Notizen aus Polen

Rettet die polnischen Gerichte

Am 4. Juni 1989 fanden die ersten teilweise freien Wahlen in Polen statt. Die Opposition hat 99 Sitze im 100-köpfigen Senat und 30 Prozent der ihr laut der Beschlüsse der Verhandlungen am "Runden Tisch" zugeteilten Sitze in Sejm gewonnen. Das Amt des Ministerpräsidenten hat einer der Hauptberater der "Solidarność", Tadeusz Mazowiecki, übernommen. Es entstand die erste nichtkommunistische Regierung im Ostblock.

Dieser bedeutsame Jahrestag wurde von den Regierenden völlig ignoriert. Lech Wałęsa, Tadeusz Mazowiecki, Jacek Kuroń und die anderen sind nicht die "richtigen" Helden der politischen Wende 1989. Die richtigen sind nur die Zwillingsbrüder Kaczyńskis. Lech Kaczyński behauptet, dass erst jetzt, wo seine Partei PiS die Macht übernommen hat, Polen "von den Knien" aufstehe.

Nicht zufällig wurde ausgerechnet dieses Datum für die neueste Aktion der außerparlamentarischen Opposition gewählt. Über 120 NGOs und bürgerliche Initiativen haben einen Brief an die Europäische Kommission unterzeichnet. Einen eigenen Brief an die Kommission in der gleichen Angelegenheit haben 85 polnische Wissenschaftler und Kulturschaffende verfasst. Am Vormittag wurden beide Texte bei der Direktorin der Warschauer Vertretung der Europäischen Kommission eingereicht.

Übergabe der Briefe. Foto: © Marek Kossakowski

Übergabe der Briefe. Foto: © Marek Kossakowski

Die Opposition ist besorgt wegen des zögernden und zweideutigen Verhaltens der Europäischen Kommission unter Jean-Claude Juncker. Sie vermutet, dass die Kommission unter seiner Führung einen Vorwand sucht, um die Prüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen aufzugeben. Deshalb wurde die Gelegenheit genutzt, als in Warschau die European People’s Party (EPP) tagte, der Junker angehört. Die Mitglieder der EPP wurden dabei aufgefordert, die Anliegen des Briefes zu unterstützen.

Streikposten vor der Eingang zu der Tagung der EPP.  Foto: © Obywatele RP
Streikposten vor der Eingang zu der Tagung der EPP.  Foto: © Obywatele RP  

In vielen Städten Polens, aber auch im Ausland – unter anderem auch in Berlin – wurden zahlreiche Demonstrationen für freie Gerichte in Polen organisiert. In Warschau hat man das mit dem traditionellen "Toast für die Freiheit" vereinigt. Seit vielen Jahren versammeln sich am 4. Juni Warschauer Bürger am Verfassungsplatz neben dem Cafe "Niespodzianka", in dem im Jahre 1989 der Wahl-Stab der Opposition arbeitete.


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An Europa
An die Europäische Kommission

Der polnische Oberste Gerichtshof braucht Hilfe!

Als Vertreter der Bürgerrechtsbewegungen in Polen fordern wir die Europäische Kommission auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, damit der schrittweise Abbau der unabhängigen Justiz in unserem Land verhindert werden kann.

Seit der Machtergreifung im Herbst 2015, unterwirft sich die PiS-Regierung systematisch die Judikative und die Exekutive und versucht das Justizwesen zu instrumentalisieren. Die Europäische Kommission hat wiederholt die verfassungswidrigen und gegen die Grundprinzipien der Gewaltenteilung verstoßenden Gesetze über oberstem Verfassungsgericht, über ordentlichen Gerichten, über Nationalem Gerichtsrat und über Oberstem Gerichtshof kritisiert.

Wir begrüßen und unterstützen die Bemühungen der Kommission zur Verteidigung und Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Wir bedauern, dass sie bisher keine Wirkung gezeigt haben: die polnische Regierung hat alle Empfehlungen konsequent ignoriert und die von der Kommission gemäß Artikel 7 des EU - Vertrags geforderten Maßnahmen nicht ergriffen.

Der Prozess der Abschaffung der freien Gerichte in Polen wird bald abgeschlossen sein. Am 3. Juli können fast 40% der Richter des Obersten Gerichtshofs gemäß der verfassungswidrigen Änderung des Gesetzes über Oberstem Gerichtshof gezwungen sein, in den Vorruhestand einzutreten. Sie werden durch Kandidaten aus dem bereits von der Regierung vollständig kontrollierten Nationalen Gerichtsrat ersetzt. Dies wird der letzte Akt der Übernahme der Gerichte durch die Regierungspartei sein.

Die Europäische Kommission kann dieses Szenario verhindern, das ansonsten weitreichende negative Folgen nicht nur für Polen, sondern auch für die Europäische Union insgesamt, haben kann. Andere, als die im Artikel 7 des EU - Vertrages vorgesehenen Maßnahmen, sind möglich und erforderlich. .

Wir fordern die Europäische Kommission auf, den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Artikel 258 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unverzüglich mit dem Gesetz über den Obersten Gerichtshof zu befassen und vorläufigen Rechtsschutz zu beantragen. Die Artikel 37 und 111 des polnischen Gesetzes über den Obersten Gerichtshof verletzen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter, der ein wesentliches Element der Unabhängigkeit der Richter ist. Somit sind diese Art. mit dem Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Satz 3 des Vertrages über Europäische Union i. V. m. Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union unvereinbar.

Vor kurzem wurde ein solches Verfahren effizient gegen die polnische Regierung umgesetzt, um die Zerstörung des Urwaldes Białowieża, eines der Schätze der europäischen Natur, zu verhindern. Wir erwarten auch, dass die Kommission die Klage bei dem EuGH vom März 2018 gegen die Änderung des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte weiterhin unterstützt. Das Urteil des Gerichtshofs muss von allen Konfliktparteien in Polen, einschließlich der Opposition, respektiert werden.

Das Urteil des Gerichtshofs ist von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der polnischen Verfassung und der Rechtsstaatlichkeit. Angesichts der Zerstörung des obersten Verfassungsgerichts und der erwarteten Auflösung des unabhängigen Obersten Gerichtshofes wird es in Polen keine Institution mehr geben, die die für den polnischen Rechtssystem schädlichen Gesetze für ungültig erklären kann. Es sind die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union, die als einzige Rechtsquelle herangezogen werden können, um die Auswirkungen der gegenwärtigen Gesetzlosigkeit zu beseitigen.

Die polnischen Wähler unterstützen die europäische Integration des Landes. Die Europäische Kommission und der Gerichtshof der Europäischen Union sind auch unsere Institutionen als Bürger der Europäischen Union. Eine auf Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten basierende Union ist unser gemeinsames Gut. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Werte verloren gehen.