordnet er an, dass schon den kleinen israelitischen Knaben die Vorhaut abgeschnitten wird.
- ER kann sich freuen, die Israeliten halten immer noch zu ihm.
Bis hierhin alles nachzulesen im Alten Testament.
- ER lässt seinen Sohn, der er eigentlich auch wieder selber ist, mit Hilfe des Heiligen Geistes, der er auch wieder irgendwie selber ist, aus diesem Volk hervorgehen.
- ER schlägt die wichtigsten Vertreter seines Volkes mit Blindheit, damit sie seinen Sohn, trotz spektakulärster Wunder, nicht als den versprochenen Messias erkennen.
- ER macht „Sein Volk“ zusammen mit den Römern zum Schurkenvolk, das Christus am Kreuz ermordet.
Soweit der Heilsplan, der angeblich die Menschheit „erlöst“ haben soll und das Kreuz zum Symbol des Christentums gemacht hat.
Von was die Menscheit erlöst wurde, weiß keiner so recht, denn die „Erbsünde“ bleibt bestehen und befördert in Zukunft selbst gerade befruchtete weibliche Eizellen in eine Spezialhölle, weil sie nicht getauft sind. Mord und Totschlag herrschen auf der Welt nach wie vor, selbst innerhalb der von ihm gegründeten Kirche, dem „neuen Bund“.
- ER lässt in der Folge zu, dass unter dem Zeichen dieses Kreuzes barbarische Kriege geführt werden.
- ER lässt zu, dass Kirchenlehrer und Reformatoren der von ihm gegründeten Kirche, „Sein Volk“, die Juden, als „Christusmörder“ beschimpfen, verfolgen und ermorden, obwohl der Tod am Kreuz zwingend zu seinem „Heilsplan“ gehörte.
- ER lässt zu, dass die höhnische Inschrift I.N.R.I. (Jesus von Nazareth König der Juden) über lange Zeit unverzichtbarer Bestandteil dieses Kreuzes wird; damit der Vorwurf, der dem jüdischen Volk gemacht wird, auch ja nicht vergessen wird.
Man könnte noch etliche Aspekte anführen aber um das abzukürzen nur noch eine Scheußlichkeit aus der jüngsten Vergangenheit: Die Argumentation, dass todkranke schmerzgeplagte Menschen am Leiden Christi am Kreuze teilhaben dürften – kolportiert auch von der Heiligen Mutter Teresa; und deshalb verweigert man ihnen die wirkliche Erlösung, die sie selbst wollen, um die sie zum Teil verzweifelt bitten und betteln und auch beten.
Und denen, die so gern vom unendlichen Leiden Christi am Kreuze geradezu schwärmen: dieses Mitleiden ist nichts als eine sehr bekömmliche Form des Masochismus. Und das Leiden Christi war nach wenigen Tagen – Dornenkrone und Geißelung mitgerechnet – vorbei; am Kreuz selbst hing er nur ein paar Stunden, was für diese Hinrichtungsart ungewöhnlich kurz war. Das Leiden der Menschen die durch staatliche Gesetze am selbst erflehten Sterben gehindert werden, dauert Wochen, Monate und Jahre.
Das ist es, wofür das Kreuz steht.
Im übrigen, glaubt jemand im Ernst, dass Söder seine Aktion nicht mit den Kirchen abgestimmt hat ? Zumindest Bedford-Strohm hatte seine Predigt zu diesem Anlass schon fertig in der Schublade. Sie lassen ihn jetzt mit ihren halbherzigen Verurteilungen hängen. So wies die stellvertretende CSU-Vorsitzende Dorothee Bär laut RTL ganz richtig darauf hin: "Die Aussagen von Kardinal Marx verwundern sehr. Vor drei Jahren plädierte er noch öffentlich für den Verbleib der Kreuze in Schulen und Gerichtssälen", sagte die Staatsministerin für Digitalisierung im Bundeskanzleramt dem "Handelsblatt".
Dass die DBK konsequenterweise, ihrer neuerlich vertretenen Interpretation der Bedeutung des Kreuzes folgend, vehement dafür eintreten müssten, die Kreuze auch in Schulzimmern und Gerichtssälen abzuhängen, ist natürlich außerhalb kirchenfürstlicher Vernunft. Eine Erklärung für ihre Missbilligung ist aber auch nicht schwer zu finden. Die Kirchenfürsten setzen auf Heimlichkeit; ihre Strategie war eher, Schritt für Schritt die Kreuze ganz ohne öffentliches Aufsehen aufhängen zu lassen. Dabei muss jedem ein Kreuz in einem Gerichtssaal geradezu als makabere Drohung vorkommen und in einem Schulraum als jugendgefährdend. Denn die ursprüngliche Bedeutung als brutale Hinrichtungsmethode kann auch von schönfärberischen Neuinterpretationen nicht überdeckt werden. Dazu ist seine Funktion als Folter- und Mordinstrument zu wesentlich für den „Heilsplan“ Gottes und damit fundamental für das christliche Verständnis des Kreuzes.
INGE Maria Hemken am Permanenter Link
Für wahr, die Hinrichtungsmethoden der Römer waren an Grausamkeit nicht zu überbieten. Das Sterben an einem Marterpfahl war zu dem die schlimmste Demütigung eines Menschen.
Wolfgang am Permanenter Link
Und als der Pfarrer auf dem vereisten Weg mit der Urne am Kreuz vorbei zigmal hingefallen ist, rief:
"Pietät hin oder her, jetzt wird gestreut!"